Dieses Dokument ist Teil des Buches Wie geschmiert - Rüstungsproduktion und Waffenhandel im Raum Hamburg, 1998
Kapitel 2
Kapitel 2.1.
Die Werft wurde 1877 durch den Lübecker Kaufmann Hermann Blohm und den aus der Nähe von Rendsburg stammenden Ingenieur Ernst Voss gegründet. 1 Der Hamburger Senat verpachtete ihnen ein Betriebsgelände auf der bis dahin unbebauten Elbinsel Kuhwerder. Nach bescheidenen Anfängen auf handwerklicher Basis liess der Bau von Fracht- und Passagierschiffen für den Überseeverkehr die Werft innerhalb der ersten beiden Jahrzehnten ihres Bestehens zu einem bedeutenden Industrieunternehmen mit fast 4.000 Beschäftigten aufsteigen.
Von den beiden Gründern erwies sich bald Hermann Blohm als die beherrschende Gestalt (Ernst Voss schied 1910 aus der Firmenleitung aus). Er hatte ein ausgeprägtes Gespür für etwas, was für das Unternehmen bis heute kennzeichnend ist: überdurchschnittlich gute Beziehungen zur politischen Macht. 1880 heiratete er in die einflußreiche Hamburger Senatorenfamilie Westphal ein. Sein Schwager, Senator Otto E. Westphal, sass viele Jahre im Aufsichtsrat von B + V. (Die Familienbande wirkte noch lange nach. Ein Westphal-Nachfahre wurde 1958 Chefsyndikus bei B + V: Dr. Jürgen Westphal, der ab 1966 auch als CDU-Bürgerschaftsabgeordneter und 1972-85 als schleswig-holsteinischer Wirtschaftsminister die norddeutsche Schiffbaupolitik mitprägen sollte.) Von grösstem Wert war die Tatsache, dass das Unternehmen sich das deutsche Kaiserhaus frühzeitig geneigt machen konnte; im Dezember 1895 verzeichnete B + V den ersten Besuch von Kaiser Wilhelm II. Hermann Blohm war zugleich als führender Vertreter diverser Arbeitgeber- und Industrieverbände ein unerbittlicher Gegner der Arbeiterbewegung; nach den Worten des Historikers Hans-Joachim Bieber tat er sich als "kompromissloser Scharfmacher" hervor. 2 Gerne hätte er der aufstrebenden Sozialdemokratie "einen vernichtenden Schlag"3 beigebracht (was 1977 den SPD-geführten Hamburger Senat nicht hindern sollte, die Strasse "Grevendamm" in "Hermann-Blohm-Strasse" umzubenennen).
Der Kriegsschiffbau spielte im ersten Jahrzehnt der Unternehmensgeschichte überhaupt keine, im zweiten nur eine untergeordnete Rolle. Unter den ersten 130 Baunummern befand sich ein einziges Kriegsschiff: der Kleine Kreuzer "Condor" (1892), mit dem das Deutsche Kaiserreich seine Kolonien schützen wollte. Erst die Verabschiedung der Flottengesetze von 1898 und 1900 bescherte B + V kontinuierlich Rüstungsaufträge - Investitionen in den Ersten Weltkrieg. "Bitter not ist uns eine starke deutsche Flotte", tönte Kaiser Wilhelm II. im Hamburger Rathaus, als am 18. Oktober 1899 das erste Grosskampfschiff bei B + V ("Kaiser Karl der Grosse") vom Stapel lief. Der Kriegsschiffbau entwickelte sich nun zu einem Fertigungsschwerpunkt, der höhere Gewinne abwarf als die zivile Produktion. 4 Auch bewahrte er die Werft, als die grossen Überkapazitäten 1907-09 zu einer schweren Krise im Handelsschiffbau führten, erstmals vor dem Aus. Die Kaiserliche Marine unter Tirpitz bestellte damals kurz nacheinander drei grosse Schlachtkreuzer,
was dem Gegenwert von mindestens 20 mittelgrossen Handelsschiffen entsprach. Als Tirpitz 1911 daran dachte, den Auftrag zum Bau des nächsten Schlachtkreuzers "Derfflinger" einmal an eine andere Werft zu vergeben, intervenierte Kaiser Wilhelm II. persönlich und ordnete an, wiederum B + V den Zuschlag zu geben.5 Insgesamt baute B + V von 1898 bis zum Kriegsbeginn 1914 neun grosse Kampfschiffe und einen kleinen Kreuzer.
Ab 1907 verstärkte B + V auch seine Aktivitäten im Bereich des Rüstungsexports. Besondere Hoffnungen setzte die Werft in die Aufrüstungspläne des zaristischen Russland.6 Bereits im Zusammenhang mit dem russisch-japanischen Krieg von 1904/05 hatte B + V drei Handelsschiffe in Hilfsschiffe für die russische Marine umgebaut. Mit politischer Protektion des deutschen Kaiserhauses und unter Einsatz von Schmiergeld konnte B + V dann 1908 einen russischen Kriegsschiffswettbewerb gewinnen. Ab 1911 entstand in St. Petersburg unter der Leitung von B+V-Ingenieuren eine neue Werft, die der russischen Marine die Realisierung ihres Rüstungsprogramms ermöglichen sollte. Als die SPD im Februar 1914 die Rüstungsgeschäfte mit Russland im Reichstag anprangerte, verteidigte Grossadmiral Tirpitz diese mit Worten, wie sie auch aus heutigen Diskussionen vertraut sind: "Wenn unsere Firmen den Bau (der russischen Flotte, d.Verf.) ablehnen, wird sie eben von anderen gebaut. Wir bemühen uns ja gerade, für unsere Privatindustrie Arbeit zu schaffen." Ein halbes Jahr nach dieser Erklärung befand sich das Deutsche Reich mit Russland im Kriegszustand.
Das Kriegsgeschehen liess - zumindest für den, der es sehen wollte - den verschwenderischen und todbringenden Charakter der deutschen Flottenrüstung schnell deutlich werden. Am Ende des ersten Kriegsjahrs lagen drei bei B + V gebaute Grosskampfschiffe bereits auf dem Meeresgrund: Der Panzerkreuzer "Yorck" sank am 4. November in der Jade, nachdem er auf eine eigene Minensperre gelaufen war; seinem Schwesterschiff "Friedrich Carl" wurden am 17. November Minentreffer in der Ostsee zum Verhängnis, und der Grosse Kreuzer "Scharnhorst" wurde nach einem fehlgeschlagenen deutschen Angriff auf die Falkland-Inseln am 8. Dezember von britischen Kriegsschiffen versenkt - von den 860 Mann Besatzung überlebte kein einziger. B + V verdiente weiter gut.7 1915 nahm die Werft die Serienproduktion von U-Booten auf, nachdem die deutsche Kriegsführung den U-Boot-Krieg gegen die gegnerische Handelsschiffahrt befohlen hatte. Bis Kriegsende lieferte B + V 98 U-Boote an die Marine ab; auf keiner anderen deutschen Werft wurden damals mehr gebaut. Die Zahl der Beschäftigten, die infolge des Kriegsausbruchs zunächst von fast 11.000 auf 7.200 zurückgegangen war, stieg 1917/18 auf über 12.000 an. Dabei wurden auch Frauen eingesetzt, ebenso Kriegsgefangene (zuletzt 600 Russen, Engländer und Franzosen).8
Während in der organisierten Arbeiterschaft ab 1916 die Forderung "Nieder mit dem Krieg" lauter wurde und in den Arbeiterstadtteilen Barmbek und Hammerbrook Hungerunruhen ausbrachen, propagierten die Werftbesitzer die Fortsetzung des Krieges. Hermann Blohm und sein Sohn Rudolf riefen 1917 zusammen mit anderen Vertretern der Hamburger Führungsschicht zur Gründung eines Hamburger Landesvereins der Deutschen Vaterlandspartei auf, die Durchhalteparolen verbreiten sollte.9 Als Hamburgs Werftarbeiter Ende Januar 1918 in den Streik traten, wurden B + V und drei weitere Hamburger Werften unter militärische Leitung gestellt, wodurch die Fortsetzung der Kriegsproduktion erzwungen wurde. Aber nur noch für einige Monate, denn nach dem Waffenstillstand vom 11. November 1918, der die deutsche Niederlage besiegelte, durfte an den Kriegsschiffen nicht mehr weitergearbeitet werden. Mit dem Abwracken der nicht fertiggestellten U-Boote unter der Aufsicht der Sieger fand die erste Rüstungsphase bei B + V ihr Ende.
Nach dem Rückzug von Hermann Blohm aus dem Geschäft lag die Leitung der Werft ab 1918 bei seinen Söhnen Rudolf und Walther Blohm. Sie regierten die Werft weiter mit harter Hand gegen Arbeiterforderungen. Im August 1923 kam es in Hamburg zu Unruhen, weil B + V wegen des inflationsbedingten Bargeldmangels kurzerhand 8.000 Arbeiter aussperren und die Lohnkassen schliessen liess. Die politische Heimat der Blohms war während der Weimarer Republik die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) - die Partei jener bürgerlich-nationalistischen Kreise, die der Kaiserzeit nachtraürten, eine militärische Revanche anstrebten und der jungen Republik in offener Feindschaft gegenüberstanden. Schon Anfang 1924 war es beschlossene Sache, dass das erste vom Hamburger DNVP-Landesverband zu besetzende Reichstagsmandat der Firma B + V zufallen sollte.10 So zog Werftdirektor Carl-Gottfried Gok nach der Wahl als DNVP-Abgeordneter in den Deutschen Reichstag ein und vertrat dort extrem reaktionäre Positionen. Walther Blohm wurde 1926 als Vertreter des Hamburger DNVP-Landesverbandes, der in einer stark antisemitischen Tradition stand, Bürgerschaftsabgeordneter. Sein Bruder Rudolf Blohm nahm im Oktober 1931 an dem Harzburger Treffen teil, auf dem Nationalsozialisten, Deutschnationale und andere rechtsextreme Kräfte ein Bündnis schlossen.
Da Deutschland aufgrund des Versailler Vertrags einen grossen Teil seiner Handelsflotte an die Siegermächte hatte abgeben müssen, war ab 1921 die Nachfrage der Schiffahrtsgesellschaften nach neuen Handelsschiffen gross. Zwischen 1922 und 1930 liefen bei B + V vierzig Schiffe für den Transport von Gütern und/oder Menschen vom Stapel; das grösste von ihnen war das vom Norddeutschen Lloyd bestellte Fahrgastschiff "Europa" mit fast 50.000 BRT. Dann führte jedoch die Weltwirtschaftskrise zum völligen Niedergang des Handelsschiffbaus im Jahre 1932. Die Werftbelegschaft schrumpfte von über 11.000 Beschäftigten (1929) auf weniger als 2.200 (1932) zusammen.
Anmerkungen:
(9) Volker Ullrich: Kriegsalltag. Hamburg im ersten Weltkrieg, Köln 1982, S. 123ff.
(10) Reinhard Behrens: Die Deutschnationalen in Hamburg 1918-1933, Diss. Hamburg 1973, S. 296