Seit Sonntag verharren kurdische Flüchtlinge in zwei Oberhausener Kirchen, um ihrer drohenden Abschiebung zu entgehen. Die Gemeinden fühlen sich überrumpelt
Oberhausen (taz ruhr) - Die Messe in der Oberhausener Christ-König-Kirche
ist zu Ende. Pfarrer Hans-Jürgen Vogel kehrt in die Sakristei zurück.
Doch der Kirchenraum lehrt sich nicht völlig. Einige Besucher des
Gottesdienstes bleiben auf den harten Bänken sitzen- nicht um zu beten.
Die kurdischen Flüchtlinge hoffen, daß die Kirche sie vor
den staatlichen Organen schützt. Ihnen droht die Abschiebung in die
Türkei.
"Das war unsere letzte Chance", sagt Duran Odun. Er ist einer von 72
Kurden, die am vergangenen Sonntag in Begleitung einiger deutscher Unterstützer
Zuflucht in zwei Oberhausener Kirchen suchten. Unangekündigt waren
die Flüchtlinge im Sonntagsgottesdienst der evangelischen Gemeinde
Buschhausen und der Messe des katholischen Pfarrers Vogel erschienen. Und
in den Gotteshäusern geblieben - ohne zuvor Absprachen mit Gemeindevertretern
getroffen zu haben.
Den schutzsuchenden Kurden schien die Aktion unausweichlich. In Nordrhein-Westfalen
gibt es achtzig Kirchengemeinden, die Flüchtlingen seit einem Jahr
abwechselnd Asyl gewähren. Doch es gibt mehr von Abschiebung Bedrohte
als die Aktion Wanderkirchenasyl betreuen kann. Für die 72 Kurden
konnten die beteiligten Gemeinden nicht sorgen. Sie sind ohnehin überlastet.
Die beiden Oberhausener Pfarrer sind über die Vorgehensweise ihrer
72 Besucher verärgert. Jürgen Drescher von der evangelischen
Gemeinde Buschhausen ist befremdet über "die Art, wie die Aktion in
Szene gesetzt wurde". Sein Kollege Vogel hat schon häufiger Flüchtlinge
unterstüzt, doch das Verhalten der ausharrenden Messe-Besucher findet
er "dreist". "Wir sind vor vollendete Tatsachen gestellt worden", klagt
er. Trotzdem haben die Kirchenmänner Verständnis für die
Flüchtlinge. "Nach allem, was ich über die Folgen von Abschiebungen
insbesondere in die Türkei weiß, gehe ich davon
aus, daß in solch einem Fall eine reale Gefährdung von Leib
und Leben dieser Flüchtlinge besteht", so Drescher.
Eine durchaus angemessene Einschätzung, wie das Beispiel Duran
Odun zeigt. "Ich wollte nicht gegen mein eigenes Volk kämpfen", berichtet
er. Er verweigerte den Kriegsdienst in der türkischen Armee. Und wurde
deswegen inhaftiert und gefoltert. Die deutschen Behörden lehnten
seinen Asylantrag ab und veranlaßten Oduns Abschiebung. Das war im
vergangenen Juli. Noch auf
dem Istanbuler Flughafen wurde er verhaftet. Schließlich gelang
ihm die erneute Flucht nach Deutschland. Von seinem Vater, der mit ihm
abgeschoben wurde, fehlt bis heute jedes Lebenszeichen.
"Wir greifen nach jedem Strohhalm", sagt Odun heute. "Solange wir einen
relativ sicheren Platz haben, sind wir ein bißchen beruhigt." Die
kurdischen Flüchtlinge campieren nun auf Matratzenlagern in den beiden
Oberhausener Kirchen. Die Verpflegung der Flüchtlinge ist durch die
"Essener Tafel"
gesichert, einer Organisation der Obdachlosenhilfe. "Das ist alles
sehr improvisiert. Und die sanitären Verhältnisse sind sehr schlecht",
erklärt Drescher.
Der Pfarrer beklagt zudem, daß es bisher noch nicht zu Gesprächen
über die konkreten Ziele der Flüchtlinge und die Perspektiven
der Aktion gekommen ist. Kollege Vogel will den Flüchtlingen "grundsätzlich
helfen" und sieht die Gefahren, die ihnen im Falle einer Abschiebung drohen.
Doch er hält das Wanderkirchenasyl schlicht für perspektivlos:
Es sei "kein geeignetes Mittel, den kurdischen Flüchtlingen wirksam
zu helfen" Sein Appell: Jede Gemeinde solle eine Familie aufnehmen, die
dann auch persönlich betreut werden könne. Der Geistliche plädiert
zwar für eine Veränderung des
gegenwärtigen Asylrechts, doch er fühlt sich durch die Aktion
für politische Zwecke instrumentalisiert. Ein Kirchenasyl könne
nur das letzte Mittel sein, um "einzelnen Familien oder Personen Zeit zu
verschaffen, damit ihr Asylgesuch bis in die letzten Details geprüft
werden kann."
Die Flüchtlinge und ihre Unterstützer glauben indes nicht,
daß die "menschenverachtende Abschiebepolitik des deutschen Staates"
durch eine detailierte Prüfung von Asylanträgen beendet werden
kann. Sie argumentieren, daß Deutschland die Türkei "nach wie
vor auf militärischer und
wirtschaftlicher Ebene unterstützt, weiterhin skrupellos Kurdinnen
und Kurden in die Türkei abschiebt." Vehement fordern sie die Solidarität
der beiden Kirchengemeinden ein: "Wenn man bedenkt, in welcher Situation
sich die Flüchtlinge befinden, sollten finanzielle oder organisatorische
Probleme keine Rolle spielen", sagt ein Unterstützer.
Die in die Pflicht genommenen Kirchengemeinden haben zunächst
zugesagt, daß die Flüchtlinge einige Tage in ihren Räumlichkeiten
bleiben dürfen.
Weiterreichende Entscheidungen wurden bislang noch nicht getroffen.
Doch deutet vieles darauf hin, daß sich alle Beteiligten auf ein
längeres Bleiben der Flüchtlinge einstellen.
Marcus Meier / Annika Joeres