Frankfurter Rundschau, 07.09.2000

"Wir hoffen auf die Menschlichkeit der Behörde"

Die Bettinaschule im Westend kämpft gegen die drohende Abschiebung der Klassensprecherin Mersiha Padan / Fast 800 Unterschriften übergeben

Von Mike Szymanski

Noch im September will die Ausländerbehörde Frankfurt die bosnische Familie Padan in ihre Heimat abschieben. Die Kinder, Mersiha (16) und Jasmin (14), werden ihre Schulausbildung nicht beenden können. Mitschüler, Lehrer und Eltern der Bettinaschule im Westend kämpfen nun für die Duldung der Familie.

Wenn Mersiha ihre Geschichte erzählt, dann ohne große Emotionen. Keine Tränen, kein Beben in ihrer Stimme. "Mit acht Jahren habe ich schon Leichen gesehen", sagt sie. Spricht von ethnischen Säuberungen in ihrer Heimat, dem vom Bürgerkrieg umkämpften Dorf Prijedor in Bosnien. "Ich weiß nicht genau, was das bedeutet", sagt sie. Aber sie weiß, dass das mit dem Mord an ihrem Vater im Spätsommer 1992 zu tun haben muss. "Meine Mutter hat ihn tot auf einem Feld gefunden." Sie berichtet von schrecklichen Stunden im Konzentrationslager, von Gewalt, Hunger, Furcht. 1994 gelingt der muslimischen Familie die Flucht nach Deutschland und damit beginnt ein fast normales Leben für das Mädchen in Frankfurt. Heute gehört Mersiha zu den Besten der Klasse 9 c an dem Gymnasium im Westend, und sie ist Klassensprecherin.

"Mersiha soll bleiben", steht auf einem Plakat an der Eingangstür im Korridor. Im Klassenraum haben ihre Mitschüler Sascha, Katja, Moritz, Norah und Fayza das Mädchen in ihre Mitte genommen. "Wir sind für Mersiha da", sagt Sascha (15). "Sie ist beliebt, zuverlässig und hört immer zu, wenn jemand Probleme hat." Als Klassensprecherin sei sie gerecht. "Bestimmt, weil sie so schlimme Dinge erlebt hat", sagt Katja. Angie vom Schülerrat bringt wieder eine Liste mit Unterschriften in den Raum. Fast 800 Schüler, Eltern und Lehrer haben bis zum Dienstagabend eine Petition unterzeichnet.

Mit ihrer Unterschrift fordern sie, dass Mersiha, ihre Mutter Jasmina und ihr Bruder Jasmin (14), der die Diesterwegschule in Ginnheim besucht, zumindest solange in Deutschland bleiben dürfen, bis die Kinder ihre Ausbildung beendet haben. Gestern haben sie die Unterschriftenlisten der Frankfurter Ausländerbehörde übergeben. Auch den Petitionsausschuss des Landtags beschäftigen sie mit ihrer Bitte.

"Ich bin fassungslos", sagt Schulleiterin Judith Ullrich-Borrmann. "In ihrer Heimat wird sie keine Möglichkeit haben, ihre Ausbildung zu beenden. Ihre Leistungen sind gut." Die Schulleiterin kenne die Gesetze, aber: "Uns geht es um die menschliche Seite."

Katastrophe - mit diesem Wort charakterisiert Elternsprecher Paul Friese die drohende Abschiebung: Die Kinder wachsen hier auf und werden dann ohne Perspektive abgeschoben." Angelika Wahl, Mutter eines Mitschülers, berichtet, dass Mersihas Mutter seit Montag im Krankenhaus liegt. "Sie leidet unter schweren Depressionen, ist traumatisiert." Auch sie zeigt wenig Verständnis für die Rückführung. "Wir hoffen auf die Menschlichkeit der Behörde."

Der Fall Padan ist für Henner Schäfer von der Ausländerbehörde zunächst eine dicke Akte. Seit Jahren bemüht sich die Familie um die Anerkennung als Flüchtlinge. Vergeblich. "Es liegen keine Gründe vor, die einen Aufenthalt in Deutschland rechtfertigen", sagt Schäfer. Seine Behörde setzte bereits mehrmals Termine zur Ausreise fest, die die Familie Padan mit Hilfe eines Rechtsanwaltes und Eilanträgen immer wieder hinauszögern konnten.

Inzwischen sind alle Eilanträge abgelehnt; einer Rückführung steht nichts mehr im Wege. "So, wie sich der Fall für uns darstellt, müsste die Abschiebung am 13. September vollzogen werden", sagt Schäfer. Er räumt aber ein, dass etwa Traumatisierung oder Reiseunfähigkeit Gründe für eine weitere Duldung sein könnten. Nur lägen ihm keine entsprechenden Atteste vor. Auch der Umstand, dass die Mutter der Kinder im Krankenhaus liegt, sei ihm neu.

Das überrascht Torsten Jäger von der Flüchtlingshilfe Pro Asyl nicht. "Flüchtlinge reden oft nicht über die erlittenen Qualen. Das ist ihr Weg, damit umzugehen. Oft zahlen sie dafür einen hohen Preis."

Die Abschiebung findet Jäger für die alleinerziehende Mutter und ihre Kinder unzumutbar. "Das wäre die zweite Vertreibung." In ihr Heimatdorf könne die Familie ohnehin nicht zurückkehren. "Dort ist vermutlich noch immer ihre Sicherheit bedroht", sagt er. Als Muslime würden sie in einer ethnischen Minderheit leben und müssten Diskriminierungen befürchten. In anderen Landesteilen hätten sie als Rückkehrer vermutlich Probleme mit den örtlichen Behörden. "Die Familie hat so gut wie keine Chance, sich eine Existenz aufzubauen."

Zukunft? Da muss Mersiha nicht lange nachdenken. "Ich will Rechtsanwältin werden", sagt sie. "Hängt wohl mit dem Krieg zusammen." Wieso die Welt so ungerecht sei, habe sie sich oft gefragt. Und: "Wieso wir?"