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Besuch bei 'Anders Wohnen e. G.' , Bremen 

 

Der kräftig gelb-orange leuchtende Bau mit blauen Fenstern fällt sofort auf zwischen den postmodernen Klinkerbauten , dem Grau von Putzfassaden und Parkplätzen. Eine Hand aus Messing streckt sich uns zur Begrüßung an der Eingangstür entgegen, als wir in das helle Treppenhaus treten. Auf jedem Treppenabsatz ist ein Kunstobjekt oder ein Bild zu sehen, oben auch bunte Wäsche zwischen den Geländern. 

Auf jeder Etage öffnet sich nach beiden Seiten ein Wintergarten mit einer Seite als große Fensterfläche gestaltet. Auf den hellbraunen Bodenfliesen erheben sich viele Topfpflanzen. Es ist je einer dieser Gemeinschaftsräume pro halber Etage für vier bis fünf Leute und ihre Gäste vorgesehen. Die 35 Erwachsenen und 9 Kinder leben in vier WGs mit je 3 bis 4 Personen , in drei Kleinfamilien, als vier Alleinerziehende mit ein bis zwei Kindern , als drei Paare und es gibt 6 Alleinlebende. Erst aus den hellen Gemeinschaftsräumen öffnen sich die Flure zu den Wohnküchen und zu den einzelnen Zimmern. Kaum zu glauben, daß alles im Rahmen des sozialen Wohnungsbaues finanziert werden konnte. Die Selbsthilfe und ein Wohnungsschnitt, der viele Kombinationen zuläßt, bewirkten, daß keine Wohnung wie die andere aussieht. Kaum ein Zimmer hat einen einfachen rechteckigen Zuschnitt. Jedes Bad wurde fantasievoll verschieden gefliest. 

Das oberste Stockwerk ist penthouseartig eingerückt und mit Holz verkleidet. Überall wurde eine großzügigige Deckenhöhe vorgesehen - selbst im Keller. Dort befinden sich auf der einen Seite alle Kellerräume für die Wohnungen, je nach Absprache zu etwas größeren Raumeinheiten zusammengefaßt. Auf der anderen Seite liegen Gemeinschaftsräume; ein Versammlungsraum mit großen Fenstertüren, die sich nach außen öffnen zu einem kleinen 'Amphittheater'. Es gibt einen Waschraum, Trockenräume, ein kleines Büro, die Grauwasseranlage, die Heizung (ein moderner Brennwertkessel auf Erdgasbasis) und eine eingerichtete Hauswerkstatt. Draußen sind auf der einen Seite die vier Fahrradhäuschen, auf der anderen der Kinderspielplatz. Es ist eine große Regenwasser-Sammelanlage in den Boden eingegraben. Für eine Solar-Warmwasser-anlage auf dem Dach sind die Installationen vorbereitet. Sie ist auch geplant. 

1987 - also vor 10 Jahren - haben sich ein paar Leute zusammengesetzt für diese nun verwirklichte Projektidee. Im Januar 1988 fand die erste öffentliche Veranstaltung statt; weitere folgten. Die Zahl der TeilnehmerInnen schwankte. Es hat sich bald ein Kern von 12 bis 13 Leuten herausgebildet. Lange Zeit über wollte die Gruppe einen Altbau sanie-ren. Die Zählung der Objekte, um die sie sich bemühte, wurde frustriert bei 32 abgebrochen. Zum Beispiel sollte eine ehemalige Fabrik und eine Wäscherei umgebaut werden. Aus letzterer ist ein Supermarkt geworden. 

Schließlich entdeckte jemand aus der Gruppe ein Anzeige der Stadt Bremen. Man bot ein L-förmiges Grundstück in der Grünenstraße an, das sich um ein besetztes Haus herum zog. Kein Investor wollte das bisher haben. Erst sollte wohl geräumt werden ... 

Der Kreis hatte sich blitzschnell entschieden: Abschied vom Umbau. Es wurden mit Hilfe eines Architekten vom Hamburger Projekt 'Drachenbau' Bau- und Finanzierungspläne eingereicht - am letzten Tag der Bewerbungsfrist. 

Alle Baufirmen hatten zunächst abgelehnt, dort zu bauen, um den Räumungsdruck für das angrenzende besetzte Haus zu erhöhen. In der Nähe waren schon eine Maschinenfabrik und eine Spedition abgerissen worden. Auf großen Flächen sollten Wohnbauten errichtet werden. 

Die Genossenschaft bekam das Grundstück, weil sie die einzige Interessentin war. Inzwischen ist das besetzte Haus legalisiert worden und befindet sich in der Sanierungsphase. 

Die Ausschreibung für den Neubau war im Dezember 1990, der Bau konnte im Frühjahr 1994 beginnen. Die Stadt mußte erst noch einen alten Keller abreißen, der auf dem Grundstück stand (Herbst 1993). In der entstehenden Grube wurde ein Altölschaden gefunden. Es waren Probebohrungen nötig und ein Gutachter. 55 ooo DM Kosten entstanden; einen Teil davon trug die Stadt. 

5 1/2 Mill. DM sollte der Bau kosten; dazu mußte eine 3/4 Million DM als Eigenkapital und Genossenschaftseinlage aufgebracht werden. Das waren ca. 19 000 DM pro erwachsener Nase. Kinder kamen zum Nulltarif in das Projekt. Niemand ist bisher aus finanziellen Gründen abgesprungen. Es konnten etliche verschiedene Wege zur Finanzierung der genossenschaftlichen Grundeinlage gefunden werden. Zum Beispiel half eine anthroposophische Bank aus Bochum mit günstigen Krediten und natürlich half man sich gegenseitig. 

Zu Baubeginn war die Gruppe komplett. Die Stadt Bremen hatte die Verkaufsauflage gemacht, daß eine bestimmte Bremer Baufirma die Bauleitung übernehmen sollte. Die Zusammenarbeit damit lief gut. Die Genossenschaft hatte autofreies bzw. autoarmes Wohnen in der Satzung festgeschrieben. Es gab eine lange Auseinandersetzung mit der Stadt, ob die hohe Ablösesumme für nicht gebaute Parkplätze gezahlt werden müsse. Die Gruppe verursachte ja fast keinen motorisierten Verkehr. Schließlich einigte man sich auf einen rechnerischen Satz von 0,2 Autos pro Haushalt. 

Neben der Genossenschaftseinlage war für den Bau ein gewisser Anteil an handwerklicher Selbsthilfe vorgesehen worden: Alle Pinselstriche im Haus wurden selbst durchgeführt. Außer im Treppenhaus wurden auch alle Fliesenarbeiten unter fachlicher Anleitung selbst bewältigt. Auch der Kellerausbau und die Außenanlagen liefen in Eigenarbeit. Hinzu kam, daß Vieles, was Handwerker nicht zufriedenstellend erledigt hatten, selbst "ausgebügelt" wurde. Zum Beispiel wurden Estriche geglättet. Das ermöglichte, die Fristen zu wahren und Rechnungsabzüge wegen qualitätsgeminderter Lieferung vorzunehmen. Ca. 400 Stunden Eigenarbeit pro Erwachsenem sollten für die Genossenschaft geleistet werden. Bis auf einen Rest bei den Außenanlagen ist alles nun vollbracht. Zu der Zeit, als die meisten Selbsthilfe-Arbeiten nötig waren, wurde auch ein Gewerk Kinderbetreuung eingerichtet und als Selbsthilfe-Stunden angerechnet. Wichtig war der Gruppe nicht nur die sorgfältige, sondern auch die gemütliche Arbeit. 

Alle haben ein gewisses Minimum zum Bau beigetragen, und es wurde nicht ernsthaft darum gerechtet, daß es bei einigen letztlich mehr, bei einigen weniger formelle Arbeitsleistung war. Es besteht aber eine innere Öffentlichkeit darüber, wer was geleistet hat. 

Bis zur Fertigstellung des Baues waren wöchentliche Versammlungen nötig, später konnte man über 14-tägliche auf gegenwärtig monatliche Versammlungen zurückschrauben, weil sich eine feste, aber rotierende Arbeitsteilung und ein umschichtiger Dienstplan herausgebildet hat. Rechnerisch bleiben heute noch wenige Minuten Gemeinschaftsarbeit pro Nase und Tag übrig. Nach der Fertigstellung des Baues gab es ein riesiges Fest mit vielen kulturellen Beiträgen. Dann kam es auch zu einem 'Aktivitätsknick'. Nun, 1 1/2 Jahre nach dem Einzug, passiert wieder mehr. Es gibt eine Außenanlagen-Gruppe, Kochgruppen, eine Werkstatt-Einrichtungsgruppe ... Einige nehmen an verschiedenen Stadtteilaktivitäten teil, z.B. an einem Kreis der Umsetzung der Agenda 21 für die Bremer Innenstadt. Ein Teil der BewohnerInnen war in eine Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft eingetreten, nutzt das wohl auch, ist aber dort nicht aktiv. Bisher hat es keine massiven, festgefahrenen Konflikte gegeben. Das Projekt ist auch groß genug, sodaß Leute, die sich nicht so gern mögen, auch nicht ständig zusammenhocken müssen. 

Das Verhältnis von persönlichem Rückzugsbedürfnis und Teilnahme am Gemeinschaftsleben können die Einzelnen sehr flexibel gestalten. Wer sich mal eine Weile stark zurückzieht, wird nicht geächtet. Trotzdem liegt der Grad des gesellschaftlichen Engage-ments stark über dem Bevölkerungsdurchschnitt. Immer wieder finden kleinere und größere Feiern statt. Für etliche ist das Leben in einer solchen größeren Hausgemeinschaft "kaum noch anders vorstellbar." 

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Bericht: Hilmar 040 / 39 90 41 96                                   zurück zu CONTRASTE Hamburg (bunte seiten)