Für eine linke Strömung

Mayday 2007: Guck mal, wer da spricht

FelS, 06.02.2007

Da die Diskussion darüber, wie der Mayday 2007 in Berlin gestaltet werden soll, nun bereits bei indymedia geführt wird, wollen wir auch kurz dazu Stellung nehmen.

Mayday 2007
Mayday 2007

There comes a time, when we need a certain call...

Vorweg: Wir freuen uns über das Interesse am Mayday 2007 und sind natürlich bereit, die Diskussion darüber auch jenseits von Arranca!-Artikeln und den ersten Bündnistreffen zu führen. Uns ist klar, dass unsere Einladungen und Stellungnahmen zum Mayday, und auch die Beiträge auf dem Bündnistreffen sozusagen öffentliche Beiträge sind und damit freigegeben zur Weiterleitung. Was uns irritiert, dass eineR unserer (potentiellen?) BündnisparterInnen einen Bericht vom Vorbereitungstreffen inklusive Positionierung postet, ohne dazu zu schreiben, in wessen Namen er oder sie spricht. JedeR, der oder die an einem Bündnis teilnimmt, kann sich dazu nach Lust und Laune positionieren. Sofern es um die Auseinandersetzung im Bündnis geht, sollte man sich aber auch zu erkennen geben. Ansonsten liegt der Verdacht nahe, dass hier ein kleines machtpolitisches Spielchen gespielt werden soll – über die (indy-lesende linke) Öffentlichkeit Druck aufbauen, um die eigene Position im Bündnis durchzusetzen. Den Beitrag in erster Version im Namen unserer PressesprecherInnen zu veröffentlichen, trägt auch nicht unbedingt dazu bei, diese Vermutung zu zerstreuen. Das beflügelt so richtig unser Vertrauen in die politische Ernsthaftigkeit unseres(r potentiellen/r Bündnispartner/in, vom dem/der wir ja nicht wissen, wer’s ist.

MaydayDer/die AutorIn des indymedia-Beitrags nimmt die beliebte, weil so symphatische, Mittelposition ein. Wenn es links und rechts nur Verbohrte gibt, die auf Biegen und Brechen an ihren Konzepten festhalten wollen, bietet sich der Mittelweg natürlich an. Nur dass darin eben auch eine Positionierung für eine der beiden Varianten steckt, in dem Fall dafür, das Zustandekommen eines Bündnisses mit möglichst vielen Gruppen aus Berlins linker Szene über die inhaltliche Ausrichtung der Demo/Parade zu stellen. Wir wollen im Folgenden unsere Position zum Thema erläutern. Wir unterzeichnen den Beitrag mit unserem Namen, damit jeder nachvollziehen kann, wer hier spricht.

...when the world must come together as one.

Zentral geht es unseres Erachtens um zwei Fragen. Einmal darum, in welche Tradition sich die Demonstration am 1. Mai stellt, was inhaltlich rübergebracht werden soll. Das drückt sich u.a. in der Auseinandersetzung um den Namen der Veranstaltung aus. Zum zweiten geht es um die Frage, ob man in der Mobilisierung auf die Randale abhebt oder nicht.

Es gibt einige, die wünschen sich eine möglichst große möglichst linksradikale Demonstration, so ähnlich wie es das bis vor drei oder vier Jahren regelmäßig gab am 1. Mai in Berlin. Unter der Losung „Auf zum revolutionären 1. Mai“ oder „Smash Capitalism“ oder „1. Mai – Kapitalismus abschaffen“ o.ä. soll die radikale Linke auf die Straße gehen und die Herrschenden das Fürchten lehren. Dabei geht es vor allem darum, die eigene revolutionäre Identität hoch zu halten, gemäß der Devise „Wir sind revolutionär, weil wir revolutionär sind“ (bzw. „Wir sind revolutionär, weil wir den Kapitalismus abschaffen/den Kommunismus/die Räterepublik/die Anarchie errichten wollen“). Wie das denn geschehen könnte, was man sich unter Kapitalismus-Abschaffen/Kommunismus-Aufbauen heutzutage eigentlich vorstellen soll, bleibt jedoch im Dunkeln. Und so ist es auch nicht weiter schlimm, wenn sich vor und nach der erfolgreichen revolutionären 1. Mai Demo eine weitere Zusammenarbeit nicht einstellen will. Wenn die bürgerliche Öffentlichkeit nur vernommen hat, dass es noch Revolutionäre (respektive „Chaoten“, „Randalierer“ oder „Autonome“) gibt, dann ist der revolutionären Pflicht genüge getan und man kann wieder zum Alltagsgeschäft übergehen bzw. auf die nächste revolutionäre 1. Mai Demo warten, wo man der Welt dann wieder mitteilt, wie revolutionär man ist und immer so weiter.

MaydayDass eine Demonstration, auf der man mit ein paar tausend Leuten die Revolution fordert, an sich noch keine öffentliche Aufmerksamkeit sichert, wissen wir bspw. aufgrund des LL(L)-Gedenkens, der größten jährlich stattfindenden, linksradikalen Veranstaltung in Deutschland. Bis zu hunderttausend Menschen, die sich auf die eine oder andere Weise zur Überwindung des Kapitalismus bekennen, kommen dort zusammen, um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu gedenken. Dennoch beschränkt sich die öffentliche Aufmerksamkeit für diese Veranstaltung auf ein paar kleine Artikel und die erstaunte Zur-Kenntnisnahme (wenn überhaupt), dass es so was noch gibt. Dass der 1. Mai in Berlin jahrelang das Event des Jahres war für die radikale Linke, die Polizei, Teile der Kreuzberger Bevölkerung und die Boulevardpresse liegt also nicht nur daran, dass dort die Revolution proklamiert wurde. Es liegt – Achtung: neue Erkenntnis – an der Randale, mit der gedroht wurde und die dann auch tatsächlich Jahr für Jahr stattgefunden hat. Sicher, man kann darüber streiten, ob es so revolutionär ist, dass einmal im Jahr in Kreuzberg Autos gebrannt haben und die Polizei für ein paar Stunden mit einer unkontrollierten Lage konfrontiert war. Schließlich gab es darüber hinaus nicht viel, was die am Riot beteiligten geeint hat. Aber immerhin war die Randale ein Ausdruck des Widerspruchs zur bürgerlichen Politik und ein Moment, wo man dem Frust und der Wut auf Staat und Polizei mal an der entsprechenden Stelle Luft machen konnte.

We are the world, we are the children...

Das ist anders geworden. In den vergangenen Jahren war die radikale Linke Berlins nicht mehr in der Lage, der angedrohten Konfrontation mit der Staatsmacht Taten folgen zu lassen. Die Strategie, der Randale mit dem Myfest das Umfeld zu entziehen, ist aufgegangen. Auch die Polizei ist besser geworden, und nicht ganz zu Unrecht wirken die drakonischen Strafen (Gefängnis für einen Steinwurf!) zunehmend abschreckend. Nicht zuletzt auch deshalb – glauben wir wenigstens – weil immer weniger klar ist, wofür man das Risiko eigentlich eingehen soll.

Wenn man jetzt den Schwerpunkt des 1. Mai darauf legen will, zum tausendundersten Mal die Backen aufzublasen, was man wieder für eine Wahnsinns-Randale liefern wird (die dann vermutlich ausbleibt), dann ist das im besten Fall einfallslos. Natürlich ist der 20ste Jahrestag des Kiez-Aufstands ein Ereignis, an das es sich zu erinnern lohnt. Ob man das zu einem der inhaltlichen Schwerpunkte der 1. Mai Demonstration machen muss, bezweifeln wir aber. Es geht uns nicht darum, diesem Ereignis nachträglich die Legitimität abzusprechen, sämtliche Verbindungen in die Vergangenheit zu kappen oder ähnliches. Wir denken aber, wenn sich zeigt, dass man mit einem Konzept nicht weiter kommt – und mit dem Konzept „Revolutionäre 1. Mai-Demo“ kommt man unseres Erachtens nicht weiter – dann sollte man etwas neues ausprobieren und auch so ehrlich sein, sich zu dem neuem zu bekennen. Das wäre eine starke Herangehensweise an die eigene linke Geschichte.

... we are the ones who make a brighter day – so let’s start giving

2005 fand die erste EuromaydayParade Deutschlands in Hamburg statt (http://www.nadir.org/nadir/kampagnen/euromayday-hh). Viele aus unserer Gruppe sind hingefahren – und wir waren beeindruckt. Das war ein erster Mai, wie er sein sollte: Ein buntes Spektrum traf sich dort: Ein große Gruppe von Flüchtlingen führte die Demo an, mehrere Wagen thematisierten auf kreative Art und Weise Möglichkeiten, sich gegen Prekrisierung zu organisieren (ein Heiratswagen warb für die Schutzehe zwischen deutschen und MigrantInnen, auf einem anderen wurden Arbeitskampfmöglichkeiten in prekären Verhältnissen diskutiert), hunderte Studenten beteiligten sich und trugen so ihre Proteste gegen die Umstrukturierung der Uni auf die Parade. Der Umzug war von Aktionen begleitet: Eine Lidl-Filiale wurde mit Steinen geschmückt, Transparente von Orten der Prekarität heruntergelassen und die Bewohner des Flüchtlingswohnschiffs im Hamburger Hafen heiß umworben, sich der Parade anzuschließen. Die Parade war kreativer Ausdruck der Suche nach neuen Formen des Widerstands gegen Prekarisierung und Ausbeutung, und deshalb warb sie auch nicht mit platten Parolen sondern stellte sich und dem Publikum Fragen. Wie streike ich als Ich-AG? Welche Jobs gehen ohne Pass? Welche Vorstellunngen von Leben und Arbeitenn haben wir eigentlich, die wir der Flexibilisierung nud Deregulierung entgegen setzen können? Etc. Die Parade war offen, und viele schlossen sich spontan an. Im Vorfeld suchte das Bündnis den Kontakt mit Hamburgs Bevölkerung: In den Parks und vor den Einkaufszentren der Stadt wurden die HamburgerInnen aufgefordert, ihre Vorstellungen eines schönen Lebens und ihre Erwartungen an einen 1. Mai zu äußern. Überraschend viele beteiligten sich. Am Tag selber stürmte dann ein Trupp von Aktivisten ein Luxusrestaurant und nahm mit so viel ging. 5 Sterne to go. Das gefiel auch den Medien, die ausführlich berichteten.

There’s a choice we’re making, We’re saving our own lives ...

MaydayIn Hamburg haben wir gesehen, wie ein 1. Mai auch sein kann. Schon im Vorfeld haben wir uns am Diskussions- und Austauschprozess im europäischen Euromayday-Netzwerk beteiligt (http://www.euromayday.org). Auch in anderen Ländern haben GenossInnen nach neuen Formen für Demonstrationen und Aktivismus gesucht, die auch Leute ansprechen, die nicht schon einen linksradikalen Hintergrund haben. San Precario, Yomango, die Superhelden, die Diskussion um Workers Center (bzw. in Italien Punti San Precario) – sind nur einige Beispiele dafür. Wir wissen gut, dass eine gelungene Mayday-Parade noch nicht bedeutet, dass man auch im Klassenkampf schon einen Riesenschritt vorangekommen ist. Aber die Euromayday-Bewegung ist Ausdruck einer Suche nach Möglichkeiten, sich in Zeiten von Prekarisierung in und gegen die Arbeit zu organisieren. Das ist für eine radikale Linke, die ansonsten für die alltäglichen Probleme auf der Arbeit, auf dem Amt oder sonstwo nicht viel zu bieten hat, schon eine ganze Menge.

Wir wollen, dass der 1. Mai in Berlin auch ein Teil dieser Suche ist. Denn auch hier wurden in den letzten Jahren Maßnahmen gegen prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse erprobt: Das Bündnis gegen Zwangsumzüge bei Hartz IV; die Überflüssigen, die mit ihren Aktionen die Sozialproteste aufpeppten; Die Initiative Belrin umsonst, die dem Sparzwang die kollektive Aneignung entgegen setzte; die Callcenteroffensive, die sich an der Organisierung von TelefonarbeiterInnen verucht hat; die CNH-Beschäftigten, die monatelang ihren Betrieb bestreikt und das Produktionsmaterial als Pfand genommen haben... Es gäbe noch viel mehr Beipiele. Auf dem Mayday müssen solche Organisierungsversuche, die real existierenden Kämpfe (auch die im Verborgenen stattfinden), sichtbar werden und miteinander ins Gespräch kommen. Die MaydayParade muss zur Organisierung gegen die Lohnarbeit beitragen, sie muss Widerstandsmöglichkeiten in Zeiten der Prekarisierung eröffnen. Sie muss nach den kleinen täglichen Problemen fragen und vermitteln, dass wir Ideen haben, die einem was bringen. Sie muss offen sein und zum Mitmachen einladen. Deshalb wollen wir gerade keine klassische linke Blockdemonstration. Unsere inhaltlichen Punkte wollen wir mit anderen Mitteln deutlich machen: mit Themenwagen, Aktionen am Rande, Schildern, Fahnen, Transparenten, Sprechblasen, wandelnden Littfasssäulen, mobilen Beamern für Parolen und allem was uns sonst noch einfällt. Es ist uns wichtig, dass die Parade ein offenes und einladendes Bild nach außen abgibt, denn das soll sie ausdrücken: wir freuen uns über alle, die sich uns anschließen wollen.

– It’s true, we’ll make a better day, just you and me!

Das kann man aber nicht mit einer Demonstration erreichen, die nach Revolution ruft, sich aber für Fragen des Alltags nicht interessiert. Zum Mitmachen animiert man nicht, wenn man schon durch einen Transparent-Kondom (wir meinen die kondommäßig um die Demospitze zusammengeknoteten Transparente) signalisiert „Wir wollen unter uns bleiben“. So können wir nicht über die linksradikale Szene hinausreichen. Die MaydayParade im letzten Jahr war ein Schritt in die richtige Richtung (http://berlin.euromayday.org). Sie war groß und bunt und hat Spaß gemacht. Und wir waren im Vorfeld in der Lage, unsere Inhalte öffentlich und breit zu thematisieren. Auch wenn vieles besser laufen kann – daran wollen wir anknüpfen. Wir wollen wieder eine große Demonstration, auf der Inhalte zum Thema Prekarisierung, Arbeitslosigkeit, Migration, G8 usw. usf. präsent sind. Aber wir wollen auch gemeinsame Veranstaltungen im Vorfeld des 1. Mai und Aktionen am Rande der Demo. Wir wollen die Form der Parade beibehalten. Der Mayday soll offen sein und Spaß machen – das ist nicht weniger radikal als schwarzvermummt durch die Straßen zu ziehen. Wir wollen aber auch inhaltliche Diskussion im Bündnis, und mit dem europäischen Mayday-Netzwerk, einen Austausch über das, was Prekarisierung oder „Kapitalismus heute“ ausmacht, wie er sich auf unseren Alltag auswirkt, wie wir uns dagegen organisieren können. Darüber wollen wir nach wie vor mit allen Interessierten reden. Das ist uns wichtiger als um jeden Preis ein Bündnis am Leben zu erhalten, in dem alle in unterschiedliche Richtungen ziehen.

Mayday Wir finden es richtig, sich mit der eigenen Geschichte selbstkritisch auseinander zu setzen. Deshalb halten wir es für falsch, eine „Revolutionäre 1. Mai Demo“ zu machen und dort einfach ein paar bunte Elemente des Mayday zu übernehmen. Noch verkehrter fänden wir es, das alte Konzept aufzuwärmen und ihm nur einen neuen Namen – Mayday – zu verpassen. Unsere Chance besteht darin, mit dem Mayday etwas neues zu wagen – gerade wegen der Erfahrungen, die wir in der Vergangenheit gemacht haben.

Der 1. Mai ist traditionell der „Kampftag der Arbeiterklasse“ gegen den Kapitalismus und seine Zumutungen und für ein besseres Leben. Er ist auch ein Feiertag, nämlich der Feiertag der Ausgebeuteten, an dem sie ihren Einfallsreichtum, ihre Erfolge gegen Staat und Kapital, ihre Widerstandskraft feiern. Sorgen wir dafür, dass es wieder was zu feiern gibt. Mayday in Berlin!

Für eine linke Strömung (FelS)