Neue Zürcher Zeitung (CH), 06.09.2000

Vorstoss des IKRK gegen Cluster-Bomben

Verbot von Einsätzen in bewohnten Gebieten gefordert Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz fordert ein Moratorium für den Einsatz von Cluster-Bomben (Bomben mit Tochtermunition). Auf die Verwendung solcher Streubomben soll verzichtet werden, bis deren Einsatz in einem Zusatzprotokoll zur Uno-Konvention über den Einsatz gewisser konventioneller Waffen geregelt ist.

jpk. Genf, 5. September

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat in einem am Dienstag in Genf veröffentlichten Bericht zu den Auswirkungen von Personenminen und Cluster-Bomben in Kosovo ein Moratorium für den Einsatz von solchen Bomben und ähnlichen Munitionsarten gefordert. Das Moratorium soll gelten, bis der Einsatz von Cluster-Bomben in einem Zusatzprotokoll zur Uno-Konvention über den Einsatz gewisser konventioneller Waffen geregelt ist. Gleichzeitig schlägt das IKRK allerdings bereits jetzt vor, die Verwendung von Cluster-Bomben gegen militärische Ziele in besiedelten Gebieten generell zu verbieten. Nach Angaben der humanitären Organisation ist eine solche Einschränkung dringend notwendig, da der Wirkungsbereich der Bomben zu wenig genau eingegrenzt werden kann und dem Einsatz dieser Art von Munition unverhältnismässig viele Zivilisten zum Opfer fallen. Cluster- Bomben werden von Flugzeugen abgeworfen und enthalten bis zu 2000 kleine Splitter- oder Brandbomben, die sich nach dem Abwurf des Behälters über ein grosses Gebiete verteilen.

Zusätzliche Bedingungen
In dem Bericht fordert das IKRK zudem, dass nicht explodierte Cluster-Bomben oder Teile der Bomben nach der Beendigung der bewaffneten Auseinandersetzungen von denjenigen Streitkräften neutralisiert werden müssen, die die Waffen eingesetzt haben. Eine solche Regelung bestehe im Rahmen der Uno-Konvention zum Einsatz gewisser konventioneller Waffen bereits jetzt für die Beseitigung von Minen nach der Beendigung der Feindseligkeiten. Gefordert wird vom IKRK auch eine Informationspflicht über die Orte, an denen Cluster-Bomben eingesetzt wurden, um nicht explodierte Munition unmittelbar nach der Beendigung der bewaffneten Auseinandersetzungen neutralisieren zu können. Solche Informationen sollten von den verantwortlichen Mächten den Vereinten Nationen und allen an der Räumung von Minen beteiligten Organisationen nach einem Konflikt zugestellt werden.

Die Information über die Verwendung von Cluster-Bomben an die betroffene Zivilbevölkerung sollte nach Angaben des IKRK weiter verbessert werden und unmittelbar nach dem Einsatz der gefährlichen Waffen erfolgen. Eine Informationspflicht in diesem Sinne bestehe bereits für ferngezündete Landminen. Um die Risiken für Zivilisten künftig weiter zu reduzieren, fordert das IKRK in dem Bericht zudem die Ausrüstung der Streubomben mit einem Selbstzerstörungsmechanismus, der aktiviert wird, wenn diese ihr Ziel verfehlt haben oder nach einer bestimmten Zeitdauer nicht detoniert sind.

Gefährlicher als Minen
Die geforderten drastischen Einschränkungen für die Verwendung von Cluster-Bomben begründet das IKRK mit den Untersuchungen, welche die humanitäre Organisation zu den Auswirkungen dieser Art von Waffen in Kosovo durchgeführt hat. Dabei stellte das IKRK fest, dass dieser Typ von Munition für die Zivilbevölkerung gefährlicher ist als jede andere Art von Geschossen oder Waffen. Der Einsatz von Cluster-Bomben in den und um die Städte in Kosovo habe gezeigt, dass diese gravierende Auswirkungen haben können, heisst es in dem Bericht. Nach der Beendigung der Feindseligkeiten seien nicht explodierte Tochtermunition oder Teile dieser Bomben viel gefährlicher als beispielsweise Minen.

Bei Zwischenfällen mit Teilen von Cluster- Bomben kämen wegen deren grosser Sprengkraft in der Regel mehrere Personen ums Leben oder würden verletzt. Dementsprechend gestalte sich auch die Neutralisierung dieser Munitionsart als gefährlicher denn die Unschädlichmachung von Personenminen. Zudem sind nach Angaben des IKRK von den Zwischenfällen mit Cluster-Bomben sehr viel öfter Kinder betroffen als bei Minen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind zu Schaden komme, sei bei nicht unschädlich gemachten Bestandteilen von Cluster-Bomben fast fünfmal höher als bei Minen.

Rund 30 000 Munitionsteile in Kosovo
Die Zahl der in Kosovo nach Beendigung der Feindseligkeiten verbliebenen, nicht explodierten Teile von Streuminen schätzt das IKRK auf Grund von Angaben der Nato auf mindestens 30 000. Bis zum 31. Mai dieses Jahres seien von mehreren Organisationen 4069 Teile von Cluster- Bomben neutralisiert worden. In den ersten zwölf Monaten nach der Beendigung der Feindseligkeiten seien 150 Personen durch Teile von Streubomben in Kosovo verletzt oder getötet worden. Dies entspricht nach Angaben des IKRK 36 Prozent aller nach Beendigung des Krieges durch liegen gebliebene Munition oder Waffen getöteten oder verletzten Personen. Weitere 36 Prozent oder auch etwa 150 Personen seien durch Zwischenfälle mit Personenminen zu Schaden gekommen.