Dieses Dokument ist Teil des Buches „Wie geschmiert - Rüstungsproduktion und Waffenhandel im Raum Hamburg“, 1998

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Kapitel 3.2.4.

Das vorerst gestoppte Projekt "Mehrzweckschiff"

Gewisse Schwierigkeiten beim Rücktransport des nach Somalia entsandten Bundeswehrkontingents wurden 1994 zum Anlass genommen, die Planung für ein Schiff von gewaltiger Dimension (fast 20.000 t) aufzunehmen, das bei künfigen Einsätzen in Krisen- und Kriegsgebieten zugleich als Befehlszentrale, Truppentransporter und schwimmendes Lazarett dienen sollte. Man strebte ein teilstreitkräfte-übergreifendendes Schiff an, ein Schiff also, das nicht allein von der Marine, sondern auch von Heer und Luftwaffe zu nutzen sein würde.

Die -> MTG Marinetechnik GmbH wurde beauftragt, in kurzer Zeit einen Entwurf für ein solchen "Out-of-area-Dampfer" (Der Spiegel) auszuarbeiten. Die Realisierung des Schiffs sollte nach Angaben von 1995 mindestens 500 Mio., wahrscheinlich aber über 600 Mio. DM kosten. B + V begab sich unverzüglich in die Startblöcke und meldete Interesse am Bau des Mehrzweckschiffes an.1 Die Chancen für die Hamburger Werft schienen deswegen nicht schlecht, weil sie mit dem Dock Elbe 17, in dem die Nazis einst Riesenschlachtschiffe hatten bauen wollen, über die entsprechende Grossdockkapazität verfügt.

Das Projekt ist im Mai 1995 vorerst gestoppt worden - vor allem deshalb, weil in Bonn die Interessenten an anderen Rüstungsprogrammen wegen der hohen Kosten des Schiffs ihre Zustimmung verweigerten.2 Das Lobbyblatt "Wehrdienst" berichtete allerdings schon wenig später, als "Einsatzunterstützungsschiff" solle das Mehrzweckschiff in abgespeckter Form "wiedergeboren" werden (Kosten rd. 400 Mio. DM).3 Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten.

Hinweis: Nicht zu verwechseln ist das Projekt "Mehrzweckschiff" mit dem Vorhaben "Einsatzgruppenversorger"/Klasse 702. Bei letzterem handelt es sich um ein ebenfalls sehr grosses, nämlich 18.000 Tonnen verdrängendes Schiff.

Auch um den Bau der neuen Einsatzgruppenversorger (Klasse 702) hat sich B + V in einer Arbeitsgemeinschaft mit TNSW und HDW beworben. In diesem Fall hat jedoch die Gruppierung Flensburger Schiffbaugesellschaft/Lürssen/Kröger-Werft den Zuschlag erhalten. Ein Angebot hat B + V ferner für das geplante Wehrforschungs- und Erprobungsschiff abgegeben; hier soll die Auswahl des Auftragnehmers 1998 erfolgen.3a



Kapitel 3.2.5

Korvetten - ein neues Seekriegsmittel für den weltweiten Einsatz

Das Vorhaben

"Ein neuer, fast revolutionärer Schiffstyp der Bundesmarine wird im Überlebenskampf der Hamburger Werft Blohm + Voss voraussichtlich eine entscheidende Rolle spielen."4 Mit diesen dramatischen Worten umschrieb Abendblatt-Reporter G. Stiller im Januar 1997 die Tatsache, dass Rüstungs-Junkie B + V ab dem Jahr 2000 auch Korvetten für die deutsche Kriegsflotte bauen will. Insgesamt plant die Marine bis zu 15 Korvetten (Klasse 130). In zwei Losen zu acht und sieben Einheiten sollen sie von norddeutschen Werften produziert werden. Unter der Hand rechnet B + V mit einem Auftrag für bis zu fünf Korvetten.

Mit der Konzipierung des neuen Schiffstyps hat sich in den letzten Jahren die -> MTG Marinetechnik GmbH in Hamburg-Wandsbek befasst. Bemerkenswerterweise sind die Schiffe im Zuge der Planung "immer grösser" geworden.5 In den Zielvorstellungen der Marine vom März 1991 war noch verharmlosend von "Patrouillenbooten" die Rede, obwohl sie bereits damals doppelt so gross werden sollten wie die ca. 400 ts verdrängenden Schnellboote der Klasse 143. Bald waren die Planer schon bei einer Grössenordnung von über 1.000 ts angelangt. Die Marineführung entschied sich daher, die Neuentwicklung unter dem Namen `Korvette' weiterzuführen. Diese Bezeichnung ist ebenso wie `Fregatte' der - vielfach mit romantischen Vorstellungen verbundenen - Zeit der Segelkriegsschiffe entlehnt. Im 20. Jahrhundet übertrug man den Begriff `Korvette' zunächst auf Kriegsschiffe bis maximal 1.000 Tonnen; aber in deutschen Marinekreisen werden inzwischen Überwasserkriegsschiffe mit einer Verdrängung von 1.000 bis 2.000 ts als Korvetten bezeichnet. Die in den letzten Jahren gemachten Grössenangaben zu den geplanten Korvetten variieren zwischen 1.200 und über 1.800 Tonnen.

Früh ist deutlich geworden, dass die Korvettenaufträge nicht automatisch den mittleren Werften "zufallen" werden, die bisher den Schnellbootsektor dominiert haben, also Lürssen (Bremen), Abeking & Rasmussen (Lemwerder) und die Kröger-Werft (Rendburg). Denn auch die rüstungshungrigen Grosswerften zeigten rasch Interesse an diesem Segment des Kriegsschiffbaus. Der Bremer Vulkan eröffnete im Frühjahr 1992 den offenen Wettstreit um die Aufträge.(6) Zusammen mit seinem Kooperationspartner, der französischen Werft Chantiers de l'Atlantiqü, präsentierte er medienwirksam seine Angebotspalette für Patrouillenboote und Korvetten. B + V konterte sofort mit einer Alternativ-Offerte, denn die Hamburger Werft hatte 1990-92 im Rahmen einer Vorkonstruktion die Typenreihe MEKO 100 entwickelt. Dabei liess sie "eine Familie von Korvetten der Grössenklasse von 800 t bis ca. 1.900 t entstehen, die weltweit einsetzbar sind und eine klare Hochseefähigkeit besitzen."7

Anfang 1997 ist die Erwartung geäussert worden, dass der Bau auf zwei oder drei Werftkonsortien verteilt wird.

Die finanzielle Seite

1992 nannten sowohl der Bremer Vulkan als auch B + V eine Grössenordnung von 80 bis 100 Mio. DM pro Einheit. Der Bundeswehrplan 97 weist für das ab 2000 zu realisierende Korvettenprogramm ein Gesamtvolumen von 5,25 Mrd. DM aus.8 Demnach wird inzwischen schon mit einem Preis von 350 Mio. DM pro Korvette gerechnet. Es wäre ein Wunder, wenn dies das letzte Wort wäre...

Interessen, Einflussfaktoren, Hintergründe

Nach verbreiteter Darstellung "benötigt" Deutschland die Korvetten als Ersatz für die in den 70er und 80er Jahren gebauten Schnellboote der Klassen 143, 143A und 148. Demgegenüber hat ein für das Projekt zuständiger Rüstungsplaner, Kapitän zur See Bruhns, 1993 ausdrücklich erklärt, dass es sich bei der Korvette "nicht um den Nachfolger der heutigen Schnellboote handelt".9 Tatsächlich haben die beiden Kriegsschiffstypen wenig miteinander zu tun. Die mit einer Verdrängung von unter 400 Tonnen relativ kleinen Schnellboote waren seinerzeit für eine spezifische Aufgabe in einem regional begrenzten Gebiet gebaut worden: In einem Ost-West-Krieg sollten sie im Bereich der westlichen Ostsee und der Ostseezugänge den Kampf mit Kriegsschiffen des Warschauer Pakts aufnehmen. Da der Feind nicht mehr existiert, würde sich im Grunde ein Ersatz dieser Einheiten erübrigen, zumal es in der Ostsee noch die bewaffneten Schiffe des Bundesgrenzschutz-See (Küstenwache) gibt.

Die Korvetten sollen "sowohl in engen, stark gegliederten, den Küsten vorgelagerten Gewässern als auch im freien Seeraum"10 Krieg führen können. Hinsichtlich der küstennahen Einsätze wird dabei - anders als bei den Schnellbooten - weniger an den Schutz der eigenen Küste als vielmehr an "maritime Krisenoperationen" vor fremden Küsten gedacht. Marine-Inspekteur Hans-Rudolf Böhmer hat unmissverständlich erklärt: "Grösster Wert wird bei der Bewaffnung auf die Durchsetzungsfähigkeit vor der feindlichen Küste gelegt."11

Das neue Seekriegsmittel Korvette ist für "Aufgaben in der Überwasserkriegführung in allen europäischen Randmeeren" vorgesehen.12 Deshalb sollen die Schiffe "im Vergleich zu den Schnellbooten über eine erheblich grössere Seeausdaür und Seefähigkeit verfügen".13 Man träumt von "Schlachtschiffen im Miniformat". Bezugspunkt bei der Planung sind die grösseren Fregatten, mit denen die Korvetten später einmal im Verbund operieren sollen. Es ist festgelegt worden, "dass die Ausrüstung der Korvetten eine möglichst grosse Teilmenge der Fregatten Klasse 124 darstellen soll, von deren Entwicklung die Korvetten also technologisch abhängig sind".14 Darüber hinaus sollen die Korvetten wahrscheinlich mit einer spektakulären Neuentwicklung von Dornier ausgestattet werden: mit Fernlenk-Drohnen. Diese hubschrauberartigen Fluggeräte ohne Besatzung könnten nicht nur in grosser Entfernung vom Schiff gegnerische Kräfte und Schwachstellen auskundschaften, sondern auch zur "Lenkung der über den Horizont reichenden Flugkörper" eingesetzt werden.15

Wenn die Korvetten tatsächlich gebaut werden, wird Deutschland also seine Fähigkeit zur Machtprojektion auf hoher See und in Regionen ausserhalb der eigenen Küstengewässer erheblich vergrössern. Die Zahl der weltweit einsetzbaren Überwasserkampfschiffe (ohne Minenkampf- und Hilfsschiffe) würde sich von 13 im Jahr 1995 innerhalb von zwei Jahrzehnten auf 30 erhöhen. Das Korvettenprogramm muss insgesamt als eine durch keine Bedrohung zu rechtfertigende, einseitige Aufrüstungsmassnahme Deutschlands bewertet werden.

Die Schiffe sollen nicht nur wesentlich grösser werden als anfangs geplant; ihr Bau soll nun auch schon viel früher beginnen. Unverkennbar spielt hier wiederum das Drängen der Werft- und Zulieferindustrie eine grosse Rolle. Mitte 1993 hiess es noch, mit dem Bau der Korvetten sei "etwa ab dem Jahr 2010" zu rechnen.16 Ende 1993 erklärte Marine-Inspekteur Weyher, die Korvettenbeschaffung werde "nicht vor 2005 möglich sein".17 Doch nach dem Planungsstand von 1996/97 sollen bereits ab dem Jahr 2000 Beschaffungsmittel für das erste Los von acht Korvetten zur Verfügung gestellt werden, und die Indienststellung soll ab 2004/2005 erfolgen. Werftchef von Nitzsch erklärte im Januar 1997 gar: "Wir hoffen, in sechs Monaten schon die Vorbereitungen für den Bau dieser Schiffe einläuten zu können."18 Soll der Auftrag womöglich rechtzeitig vor der Bundestagswahl 1998 unter Dach und Fach gebracht werden?

Offenbar hat die Tatsache, dass die deutsche Öffentlichkeit schon die Verschwendung von Milliarden für weitere Fregatten klaglos hingenommen hat, die Lobby ermutigt, es im Korvettenbereich noch einmal zu versuchen. Wenn die Bundeswehr die Korvetten erst einmal bestellt hat, wird sich dieser Kriegsschiffstyp, so spekuliert man in der Branche, auch bestens exportieren lassen. 1995 hiess es, Fachleute hätten für die nächsten 13 Jahre weltweit einen Bedarf von bis zu 120 Korvetten ermittelt.19 Dass sich B + V weiterhin auf die mitentscheidenden Parlamentarier der SPD verlassen kann, ist beim Werftbesuch der Bundestagsabgeordneten Ernst Kastning (Haushaltsausschuss/Rüstungsbewilligungsausschuss) und Peter Zumkley (Verteidigungsausschuss) im Januar 1997 deutlich geworden. Beide Sozialdemokraten traten nachdrücklich für den Korvettenbau ein, und Zumkley bescheinigte in diesem Zusammenhang dem Gastgeber: "Die Aussichten von Blohm + Voss sind ausserordentlich günstig...".20



Kapitel 3.2.6

Reparatur und Nachrüstung von Kriegsschiffen

Die Reparaturanfälligkeit von Kriegsschiffen und das Bestreben der Marineführung, die Kampfkraft ihrer Einheiten nachträglich noch zu steigen, haben B + V seit 1980 ein zusätzliche Aufträge beschert. Die Instandsetzungsaufträge stellten, wie nicht allein für das Geschäftsjahr 1987 festzustellen war, "einen wesentlichen Beitrag für die Gesamtauslastung" des Reparaturbereichs dar.21 Durchschnittlich lagen bzw. liegen etwa zwei Kampfschiffe pro Jahr zu grösseren Reparaturen oder Umbauten bei B + V. Bis 1987 waren dies vorwiegend ältere Zerstörer, danach vor allem die neueren Fregatten. Es gibt wohl keine der acht F-122-Fregatten, die nicht schon einmal bei B + V eingedockt gewesen ist.22

Vergab die Bundesmarine Instandsetzungsaufträge früher direkt und ohne Wettbewerb, werden sie seit 1991 grundsätzlich im Wettbewerb vergeben.23 Durch die Einbeziehung von Werften aus Mecklenburg-Vorpommern ist der Kreis der Wettbewerber grösser geworden, was auch B + V zu spüren bekommen hat. 1992 klagten die Hamburger, die Umsätze aus der Marine-Reparatur seien "deutlich rückläufig". Aber schon 1993 sorgten "Reparaturaufträge für zwei Fregatten an der Werft und verschiedene Aufträge im Marinearsenal" wieder für die gewünschte Stabilisierung.24 Allein eine sog. Depot-Instandsetzung, bei der die Fregatte "Köln" 1992/93 im B+V-Dock 11 weitestgehend auseinandergenommen und dann wieder zusammengebaut wurde, dauerte acht Monate.25 Im Geschäftsjahr 1995 meldete B + V die Generalüberholung von drei Fregatten.

Zu den bedeutendsten Nachrüstungsmassnahmen der Marine gehörte in den letzten Jahren die Einführung des neuen Flugkörper-Abwehrsystem RAM. Bei B + V wurden 1993 die Fregatte "Rheinland-Pfalz" und 1995 die Fregatte "Augsburg" mit dem Waffensystem RAM ausgerüstet.26




Anmerkungen:

(1) Die Welt (Hamburg) 2.3.1995.
(2) Näheres hierzu im Abschnitt zur MTG Marinetechnik GmbH.
(3) Wehrdienst Nr. 26/26.6.1995, S. 1.
(3a) SuT 12/1997, S. 714f. .
(4) Hamburger Abendblatt 23.1.1997.
(5) Wehrdienst Nr. 13/27.3.1995, S. 1.
(6) Zum Folgenden Hamburger Abendblatt 26. und 27.3.1992.
(7) Schiff & Hafen Nr. 12/1996, S. 37.
(8) Wehrdienst Nr. 29/15.7.1996, S. 2.
(9) Wehrtechnik Nr. 3/1993, S. 41.
(10) Wehrtechnik Nr. 8/1995, S. 36.
(11) Schiff und Hafen Nr. 1/1997, S. 33.
(12) Wehrtechnik Nr. 3/1993, S. 38.
(13) Schiff & Hafen Nr. 1/1995, S. 37.
(14) Wehrtechnik Nr. 8/1995, S. 37.
(15) Ebd., S. 38; Schiff & Hafen Nr. 12/1996, S. 35.
(16) Wehrtechnik Nr. 7/1993, S. 9.
(17) Wehrtechnik Nr. 12/1993, S. 46.
(18) Hamburger Abendblatt 23.1.1997.
(19) Marineforum Nr. 7/8-1995, S. 30.
(20) Zit. nach Hamburger Abendblatt 23.1.1997.
(21) Blohm + Voss: Geschäftsbericht 1987, S. 8.
(22)Nachweisbar sind folgende Werftaufenthalte: Fregatte „Niedersachsen“ 1988 und 1990, Fregatte „Bremen“ 1989/90 und 1995, Fregatte „Köln“ 1992/93, Fregatte „Rheinland-Pfalz“ ca. 1993, Fregatte „Karlsruhe“ 1995, Fregatte „Augsburg“ 1995.
(23) Vgl. Wehrdienst Nr. 13/27.3.1995, S. 1.
(24) Blohm + Voss: Geschäftsbericht 1992, S. 18, und Geschäftsbericht 1993, S. 20.
(25) Hamburger Abendblatt 13.4.1993.
(26) Wehrtechnik Nr. 9/1993, S. 45; Marineforum Nr. 7/8-1995, S. 28.