Aus CONTRASTE Nr. 177

KOOPERATIVEN IN PORTUGAL

Aufbruch mit der Nelkenrevolution

Die Nelkenrevolution vom 25. April 1974 war die Stunde null des heutigen Portugal. Mit ihr entstanden 550 Kooperativen, von denen bis heute 40 überlebten. Die meisten sind durch die Politik der Sozialisten zur Auflösung gezwungen worden. Sie gaben das Land an die ineffizient arbeitenden Latifundistas zurück.

Martin Dahms, Red. Genossenschaften - Fast 50 Jahre lang hatten die Diktatoren António de Oliveira Salazar und, ab 1968, Marcelo Caetano jeglichen sozialen und politischen Fortschritt in Portugal verhindert. Zu Beginn der Siebzigerjahre war das Land völlig unterentwickelt, spielte aber weiterhin Kolonialmacht. In Angola, Moçambique, Guinea-Bissau kämpften nationale Befreiungsbewegungen gegen die weißen Herren. Portugal steckte bis zu 40 Prozent seines Staatshaushaltes in den Krieg gegen die eigenen Kolonien; die jungen Portugiesen mussten vier Jahre Wehrdienst leisten.

Marktwirtschaft statt Diktatur

Als die in Afrika eingesetzten Militärs die Aussichtslosigkeit der Lage erkannten, doch von den Machthabern in Lissabon nicht gehört wurden, organisierte sich eine Gruppe von Hauptmännern in der "Bewegung der Streitkräfte". Ziel der linken Offiziere: Sturz der Diktatur und Aufbau einer Demokratie. Ein am frühen Morgen des 25. April 1974 im Radio ausgestrahltes Lied des oppositionellen Sängers José Afonso war Startsignal zum Handeln. Die Menschen strömten in

Massen auf die Straßen - obwohl sie inständig aufgefordert wurden, zu Hause zu bleiben. Aus dem Putsch wurde eine Revolution.

Eine Blumenverkäuferin, die an jenem Tag von einem jungen Soldaten um eine Zigarette gebeten wurde, drückte ihm statt dessen eine Nelke in die Hand. Er steckte sie in den Lauf seines Gewehrs. Bald waren überall Menschen mit Nelken zu sehen - das Symbol der Revolution war geboren.

Viele Menschen hofften, viele fürchteten damals, dass sich Portugal eine kommunistische Gesellschaftsordnung geben würde. Doch bei allen Wahlen siegten die bürgerlichen Kräfte. Zu diesen gehörten auch die Sozialisten unter ihrem Führer Mario Soares. Er wollte ein demokratisches, marktwirtschaftliches System nach westlichem Muster in Portugal etablieren. Genau das ist schliesslich geschehen.

Landwirtschaftliche Kooperative

Evora ist eine dieser Städte des Südens, die dem Besucher aus dem Norden lauter Rufe des Entzückens entlocken. Zu arm für Bausünden, statt dessen allerorts Architektur gewordene Geschichte: Reste eines römischen Tempels, gotische Kathedrale, Stadtmauer aus dem 14. Jahrhundert, Renaissance-Marktplatz, barocke Universität - alles inmitten eines Gewirrs kopfsteingepflasterter Gassen und weißgetünchter Häuser. Weltkulturerbe.

Die Stadt ist eine steinerne Insel in der Weite des Alentejo in Südportugal. Knapp eine halbe Million Menschen leben hier verstreut auf einem Gebiet, das etwas kleiner ist als Belgien. Der Alentejo ist arm. Nach dem Pro-Kopf-Einkommen die ärmste Region der Europäischen Union. Anders als im Norden Portugals und rund um Lissabon gibt es hier so gut wie keine Industrie. Die Leute leben von der Landwirtschaft. Sie leben schlecht davon.

Zwei, drei Kilometer hinter Evora liegt ein einfaches Anwesen: der Sitz der landwirtschaftlichen Kooperative Margem Forte. Die einzige Zier des Gebäudes sind schmale Streifen himmelblauer Farbe rund um Fenster und Türen. Durch einen Perlenkettenvorhang geht es ins Büro. Vor dem Schreibtisch stehend wartet Francisco Cascabulho: ein jung gebliebener Sechzigjähriger mit ruhigen freundlichen Augen, den die 30 Genossen von Margem Forte zu ihrem Chef gewählt haben.

Vom Landbesetzer zum Genossenschaftler

Die Kooperative ist ein Relikt, eine hartnäckige Erinnerung an revolutionäre Tage. Als die Soldaten in Lissabon im April 1974 die alte Herrscherclique zum Teufel jagten, wurden die Menschen im Alentejo praktisch: Sie besetzten das Land der Großgrundbesitzer und machten es zu ihrem. 550 Genossenschaften entstanden in den folgenden Monaten aus den okkupierten Ländereien. Nur 40 haben bis zum heutigen Tag überlebt.

Francisco Cascabulho hätte allen Grund, stolz auf sich zu sein. Als Landbesetzer hat er vor 25 Jahren die Geschichte der Revolution mitgeschrieben. Und er hat seinen Teil dazu beigetragen, dass seine Kooperative überlebte. Doch wenn er erzählt, gibt er seinen Worten einen Ton, als wenn das alles keine große Sache wäre. "Wir waren Tagelöhner. Wir verdienten elendiglich. Wir bekamen nichts als den Lohn für einen gearbeiteten Tag. Es gab keine Ferien, keine Unterstützung, wenn wir krank waren oder keine Arbeit fanden. Die Ländereien waren sowieso verlassen, da haben wir sie eben besetzt. Für uns war das legal, die Misere war so groß. Wir waren unterdrückt. Wir mussten kämpfen."

Begräbnis durch die Sozialisten Der Alentejo war und ist eine Region von Latifundien, Ländereien von 5.000 Hektar Größe oder mehr. Die Besitzer waren Feudalherren, einer anderen Kaste zugehörig als ihre Landarbeiter. Ihnen fehlte - und fehlt zumeist noch - jeder Unternehmergeist. Das Land, das ihnen gehört, ist so groß, dass es ohne Mühe immer etwas für sie abwirft - auch wenn es noch so ineffizient bewirtschaftet wird. Bis heute muss Portugal wegen seiner rückständigen Landwirtschaft Lebensmittel importieren. Die Besetzung des schlecht oder gar nicht bewirtschafteten Landes vor 25 Jahren war ein Akt der Befreiung der kleingehaltenen Landarbeiter gegen die Arroganz der Latifundistas.

Die ersten Revolutionsregierungen unterstützten die frisch entstandenen Genossenschaften. Sie legalisierten die Landbesetzungen und gewährten den Neubauern großzügige Kredite für die schwierige Anlaufphase ihrer Betriebe. Das Glück währte nicht lang. "Die Sozialisten in Lissabon wollten Schluss mit den Kooperativen machen", sagt Francisco Cascabulho. "Stück für Stück wurden wir von unserem Land vertrieben. Wir hatten 3.000 Hektar besetzt 1980 war das alles wieder in Händen der Latifundistas."

- Als hätte die Revolution nie stattgefunden.

Die Genossen von Margem Forte gaben nicht einfach klein bei. Sie verhandelten mit dem Großgrundbesitzer, von dessen 16 000 Hektar großen Ländereien sie sich einen kleinen Teil zu eigen gemacht hatten, und einigten sich schließlich auf einen Pachtvertrag für 2000 Hektar Land. Im nächsten Jahr läuft der Vertrag aus, und noch wissen die Genossen nicht, ob ihr Betrieb weiterarbeiten kann.

Revolution als Wegbereiter

Hat sich die Revolution gelohnt? Haben sich die Träume der Land-Revolutionäre von damals erfüllt? Natürlich hat es Frustrationen gegeben, meint Cascabulho, auf dem Wege seien viele Ziele verloren gegangen. "Dennoch: Alles hat sich geändert", sagt er mit einem Mal energisch. "Die ganze Gesellschaft. Heute haben wir Rechte, die Situation ist viel besser." Francisco Caramujo meldet sich zu Wort, der Direktor des regionalen Genossenschaftsbundes. "Wir sind mit der Revolution aus dem Mittelalter in die Gegenwart eingetreten", erklärt er. Gewiss, nicht alle Träume von einer gerechteren Gesellschaft seien Realität geworden. Doch für eine Revolution müssten die Lebensverhältnisse in einem bestimmten historischen Moment unerträglich sein. "Damals waren sie es. Heute sind sie es nicht mehr."