Sommer 2001

"Goldene Hakenkralle": BKA und Verfassungsschutz ermitteln seit 5 Jahren

Zehntausende von Telefongesprächen abgehört

Vor 2 Jahren, am 6. Juli 1999, durchsuchten mehrere hundert Beamte des BKA 13 Wohnungen in Berlin, Hamburg, Bremen und im Wendland. Anlass war ein seit Anfang 1997 laufendes Ermittlungsverfahren nach § 129a. Den Beschuldigten wird von der BAW die Beteiligung u.a. an Hakenkrallenanschlägen auf die Deutsche Bahn im Zusammenhang mit Castor-Transporten vorgehalten. Nach 5 Jahren Ermittlungstätigkeit tröpfeln jetzt bei einigen Beschuldigten die ersten Aktenauszüge ein. Die bisher zugänglichen 7000 Ermittlungsseiten, die nach Einschätzung der Anwälte allerhöchstens 5-10% des gesamten Aktenmaterials darstellen, lesen sich wie ein Tätigkeitsbericht einer Hundertschaft der bundesdeutschen Geheimdienste. Denn das wenige, was aus den Akten konkret hervorgeht, sind Belege für die wohl größte Überwachungsmaßname gegen die bundesdeutsche Anti-Akw-Bewegung in den letzten 20 Jahren.

Das Tätigkeitsfeld der Herrn des Morgengrauens reicht über jahrlange Telefonabhörorgien gegen einzelne Beschuldigte oder Wohngemeinschaften, Einbau von Wanzen, direkte Observation durch Staatschutzkommandos bis hin zum direkten Lauschangriff mit oder ohne richterliche Genehmigung. Bei den Überwachungsmaßnahmen wurden neben privaten Telefonaten vor allem Telefonate von politisch aktiven Menschen aufgezeichnet, darunter auch zahlreiche Gespräche mit Abgeordneten des Bundestages und des Berliner Landtages. Allerdings finden sich in den bisher zugänglichen Akten nur wenige zusammengekürzte Auszüge abgehörter Telefongespräche.

Da in Berlin einige der Beschuldigten seit mehr als 10 Jahren regen Kontakt mit linken LandtagspolitikerInnen pflegten im Zuge von Bündnisaktionen gegen Militäraufmärsche, Antifa-Aktionen und der Olympiabewerbung, ist davon auszugehen, dass hier die Geheimdienste auch mitgelauscht haben.

Die Ermittlungen gegen das AOK in Berlin

Besonders interessant in dem Ermittlungsverfahren "Goldene Hakenkralle" für die Staatsschützer scheint dabei das ehemalige Berliner Anti-Olympia-Komitee (AOK ) zu sein.

Hier vermutet die Bundesanwaltschaft (BAW) und das BKA die "Kader der Autonomen Gruppen", die laut Bekennerschreiben vom Oktober 1996 und Februar 1997 für 2 Anschlagserien auf die Deutsche Bahn verantwortlich sind.

Der VS erstellte offenbar 1995/96 über das eine umfangreiche bis heute geheimgehaltene Expertise. Daraus ist bisher nur ein kurzer Satz bekannt geworden. Das "AOK ist eine terroristische Vereinigung".

Das ist zumindest ungewöhnlich, da das AOK eine öffentlich arbeitende Gruppe war und nie durch nächtliche klandestine Aktivitäten der Berliner Polizei Arbeit verschaffte. Das AOK arbeitete seit 1991 gegen die Bewerbung Berlins für die Olympiade 2000 und trug entscheidend mit dazu bei, dass Berlin im September 1993 mit nur 9 Stimmen weit abgeschlagen bei den IOC-Bonzen durchfiel. Das AOK arbeitete nach dem Olympiadesaster für den Berliner Senat vor allem auf dem Sektor des Anti-Militarismus weiter und mobilisierte zusammen mit linken Abgeordneten der Grünen und der PDS gegen die Bundeswehraufmärsche in der neuen Hauptstadt. Da sich das AOK nie von militanten Aktionen gegen die Olympiasponsoren distanzierte, sondern Sachbeschädigungen als einen "integralen Bestandteil des Widerstandes" einstufte, so formulierte es einmal ein AOK-Mitglied auf einer Pressekonferenz, geriet es wohl in das Fadenkreuz der Staatsschützer. Vollends verdächtig machte sich das AOK durch Aufrufe und Mobilisierungen zur revolutionären 1. Mai-Demo, worin sich die autonomen OlympiagegnerInnen deutlich von den Stalinisten und orthodoxen Kommunisten und Parteiaufbauern abgrenzten.

Die große Palette des Lauschangriffs

Die Ermittlungstätigkeiten in Form von Telefonüberwachungen, Aufhebung des Briefgeheimnisses und gelegentliche Observationstätigkeit dauern mindestens bis in den Herbst 2000 an. Hier eine kleine Auswahl:

Vorsichtigen Schätzungen zufolge umfasst der Personenkreis, deren Telefongesprächein in den Ermitttlungsverfahren "Goldene Hakenkralle" und AOK über Monate, Jahre abgehört worden sind, ohne dass sie davon in Kenntnis gesetzt worden sind, mehr als 2000 (!) Menschen.

Die Zahl der abgehörten Telefongespräche kann nur geschätzt werden. In einer Kreuzberger WG wohnen vier Beschuldigte und drei sogenannte "Betroffene". Allein in dieser WG werden pro Jahr mehr als 5000 Telefonate geführt. Alle abgehört und das seit Jahren!

Die Ermittlungstätigkeiten konzentrieren sich in den letzten Monaten aber offenbar auf die Beschuldigten und deren Umfeld aus dem Wendland und dem Kreis Lüneburg. Dies sind alles Menschen, die seit fast 20 Jahren gegen die bundesdeutsche Atompolitik und gegen den Castor kämpfen.

Da wo der Castor rollt nervt das BKA

Gebracht hat dies der BAW nichts. Jedenfalls konnten sie bislang weder eine einzige der mehr als 160 Hakenkrallen bei den Beschuldigten auffinden, noch konnten weitere Anschläge auf Castor-Transportstrecken verhindert werden.

Die Frustration der Geheimdienstpolizisten findet dafür andere Ventile. Diese haben zwar mit eigentlichen Ziel der Ermittlungen nicht zu tun, machen dafür aber das Leben der Beschuldigten trotzdem schwer. Die Ermittlungsbeamten haben in den 129a Verfahren alle Freiheiten. Sie haben wie in Verfahren gegen die "organisierte Kriminalität" alle Handlungsvollmachten der Welt und können u.a. sämtliche Bankkonten und Geschäftsunterlagen der Beschuldigten und die ihrer Verwandten und FreundInnen überprüfen. Aus dieser umfangreichen Palette von kleinen Schikanen seien einige aufgezählt:

Diese beständigen Nervereinen sind nun nichts ungewöhnliches in dieser Republik. Nur glauben wir, dass die zuständigen Beamten in gewissem Sinne dafür etwas überqualifiziert sind.

Trotz der Misserfolge auf der Suche nach Beweismaterial geben die Herrn mit Schlapphut nicht so schnell auf. In den letzten zwei Jahren wurden fast 50 Vorladungen zum BKA bzw. zur BAW ausgesprochen. Insbesondere haben sich die Herrn aus Karlsruhe dabei auf eine Ehepaar aus Lüneburg eingeschossen. Aus dem Bekanntenkreis dieses Paares wurden mittlerweile 14 Personen vorgeladen. Vereinzelt ist zu Vernehmungen gekommen, ohne dass dabei aber für die Bullen Substanzielles heraussprang. Es wurde nur Banales bestätigt, nämlich das es sich bei den Beschuldigten, wie nicht anders erwartet, um Akw-GegnerInnen handelt. Beim letzten Castortransport im März kreiste tagelang eine BGS-Hubschrauber über dem Anwesen des Ehepaars.

Bemerkenswert in diesem Verfahren ist auch, dass die BAW immer neue Verdächtigungen gegenüber einzelnen Beschuldigten auftischt. Da verwertbare Aussagen der Vorgeladenen ausbleiben musste im letzten Jahr auch der neue Allround-Kronzeuge in Sachen Linksradikalismus Tarek Mousli in die Bresche springen. Wie im Zusammenhang mit dem laufenden Berliner RZ-Prozess bekannt wurde, ist Mousli auch über seine Kenntnisse zur "Goldenen Hakenkralle" vernommen worden. Offenbar konnte er dazu aber auch nix Konkretes sagen, außer dass er einzelne Beschuldigte verdächtigte, Kenntnisse im Umlegen von Strommasten zu haben.

Von der Castorgruppe Dahlenburg bis zur RZ wird versucht einen großen Zusammenhang zu konstruieren, den es zwar so nur in der Phantasiewelt der Bullen gibt, der aber als funktionale Arbeitsgrundlage dient, weite Teile der Linken und Linksradikalen in der BRD, und hier besonders den Anti-Castor-Widerstand, zu kriminalisieren. Um so erfreulichern war beim letzten Castor zu beobachten, dass alle wieder da waren und an den verschiedensten Orten auf die unterschiedlichste Art und Weise aktiv waren.

Einige GenossInnen aus Berlin

Solidaritätsgruppe Hakenkralle Berlin und Vereinigte Juwel-RaucherInnen Berlin.
Solidaritätskonto: Rote Hilfe, Stichwort Ehrenwort
Kontonr.: 718 9590 600
Berliner Bank, BLZ: 100 200 00