Kölner Stadtanzeiger, 3.5.2000

Türkei: Haft, Folter, Entführung

Die Kurdenfrage und das Militär sind tabu

Von Gerd Höhler

Die Presse ist frei", stellt Artikel 28 der türkischen Verfassung fest. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus, wie hunderte Verleger, Journalisten und Schriftsteller während der vergangenen Jahre erfahren mussten. Sie gerieten wegen unliebsamer Berichte in Konflikt mit der Justiz.

Vor allem Artikel über die Kurdenfrage, aber auch kritische Kommentare über die Rolle der allmächtigen Militärs setzen die Mühlen der Justiz unverzüglich in Bewegung. So wurde der Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsvereins, Akin Birdal, zu zwölf Monaten Gefängnis verurteilt, weil er in einer Rede zum Weltfriedenstag eine friedliche Lösung des Kurdenproblems gefordert hatte.

Als immer greifender Gummiparagraf gegen Journalisten und Verleger wird vor allem der Artikel 8 des Anti-Terror-Gesetzes herangezogen. Er bedroht "Propaganda gegen die Einheit des Staates" mit Haftstrafen.

Wer "nur" vor Gericht gestellt wird, kann fast noch von Glück sagen. Dutzende türkischer Journalisten wurden während der vergangenen Jahre Opfer sadistischer Folterpraktiken, die mitunter tödlich endeten. So im Fall des Reporters Metin Göktepe, der 1996 in Istanbul von Polizisten zu Tode geprügelt wurde. Andere Journalisten wurden von Todesschwadronen entführt, getötet oder auf offener Straße durch Kopfschüsse aus nächster Nähe regelrecht exekutiert. Wieder andere fielen Bombenanschlägen zum Opfer.

Trotz der Versprechungen der Regierung Ecevit, die Menschenrechtsdefizite aufzuarbeiten, steht es weiterhin schlecht um die Meinungs- und die Pressefreiheit. 87 Journalisten wurden im vergangenen Jahr festgenommen, mindestens vier gefoltert. 80 Reporter und Schriftsteller saßen Anfang 2000 in den türkischen Gefängnissen.

Jetzt wollen 23 prominente Intellektuelle die Probe aufs Exempel machen. Unter dem Titel "Freie Meinungsäußerung 2000" veröffentlichten sie als Herausgeber gemeinsam 60 seit 1995 publizierte Artikel, deren Autoren seinerzeit mit Strafverfahren überzogen und inhaftiert wurden. Als wollte die Regierung beweisen, dass sich in Sachen Pressefreiheit in der Türkei nichts ändern soll, hat der brisante Sammelband bereits die Ankläger in Istanbul auf den Plan gerufen.