Neue Zürcher Zeitung, 02.03.2000

Aufnahme längst integrierter Asylsuchender

Humanitäre Aktion für rund 13 000 Personen

Der Bundesrat hat beschlossen, in der Schweiz längst integrierte Asylsuchende, die vor 1993 eingereist sind, vorläufig aufzunehmen. Erfasst werden in erster Linie jene 6500 Tamilen, die wegen der unsicheren Lage in Sri Lanka oder Begehren von Arbeitgebern nicht zurückgeschickt wurden. Einen Automatismus soll es indes nicht geben; jeder Einzelfall wird von den Kantonen und dem Bundesamt für Flüchtlinge geprüft.

wab. Bern, 1. März

Nach dem Ende des Kosovokriegs und der daraus folgenden Entlastung des Asylwesens können sich die Bundesbehörden nun den alten Pendenzen zuwenden. Darunter hat es Tausende von Asylsuchenden, die seit Jahren auf einen definitiven Entscheid über ihren Aufenthalt warten. Sie haben die Verzögerung meist nicht selbst verschuldet, sondern es waren die Behörden, die zuwarteten - aus Rücksicht auf andere Prioritäten, weil die Rückübernahme der Betroffenen vom Herkunftsland verweigert wurde oder weil sich diese im Bürgerkrieg befanden. Einige haben mittlerweile in der Schweiz Kinder bekommen und zum Teil bereits das 10-Jahres-Jubiläum bei ihrem Arbeitgeber gefeiert, wie Justizministerin Ruth Metzler zur Begründung des Bundesratsentscheids erklärte. Mehrmals betonte sie, wie schwer sie sich mit diesem Entscheid getan, aus humanitären und rechtlichen Gründen aber schliesslich keine andere Lösung gesehen habe.

Zur Hälfte aus Sri Lanka Die «Humanitäre Aktion 2000», wie der Bundesrat seinen Entscheid nennt, erfasst mehrere Personengruppen. Für alle gilt, dass sie vor 1993 ein Asylgesuch eingereicht oder in die Schweiz eingereist sind. Sie dürfen nicht straffällig geworden und nie untergetaucht sein, müssen integrationswillig und -fähig sein und dürfen die lange Aufenthaltsdauer in der Schweiz nicht selber durch mangelnde Mitwirkung im Asylverfahren verursacht haben. Der 31. Dezember 1992 als Stichtag ergibt sich aus einem Entscheid des früheren Justizministers Arnold Koller: Er hatte im Oktober 1994 für rund 6500 srilankische Staatsangehörige, die vor Ende 1992 eingereist waren, die Asylgesuche beziehungsweise die Wegweisung sistiert. Koller hatte damals aus praktischen Gründen, wegen der schwierigen Papierbeschaffung, der unsicheren Lage in Sri Lanka und der Überlastung der Behörden mit anderen Vollzugsaufgaben, so entschieden, aber auch auf Wunsch von Kantonen, die sich mit Interventionen von Arbeitgebern, Privatpersonen und Parlamentariern gegen Wegweisungen konfrontiert sahen. Die Sistierung blieb in Kraft, weil später andere Konfliktherde (Bosnien, Kosovo) Priorität hatten. Und die Tamilen, die einst besonders unter rassistischen Sprüchen gelitten hatten, sind heute vorab in der Gastronomie beliebte Arbeitskräfte.

Zur srilankischen Gruppe kommen nochmals rund 6500 Personen aus verschiedenen anderen Ländern hinzu, die sich in einer vergleichbaren Lage befinden. Gut 4000 von ihnen sind Kosovo- Albaner, deren Rückübernahme die Bundesrepublik Jugoslawien lange verweigert hatte; später verhinderte der Kosovokrieg die Rückführung. Die vom Bundesrat festgelegten Kriterien für die humanitäre Aufnahme (integrationswillig, nicht straffällig usw.) bedeuten aber, dass sie nicht automatisch aufgenommen werden. Bei den srilankischen Staatsangehörigen wird das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) von sich aus die Dossiers hervornehmen und dann die Kantone konsultieren. Bei allen anderen Personen liegt es an den Kantonen, anhand der Kriterien bis Ende dieses Jahres zu entscheiden, ob sie dem BFF die Aufnahme beantragen. Tun sie dies nicht, sind sie zum Vollzug von Wegweisungsverfügungen angehalten. Werden mögliche Wegweisungen nicht vollzogen, erhalten die Kantone vom Bund künftig keine Vergütung ihrer Fürsorgekosten mehr.

Künftige Aktionen nicht auszuschliessen Finanzielle Auswirkungen wird die Aktion kaum haben, da die betroffenen Personen bereits hier leben und ein allfälliger Familiennachzug meist längst erfolgt ist. BFF-Direktor Jean-Daniel Gerber will zudem verhindern, dass der administrative Aufwand so gross wird, dass sich schon bald wieder die Pendenzen stauen. In der Regel werde man auf die Beurteilung der Kantone vertrauen und kein aufwendiges eigenes Prüfverfahren durchführen, kündigte er an.

Eine ähnliche Aufnahmeaktion hatte es letztmals 1990 für rund 25 000 Personen gegeben, mehrheitlich Türken und Tamilen. Bundesrätin Metzler konnte auch jetzt wieder nicht garantieren, dass dies die letzte Aktion sein wird. Der Asylbereich sei mit zu vielen Unwägbarkeiten behaftet. Sie wolle aber das Mögliche tun, um Langzeitpendenzen künftig zu vermeiden.