junge Welt, 05.09.2000

Multimilliardär räumt ab

Libanons ehemaliger Premierminister Hariri erzielte Erdrutschsieg bei Parlamentswahlen

Mit einem erdrutschartigen Sieg in der Hauptstadt Beirut hat der saudisch-libanesische Multimilliardär Rafik El Hariri in der am Sonntag abgehaltenen zweiten Runde der libanesischen Parlamentswahlen nachhaltig seinen Anspruch auf Rückkehr in das Amt des Premierministers unterstrichen. Rund 1,4 Millionen Wähler waren aufgerufen, die verbleibenden 65 von insgesamt 128 Parlamentssitzen unter 209 Kandidaten zu vergeben. Nachdem Verbündete Hariris wie der Drusenführer Walid Jumblat und der Führer der nordlibanesischen Christen Suleiman Franjiyé bereits vor einer Woche eindrucksvolle Erfolge erzielen konnten, gelang es Hariris Wahlbündnis vorläufigen Endergebnissen vom Montag zufolge, 17 von 18 der in Beirut zu vergebenden Sitze zu gewinnen.

Allen Vermittlungsversuchen zum Trotz hatte Hariri bis in die Endphase des mit ungewöhnlicher Härte geführten Wahlkampfes auf totale Konfrontation mit der amtierenden Regierung Salim El Hoss gesetzt. »Nur ein totaler Sieg kann die notwendige politische Kehrtwendung erzwingen«, rief Hariri seinen Anhängern auf seiner Wahlabschlußkundgebung am Freitag zu. In einem Gespräch mit deutschen Journalisten attackierte der international aktive Bauunternehmer, der für eine neoliberale Laissez-faire-Ökonomie und Weltmarktintegration eintritt, die »völlig verfehlte Wirtschaftspolitik der amtierenden Regierung«, die das Land in eine lebensgefährliche Rezession gestürzt habe.

Im Gegenzug kritisierte Premierminister Hoss den auf bis zu 50 Millionen Dollar geschätzten Wahlkampfaufwand seines Rivalen als »Korrumpierung der Wähler«. Presseberichten zufolge hatte Innenminister Michel El Murr noch Mitte der Woche Hariri gewarnt, ein »übermäßiger« Wahlerfolg könne den Unwillen von Staatspräsident Emile Lahoud erregen. »Auch wenn Herr Hariri eine absolute Mehrheit erhält, über das Amt des Premiers entscheidet allein der Präsident in Abstimmung mit dem syrischen Staatspräsidenten Baschar el Assad«, wurde Murr tagelang zitiert, ehe er in einer am Wahlmorgen abgehaltenen Pressekonferenz zurückruderte und den Ausspruch dementierte. Präsident Lahoud seinerseits erklärte, er werde gemäß der Verfassung denjenigen zum Ministerpräsidenten ernennen, der die Unterstützung der Parlamentsmehrheit erhalte.

Mit dem Erfolg in Beirut konnte Hariri zusätzlich seinen Anspruch unterstreichen, zukünftig als unbestrittener Führer der muslimischen Sunniten aufzutreten, denen in der libanesischen Proporzdemokratie traditionell das Amt des Regierungschefs zufällt. Während Hariris geschlagener Rivale Hoss und der dritte muslimische Spitzenkandidat Tamam Salam der traditionell die Hauptstadt dominierenden Händler- und Funktionärsschicht zugerechnet werden, repräsentiert der aus einfachsten Verhältnissen aufgestiegene Bauunternehmer Hariri eine Schicht neureicher Geschäftsleute mit internationalen Verbindungen, die den traditionellen Mittelklassen zunehmend die Position streitig machen.

Im Gegensatz zum erhitzten politischen Klima der Hauptstadt galt der Wahlgang in den übrigen Landesteilen als weitgehend schon vor der Abstimmung entschieden. Auf syrische Vermittlung hin gebildete Einheitslisten vereinigten in der Bekaa-Ebene und im Südlibanon sämtliche politischen Schwergewichte der Region, darunter auch rivalisierende Organisationen wie Hisbollah und die Amal-Bewegung von Schiitenführer und Parlamentspräsident Nabih Berri. Wählern, die der als die »südliche Dampfwalze« bezeichneten Einheitsliste die Stimme verweigern wollten, blieb so nur die Stimmabgabe für weitgehend unbekannte unabhängige Kandidaten. Angesichts des erheblichen Einflusses, den der auch als »Sultan des Südens« bezeichnete Berri auf die Verteilung von Wiederaufbauhilfen in den vom jahrelangen Guerillakrieg gegen die israelische Besatzung zermürbten Grenzgebieten nehmen kann, waren deren Erfolgsaussichten durchweg gering. »Nabih Berri mißbraucht seine Autorität als Parlamentspräsident für Wahlkampfzwecke«, kritisierte der KP-nahe Kandidat Habib Sadeq. »Es ist eine Schande, das die Hilfen für den Süden zum politischen Nutzen einer einzigen Person eingesetzt werden«, erklärte Gewerkschaftsführer Elias Abu Rizk.

Für die Hisbollah war das Bündnis, mit dem eine Konfrontation der beiden stärksten schiitischen Organisationen vermieden wurde, vor allem eine taktische Frage: »Natürlich haben wir uns mit den Syrern und den Iranern beraten, aber es war unsere autonome Entscheidung, dieses Bündnis einzugehen, um eine einheitliche Front gegen den Feind zu bilden«, erklärte der stellvertretende Sprecher des Politbüros der Hisbollah Mahmoud Kumati. »Zum ersten Mal haben wir Schiiten in diesem Land etwas zu sagen, und Politiker, die wirklich unsere Interessen vertreten«, begründete die 34jährige Mona Awali in einem Interview mit dem Beiruter Internetportal Cyberia ihre Loyalität zu der ungewohnten Allianz der ansonsten verfeindeten Parteien, »da lassen wir keinen durchfallen.«

Aus den christlichen Gebieten des Südlibanon wurde dagegen eine boykottverdächtig niedrige Wahlbeteiligung von unter 20 Prozent gemeldet. »Wir lehnen die von außen aufgezwungenen Einheitslisten und die künstliche Einteilung der Wahlkreise ab«, erklärte der ehemalige Abgeordnete von Jezzine Edmont Rizk die weitgehende Wahlapathie, »unsere Region erhält damit keine angemessene Repräsentation.«

Heiko Wimmen, Beirut