Frankfurter Rundschau, 04.09.2000

Hoffen auf gemeinsame Asylpolitik

Experten erwarten von EU-Harmonisierung liberalere Praxis

Von Pitt von Bebenburg (Arnoldshain)

Eine gemeinsame europäische Asylpolitik müsste keineswegs das deutsche Grundrecht auf Asyl aufweichen, vielmehr könnte die Harmonisierung zu einer liberaleren Praxis in Deutschland führen. Diese Hoffnung äußerten verschiedene Teilnehmer einer Fachtagung am Wochenende im hessischen Arnoldshain.

Jan Niessen ist Optimist aus Erfahrung. Dass auch Deutschland ein Antidiskriminierungsrecht schaffen muss, geht auf einen entsprechenden Beschluss auf europäischer Ebene zurück. Warum sollte ein solcher Fortschritt nicht auch im Asylrecht gelingen, fragt sich der Flüchtlings-Lobbyist von der einflussreichen Migration Policy Group in Brüssel. "Wenn auf nationaler Ebene keine vernünftige Einwanderungs- und Asylpolitik gemacht wird, dann haben wir die Chance, das auf europäischer Ebene umzusetzen", meinte der Niederländer in der Evangelischen Akademie Arnoldshain. Sie hatte mit Pro Asyl zu der Konferenz über "Asylpolitik in der Europäischen Union" eingeladen und die Grundfrage gestellt: "Offene Gesellschaft oder Abschottungsgemeinschaft?" Die Zeit, um diese Frage zu beantworten, drängt. Denn der Amsterdamer Vertrag sieht vor, dass die EU-Staaten ihre Asylpolitik bis 2004 einander annähern.

Viele Menschen in der Flüchtlingsarbeit sehen die EU-weite Harmonisierung mit Skepsis, da sie eine Abwehrpolitik festschreiben könne; nicht zuletzt, weil ein verschärftes Asylrecht bereits bei EU-Beitrittskandidaten wie Tschechien eingeführt wurde. Doch Niessen war nicht der Einzige, der auf eine offenere Asylpolitik mit Hilfe Europas setzte. Die Europäische Union sei schon "viel weiter, als Sie sich vielleicht vorstellen können", meinte etwa der Grünen-Europaabgeordnete Ozan Ceyhun und verwies auf eine Entschließung des Straßburger Parlaments zu gemeinsamen Standards in Asylverfahren.

Der Freiburger Politologe Dieter Oberndörfer hält es für denkbar, dass die europäische Menschenrechtscharta, die beim EU-Gipfel in Nizza Ende des Jahres verabschiedet werden soll, zu einer "Liberalisierung gerade auch der deutschen Asylpolitik" führen könnte. Der Entwurf der Charta enthält das Recht auf Asyl und eine Regelung über den Schutz vor Abschiebungen. Die entscheidende Frage lautet nach Ansicht der Experten nun, wie verbindlich das Paragraphenwerk sein wird.

Pro Asyl vertritt dazu eine klare Haltung: "Die künftige Charta der Grundrechte muss durch die Aufnahme in den EU-Vertrag volle Rechtsverbindlichkeit erhalten." So hat es die Initiative in einem Forderungskatalog zum europäischen Flüchtlingsschutz formuliert, den sie in Arnoldshain vorlegte. Das deutsche Grundgesetz steht einer solchen Harmonisierung nicht im Weg, darin stimmte auch der CDU-Europaabgeordnete Hartmut Nassauer Pro Asyl zu. "Die Europäer werden uns nicht zwingen, das einklagbare Asylrecht abzuschaffen", sagte Nassauer. Er selbst plädierte aber dafür, es durch eine institutionelle Garantie zu ersetzen - eine Forderung, mit der er alleine stand.

Viele Hoffnungen gründen sich auf die Resolution von Tampere, die der Grünen-Politiker Ceyhun für "eine Revolution" hält. In der finnischen Stadt hatte der Europäische Rat sich vor einem Jahr darauf festgelegt, dass ein gemeinsames Asylrecht die "uneingeschränkte und allumfassende" Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention garantiere. Daran hapert es in Deutschland, das die Konvention besonders eng auslegt. Gerade was den Schutz von Menschen angeht, die in Ländern wie Afghanistan oder Somalia von nichtstaatlichen Terrorgruppen verfolgt werden, hinkt die Bundesrepublik europaweit hinterher. Selbst Nassauer wünscht sich hier mehr Großzügigkeit. Als Voraussetzung dafür sieht er freilich eine deutliche Verkürzung der Asylverfahren, die sich zum Teil länger als 15 Jahre hinzögen.