Süddeutsche Zeitung, 07.09.2000

Millenniums-Gipfeltreffen in New York

Schröder will ständigen Sitz im Sicherheitsrat "Deutschland ist bereit, mehr Verantwortung in den Vereinten Nationen zu übernehmen" / Von Kurt Kister

New York - Bundeskanzler Gerhard Schröder hat auf dem Millenniums-Gipfeltreffen der Vereinten Nationen in New York das Interesse Deutschlands an einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat bekräftigt. In seinem Redetext fand sich außerdem eine verklausulierte Mahnung an die USA, ihre ausstehenden Mitgliedsbeiträge an die UN zu bezahlen. Generalsekretär Kofi Annan nannte das Treffen "ein einmaliges Ereignis, das einmalige Verantwortung" für die teilnehmenden Staats- und Regierungschefs bedeute. Ziel des größten Gipfeltreffens in der Geschichte ist die Bekämpfung weltweiter Armut und Gewalt.

Annan rief in seiner Eröffnungsrede den etwa 150 Staats- und Regierungschefs zu, dass die auf ihnen ruhenden Erwartungen groß seien. Die Menschen dieser Erde müssten vor Armut, Krieg, Umweltzerstörung und Aids geschützt werden. "Lasst sie uns nicht enttäuschen", forderte Annan. In einer Zeit, in der der menschliche Bauplan entschlüsselt sei und Wissen in Sekunden von einem Kontinent zum anderen übermittelt werde, könne keine Mutter verstehen, warum ihr Kind wegen Unterernährung oder einer heilbaren Krankheit sterben müsse. Niemandem sei es einsichtig, dass Menschen vertrieben, eingesperrt und gefoltert würden, nur weil sie ihre Ansichten äußerten. Die Staatschefs sollten deswegen über Grundlagen und Prioritäten reden, um schnelleres und effektiveres Handeln der Weltorganisation im 21. Jahrhundert zu ermöglichen.

Die meisten der fünfminütigen Reden hatten den Charakter eines Appells. US-Präsident Bill Clinton sprach sich für die Verstärkung der militärischen Friedenseinsätze der Vereinten Nationen aus. Fehlschläge bei Blauhelm-Einsätzen zeigten, dass die Organisation nicht über die erforderlichen Kapazitäten verfüge. "Unsere Antwort darauf ist: Lasst uns die UN so ausstatten, dass sie tun können, was wir von ihnen verlangen.

Nordkorea droht den USA

Außerdem äußerte Clinton die Hoffnung, dass es im nahöstlichen Friedensprozess Fortschritte geben könne. Die Weltgemeinschaft solle Palästinenserpräsident Jassir Arafat und Israels Ministerpräsident Ehud Barak helfen, wenn diese "das schwere Risiko des Friedens" auf sich nähmen, sagte Clinton. Die bilateralen Unterredungen Clintons mit Barak und Arafat sowie Gespräche der nahöstlichen Spitzenpolitiker am Rande des Gipfels wurden in New York mit besonderer Spannung erwartet. In der Umgebung Clintons hofft man vor allem auf Bewegung im Streit über den zukünftigen Status von Jerusalem.

Bundeskanzler Schröder, dessen Auftritt am frühen Mittwochabend deutscher Zeit auf dem Programm stand, sprach laut seines vorab verbreiteten Redetextes davon, dass Deutschland durch seine Vereinigung eine "zweite Chance" erhalten habe. Das wiedervereinte Deutschland sei entschlossen, "die große Chance zum Neuanfang" zu nutzen, um "beherzt" für die Stärkung der Vereinten Nationen, für die europäische Einigung und für Demokratie und Menschenrechte einzutreten. Zu der von Schröder ausdrücklich begrüßten und von Annan vorangetriebenen Reform der UN gehöre als erster Schritt auch die Neuorganisation des Sicherheitsrats. "Bei einer Erweiterung des Kreises der ständigen Mitglieder ist Deutschland zur Übernahme entsprechender Verantwortung bereit." Derzeit haben die ständigen Mitglieder USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien im Sicherheitsrat ein Vetorecht.

Schröder meinte, es sei auch wichtig, die Vereinten Nationen auf eine "dauerhafte solide finanzielle Grundlage" zu stellen. "Jeder Mitgliedsstaat ist aufgefordert, seine Beiträge fristgerecht und uneingeschränkt zu zahlen. " Mehrere Länder schulden den UN insgesamt 2,9 Milliarden Dollar; die USA stehen mit 1,8 Milliarden in der Kreide.

Nordkorea drohte den USA wegen des Zwischenfalls auf dem Frankfurter Flughafen, der am Dienstag zur Absage der nordkoreanischen Teilnahme am UN-Gipfel führte, mit Gegenmaßnahmen. Die USA würden einen "hohen Preis" für die "verabscheuungswürdige und verschlagene Beleidigung" zahlen, erklärte das Außenministerium in Pjöngjang. Parlamentspräsident Kim Yong Nam kehrte derweil nach Pjöngjang zurück. Er hatte sich am Dienstag in Frankfurt gegen eine Leibesvisitation durch amerikanische Sicherheitsbeamte gewehrt und deshalb seinen Flug mit American Airlines nach New York verpasst.