Aus CONTRASTE Nr. 180, Schwerpunktthema Teil 1

Rückblick/Entscheidungsstrukturen

Ein selbstverwalteter Betrieb mit 100 MitarbeiterInnen hat keine Vorbilder

In den Zeiten der Umweltbewegung 1979 gegründet, konnte Wagner & Co im Verlauf der Jahre kräftig expandieren und hat in diesem Jahr das 20jährige Bestehen gefeiert. Obwohl gegenüber den KundInnen nur zurückhaltend damit geworben wird, ist die Selbstverwaltung seit der Gründung eine tragende Säule geblieben. 32 GesellschafterInnen bestimmen die zentralen Geschicke des Unternehmens, während kleine Teams das tägliche Geschäft weitgehend alleine organisieren. - Ein detaillierter Einblick in die internen Entscheidungsstrukturen von Wagner & Co.

von Dietmar Schlosser, Cölbe - Solartechnik und Regenwassernutzung sind innovative Techniken. Hohe Wachstumsraten der Branchen machen heute aus dem Nischenmarkt einen Breitenmarkt, in dem zahlreiche Unternehmen, die auch nur annähernd mit Heizung, Sanitär, Dach und Wand zu tun haben, ein Wachstumsfeld sehen und es ausschöpfen wollen.

In diesen Rahmenbedingungen steht mit der Wagner & Co Solartechnik GmbH aus Cölbe bei Marburg ein Unternehmen, das bereits seit zwanzig Jahren als Betrieb in Selbstverwaltung umweltfreundliche Produkte entwickelt und bundesweit vertreibt. Das stetige Wachstum hat zu technischen Innovationen, mehreren Betriebserweiterungen und steigenden Mitarbeiterzahlen geführt. Dafür mußte die Firmenstruktur dem jeweiligen Entwicklungsstand angepaßt werden - ein Prozeß, der nie beendet ist und der immer wieder weitreichende Entscheidungen von den Gesellschaftern verlangt.

Bewegte Zeiten

Gegen die Atomenergie und andere ökologisch nicht vertretbare Techniken demonstrierten Ende der 70er Jahre unzählige Menschen und Initiativen in Deutschland. Die Alternativbewegung und aufgeklärte BürgerInnen standen für ein ökologisches und friedliches Zusammenleben. Dazu sollte eine umweltverträgliche Energieerzeugung und der schonende Umgang mit den Rohstoffen der Erde gehören. Techniken für eine umweltverträgliche Stromerzeugung, Warmwasserbereitung und Regenwassernutzung waren noch nicht verbreitet. Die Gründung der Wagner & Co Solartechnik GmbH erfolgte im Jahre 1979. Marktfähige Produkte und eine neue Einstellung der Menschen, so die GründerInnen, können die Energiewende herbeiführen. Vorrangig wurden Solaranlagen zur Warmwasserbereitung als Bausatz für den Selbstbau produziert. Das Konzept sah vor, einfache und hochwertige Energieanlagen zu günstigen Preisen herzustellen, um eine weite Verbreitung zu erreichen. Daneben wurden Solarstromanlagen (Fotovoltaik) angeboten, Regenwassernutzungsanlagen entwickelt sowie Materialien zur Fensterisolierung, Umweltschutzpapier und themenbezogene Fachbücher vertrieben. Eine umfassende kundenorientierte Beratung und Betreuung der KundInnen gehörte selbstverständlich dazu. Wagner & Co wurde in der Rechtsform einer GmbH gegründet bei gleichberechtigter Beteiligung aller FirmengründerInnen. Die demokratischen Entscheidungsstrukturen, das Prinzip des gemeinschaftlichen Eigentums und ein einheitlicher Lohnstundensatz werden auch heute bei hundert MitarbeiterInnen aufrecht erhalten und sind das Fundament für hohe Motivation, Verantwortungsbereitschaft und Identifizierung mit den gemeinsamen Zielen. Derzeit tragen 32 GesellschafterInnen das Risiko und teilen mit ca. 75 Angestellten die Chancen.

Unternehmensziel Umweltschutz

Die Vision, in Deutschland Solaranlagen zu installieren, um die foßilen Energieträger zu ersetzen sowie die Regenwassernutzung zu fördern, ist auch heute unveränderte Motivationsquelle. Mit qualitativ hochwertigen Produkten wird allen interessierten Menschen und Institutionen die Möglichkeit gegeben, mit Solaranlagen zur Warmwasserbereitung und Heizungsunterstützung, Fotovoltaiksystemen und Regenwassernutzungsanlagen die Umwelt aktiv zu schützen.

Bei Wagner & Co ist der Umweltschutz ausdrückliches Unternehmensziel und Entscheidungskriterium bei allen Arbeitsabläufen. Das Unternehmen will marktorientiert arbeiten, d.h. produktiv, wirtschaftlich und rentabel sein. Die KundInnen sollen mit besten Produkten, günstigen Preisen und Rund-Um-Service unterstützt werden. Dies alles im Rahmen selbstverwalteter Strukturen.

Standortwechsel

Bedingt durch das stetige Wachstum waren mehrere Umzüge notwendig. "Auf der Weide" im Hochwassergebiet der Lahn, befand sich das erste Büro und eine kleine Werkstatt. Nach wenigen Jahren erfolgte der Umzug an den hochwassergesicherten Afföller und später nach raschem Wachstum in die Zimmermannstraße an der Marburger Hauptpost. Seit 1991 ist der Standort von Wagner & Co in Cölbe. Im Jahr 1990 wurde das Grundstück in der Ringstraße 14 erworben, das darauf befindliche Industriegebäude ökologisch um- und ausgebaut und Anfang 1991 bezogen. Ein stillgelegtes Sägewerk in unmittelbarer Nachbarschaft mit Büro- und Lagergebäuden kam 1993 hinzu. Auf diesem Gelände konnten 1996 ein neues Hochregallager in Betrieb genommen und die Lieferzeiten dadurch stark verkürzt werden. Im September 1998 ist ein neues Kunden- und Verwaltungszentrum im Passivhausstandard bezogen worden und bietet auf einer Fläche von 2.180 qm Nutzungsmöglichkeiten für Büroarbeitsplätze, Versandfläche, Ausstellungs- und Seminarräume (vgl. Sep. Artikel). Im Winter 1999 hat Wagner & Co für die Produktion von solaren Großkollektoren ein weiteres Gebäude gepachtet. Optionen für weitere räumliche Erweiterungen sind in Cölbe vorhanden.

Produkte

Wagner & Co entwickelt und vertreibt Solaranlagen zur Warmwasserbereitung und Raumheizungsunterstützung für Ein-und Mehrfamilienhäuser, solare Nahwärmesysteme für ganze Siedlungen, Fotovoltaikanlagen für den Inselbetrieb und die Netzeinspeisung und Regenwassernutzungssysteme für Haus und Garten. Dazu kommt ein Verlag, der Bücher und Videos herausgibt.

Ein kleines zusätzliches Standbein soll ein ökologischer Tagungsbereich werden. In den neuen Seminarräumen vermittelt das Wagner-Team Handwerkern, Architekten und Planern Kenntnisse über die Solar- und Regenwassertechnik. Darüberhinaus stehen die Räume mit moderner Tagungstechnik interessierten Gruppen und Firmen für eigene Veranstaltungen zu Verfügung. Die Räume können pauschal oder mit hauseigener Gastronomie gemietet werden.

Eigentum

Wagner & Co gehört zu den größeren Selbstverwaltungsbetrieben der Bundesrepublik. Von den MitarbeiterInnen sind 32 GesellschafterInnen. Sie sind Eigentümer durch Zeichnung von GmbH-Anteilen, und auch Teilhaber der Immobilien KG, der die Grundstücke und Gebäude gehören. Die Grundzüge der beiden Gesellschaften sowie die Rechte und Pflichten der Gesellschafter sind jeweils in einem notariellen Gesellschaftsvertrag geregelt. Daneben gibt es eine interne Betriebsverfassung, die die inneren Strukturen, Entscheidungswege, Löhne, Einstiegs- und Ausstiegsregelungen etc. im Detail bestimmt. Ausdrücklich wird die Beteiligung möglichst vieler am Unternehmen als Gesellschafter angestrebt. Eigentümer sind in beiden Gesellschaften die gleichen Personen, der Kreis der Gesellschafter (Anteilseigner) ist identisch. Gesellschafter sind ausschließlich MitarbeiterInnen der Firma, es gibt keine außenstehenden Anteilseigner. Nicht alle FirmenmitarbeiterInnen sind Gesellschafter. Jeder Mitarbeiter, der dies möchte, kann nach einem Jahr zunächst Gesellschafteranwärter und nach einem weiteren Jahr Probezeit Gesellschafter werden, wenn er von den vorhandenen Gesellschaftern mehrheitlich akzeptiert wird. Es wird angestrebt, daß möglichst viele Mitarbeiter auch Gesellschafter sind.

Gesellschaftsanteile werden in Stücken von jeweils DM 5.000 gezeichnet. Beim Einstieg zeichnet jeder Gesellschafter zwei Anteile, wovon einer (der Einsteiger-Anteil) voll eingezahlt werden muß. Die Anzahl der Gesellschaftsanteile eines Gesellschafters steigt mit der Dauer seiner Firmenzugehörigkeit in Stufen von jeweils 3 Jahren. Die Obergrenze liegt bei 5 Anteilen; größere Kapitalanteile können nicht von einer Person erworben werden. Formal (nach GmbH-Recht) hat jeder Gesellschafter ein Stimmrecht entsprechend des Kapitalanteils. In der Praxis wird jedoch ausschließlich nach Köpfen abgestimmt, nicht nach Anteilen.

Entscheidungsgremien

Oberstes Entscheidungsgremium ist die Gesellschaftersitzung. Sie tagt mindestens alle drei Monate, bei Bedarf auch öfter. Hier finden vor allem die Entscheidungen nach den Rechten des Gesellschaftsvertrags statt, wie Festlegung der Kapitalanteile, Gewinnverwendung, Neuaufnahme und Ausschluß von Gesellschaftern etc. sowie Änderungen der internen Betriebsverfassung.

Etwa alle zwei Wochen tagt der Firmenrat, der sich aus Delegierten der einzelnen Firmen-Abteilungen (12 Personen) zusammensetzt. Er entscheidet über alle wichtigen Fragen der Firma, die sich aus der Geschäftstätigkeit und den internen Strukturen ergeben, soweit sie nicht der Gesellschafterversammlung vorbehalten sind. Die Delegierten haben dafür zu sorgen, daß die notwendigen Informationen zwischen den Abteilungen und dem Firmenrat fließen. Sie sind außerdem dafür verantwortlich, daß getroffene Beschlüsse in ihren Abteilungen ausgeführt und übernommene Aufgaben erledigt werden.

Delegierte werden entsandt aus den Abteilungen Photovoltaik, Regenwasser, Werbung, EDV und Buchhaltung, Einkauf, Entwicklung, Privatkundenbetreuung, Geschäftskundenbetreuung (=Wiederverkäufer), Großanlagen, Versand, Werkstatt, Montage. Die Festlegung der entsendenden Bereiche wird jährlich überprüft und gegebenenfalls geändert.

Die Delegierten werden von ihrer jeweiligen Abteilung für ein Jahr gewählt. Wahlberechtigt sind alle Gesellschafter der Abteilung sowie die Angestellten, die unbefristet beschäftigt sind. Gewählt werden können ausschließlich die Gesellschafter aus der jeweiligen Abteilung.

Die Delegierten wählen aus ihrem Kreis eine Sitzungsleitung (zwei Personen). Sie leitet die Sitzungen, schreibt Protokolle und informiert die übrigen Gesellschafter und Angestellten. Die Sitzungsleitung des Firmenrats übernimmt gleichzeitig die Sitzungsleitung der Gesellschaftersitzungen.

Das Allgemeine Organisationskommittee (AOK) besteht aus drei Personen, die von den Gesellschaftern gewählt werden, und ist hauptamtlich für die Organisation des laufenden Betriebs zuständig. Die Mitglieder des AOK sind Geschäftsführer der Wagner & Co Solartechnik GmbH lt. GmbH-Gesetz, und übernehmen diese Funktion für mindestens drei Jahre. Im Rahmen der vom Firmenrat bzw. der Gesellschafterversammlung gefaßten Beschlüsse und in Zusammenarbeit mit den zuständigen MitarbeiterInnen und Abteilungen sorgt das AOK für die Planung, Koordination, Erarbeitung von Lösungen und bereitet Entscheidungen des Firmenrats bzw. der Gesellschafterversammlung vor. Das AOK informiert durch Protokolle über die laufende Arbeit, die getroffenen Entscheidungen und berichtet regelmäßig im Firmenrat. Im Zweifelsfall kann die Mehrheit der Mitglieder des Firmenrats beschließen, daß eine Entscheidung nicht im AOK, sondern im Firmenrat zu treffen ist. Entscheidungen des Firmenrats können von der Gesellschafterversammlung überstimmt werden.

Alle zwei Monate, findet ein Angestelltenplenum und einmal im Jahr oder bei Bedarf findet ein Gesamt-Plenum mit allen Gesellschaftern und Angestellten statt. Außerdem gibt es noch Abteilungs- und Arbeitsgruppensitzungen, um die Arbeit in den Abteilungen bzw. Projekte zu organisieren.

Löhne

Löhne werden bisher auf der Basis der geleisteten Arbeitszeit gezahlt (Stundenlohn). Alle Angestellten und Gesellschafter erhalten den gleichen Stundenlohn. Nach zwei Jahren Betriebszugehörigkeit wird der Lohn für Gesellschafter und Angestellte um 10 %, nach fünf Jahren um weitere 5 % erhöht. Für Gesellschafter und Angestellte gibt es ein Kindergeld. Für Gesellschafter wurde zusätzlich eine betriebliche Altersversorgung eingerichtet. (Zur laufenden Diskussion um Lohndifferenzierung: vgl. eigener Artikel)

Mehrheiten

Der Aufnahme von Gesellschaftsanwärtern müssen zwei Drittel der Gesellschafter zustimmen. Der endgültigen Aufnahme von Gesellschaftern (nach der Anwärterzeit) müssen drei Viertel der Gesellschafter zustimmen. Änderungen der Betriebs-Verfassung bedürfen der Mehrheit von zwei Dritteln der Gesellschafter. Im Firmenrat und in der Gesellschafterversammlung werden die Entscheidungen normalerweise mit der Mehrheit der abgebenen Stimmen getroffen. In wichtigen Angelegenheiten kann ein Delegierter/Gesellschafter vor der Abstimmung in der Sache beantragen, daß die Entscheidung mit einer qualifizierten Mehrheit (absolute, Zwei-Drittel-Mehrheit o.ä.) zu treffen ist. Stimmt die Mehrheit der Delegierten/Gesellschafter dem Antrag zu, wird entsprechend verfahren.

Innere Strukturen

Jährlich im Herbst treffen sich die GesellschafterInnen von Wagner & Co zu einem gemeinsamen Wochenende. Regelmäßig auf der Tagesordnung steht das Thema Strukturreform. Damit ist die Anpassung der o.g. Entscheidungsabläufe an das Wachstum bezüglich der demokratischen Beteiligung der MitarbeiterInnen, der Aufgabenverteilung, der Verantwortungsbereiche und der Kommunikationszusammenhänge verbunden. Wagner & Co hat in den letzten 15 Jahren hohe Wachstumszuwächse verzeichnen können. Das hat zur Folge, daß permanente Umstrukturierungen auf der technischen und distributorischen Ebene erfolgen und immer wieder neue MitarbeiterInnen in den Betrieb integriert werden müssen.