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Zivilgesellschaft und Menschenrechtskrieg
Warum Kriegseinsätze und zivilgesellschaftlicher Antifaschismus eine ideologische Einheit bilden.
Zu den BgR-Aktivitäten "Deutschland den Krieg erklären.
Den zivilgesellschaftlichen Militarismus und die neue Weltordnung angreifen" am 1. September in Leipzig.

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Der deutsche Kriegseinsatz in Mazedonien

Am 28. August 2001 beschloss der Bundestag die Entsendung deutscher Truppen nach Mazedonien. Die Bundeswehr sollte damit an dem Nato-Kriegseinsatz "Operation Essential Harvest" aktiv teilnehmen. Dieser stellt damit nach dem Einsatz im Kosovo im Jahre 1999 den zweiten offiziellen Kriegseinsatz Nachkriegsdeutschlands dar. Mit Beschluss des Bundestags vom 27. September hat Deutschland nun auch die Führungsrolle des gesamten Nato-Einsatzes übernommen. Die Nachfolgeoperation "Amber Fox" steht unter dem Kommando der Bundeswehr, welche auch die größte Anzahl an Soldaten stellt.
Als sich Deutschland im Jahre 1999 am Krieg der Nato gegen Jugoslawien beteiligte, existierten noch Stimmen, die einen solchen Einsatz im Besonderen und deutsche Kriegseinsätze im Allgemeinen ablehnten. Es gab, wenn auch zaghaft, eine gesellschaftliche Debatte um die Legitimität von Kriegseinsätzen und um die Frage, ob sich nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus deutsche Kriegseinsätze nicht grundsätzlich verbieten würden.
Zwei Jahre später gibt es in der Bundesrepublik eine solche Debatte nicht mehr. Die vermeintliche Opposition gegen den Kriegseinsatz in Mazedonien kritisierte weder den Krieg als solchen noch die deutsche Rolle in diesem, sondern forderte die bessere finanzielle Ausstattung der Bundeswehr, um ihren "Aufgaben" in der Balkanregion besser gerecht werden zu können. Der Bundeswehr solle also eine gesellschaftlich stärkere Bedeutung und damit auch eine bessere Ausstattung zukommen. Zudem sollte der Nato-Auftrag konkretisiert und damit der Bundeswehr auch die Möglichkeit gegeben werden, aktiv einzugreifen und nicht "nur" im Verteidigungsfall selbst schießen zu können.
Stimmen, welche den Einsatz generell ablehnten, gab es nur wenige. Im parlamentarischen Spektrum war es nur die PDS, die den Kriegseinsatz ablehnte, sowie wenige AbweichlerInnen der SPD und der Grünen. Bereits wenige Tage nach der Abstimmung wurden von dem derzeitigen SPD-Geschäftsführer Franz Müntefering die parteiinternen in Bezug auf Kriegseinsätze Oppositionellen als "VerräterInnen" gebrandmarkt. Ihr Stimmverhalten müsse für sie Konsequenzen haben. Bereits bei der zweiten Abstimmung zu der "Operation Amber Fox" gab es selbst diese wenigen Oppositionellen innerhalb der SPD nicht mehr. Von den 19 Abgeordneten, die noch bei der Abstimmung zur ersten Nato-Operation in Mazedonien gegen den Einsatz stimmten, stellten sich nun 15 hinter die Regierung.
Nach zwei Jahren deutscher Kriegspolitik ist Kriegsführung als politisches Instrument des neuen Deutschlands gesellschaftlich nahezu vollständig akzeptiert. Die Legitimität von Krieg zur Durchsetzung deutscher bzw. sogenannter "westlicher" Interessen ist mittlerweile gesellschaftlicher Konsens.

Jugoslawien in der Neuen Weltordnung

Im Jugoslawienkrieg des Jahres 1999 existierten auf Seiten der Linken althergebrachte Erklärungsmuster des deutschen Kriegseinsatzes. Klassische antiimperialistische Theorien projizierten einen Kampf um Rohstoffe und Absatzmärkte in das ehemalige Jugoslawien. Öl-Pipelines sollten in diesem Gebiet durchgekämpft werden. Auf der anderen Seite argumentierte die klassische antideutsche Position, dass die Zerschlagung Jugoslawiens ein urdeutsches Projekt gewesen sei, welches sich von der nahezu hektischen Anerkennung der ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken Kroatien und Slowenien durch Deutschland bis zum Krieg um den Kosovo durchziehen würde. Die Nato habe in dieser Region nicht spezielle Interessen vertreten, sondern sei von Deutschland in den Krieg hineingezogen worden.
Für die erste Argumentation fehlen jedoch jegliche Beweise. Keine Öl-Pipeline ist gebaut worden, und auch ansonsten sieht es nicht danach aus, dass die Region in klassisch imperialistischer Weise erobert würde. Und auch die zweite Argumentation stimmt nur zum Teil. Das besondere deutsche Interesse in der Balkanregion ist seit 1991 mit der schnellen Anerkennung der jugoslawischen Teilrepubliken Kroatien und Slowenien deutlich geworden. Auch in der Folgezeit spielten die Deutschen eine gewichtige Rolle, wurde die D-Mark zur Parallel- bzw. zur ersten Währung der ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken. Dennoch spielten die anderen Nato-Staaten, insbesondere Großbritannien und die USA, spätestens seit 1998 eine gewichtige Rolle und haben die Entwicklungen in dieser Region maßgeblich mitbeeinflusst.
Seit dem Krieg in Jugoslawien ist das Zusammenwirken der "westlichen Welt" gegen die "Randgebiete der Zivilisation" zu verzeichnen. Dabei handelt es sich nicht um klassisch imperialistische Muster, nach denen Länder besetzt und unterworfen werden, um sie so für die eigenen Interessen nutzbar zu machen. Es geht nicht darum, die Länder der Peripherie dem Diktat der imperialistischen Mächte zu unterwerfen und ihnen damit ihre Eigenständigkeit zu nehmen.
Vielmehr haben wir es hier mit einer neuen imperialistischen Ordnung zu tun, welche sich die Durchsetzung der "westlichen Werte" als Voraussetzung der globalkapitalistischen Ordnung zur Aufgabe macht. Kapitalismus soll nach den Maßgaben Europas und der USA im weltweiten Maßstab durchgesetzt werden. Dabei ist aber nicht das Ziel, Kapitalismus als Wirtschaftsmodell in den entsprechenden Ländern zu initiieren - schließlich ist dies nach 1990 die Wirtschaftsordnung nahezu aller Staaten der Welt geworden -, sondern es geht darum, die Welt in die Wirtschaftssysteme der kapitalistischen Zentren zu integrieren. Die "westlichen" Freihandelszonen sind die ökonomischen Systeme, in welche die restlichen Regionen der Welt integriert werden sollen. Sei es die EU, die NAFTA oder die ASEAN, dies sind die Freihandelszonen, in denen die kapitalistischen Großmächte das Sagen haben und in denen auch nur diese die wirklichen Profiteure darstellen.
Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten des Ostens hat sich ein Großteil der ehemaligen sozialistischen Republiken der EU als Freihandelszone angenähert. Rumänien, Polen, die Tschechische Republik usw. streben nach der Aufnahme in die EU und sind dazu bereit, ihre wirtschaftliche und rechtliche Ordnung den Normen der EU anzupassen. Alle spielen das Spiel der "westlichen Welt" mit. Sie sind die Randzonen der EU, in denen soziale Standards abgebaut werden, das Wirtschafts- und Rechtssystem angepasst wurde und die Staaten als solche sich selbst in die Abhängigkeit der Großmächte der EU begeben haben.
Dieser Anpassung hat sich Jugoslawien als eine wichtige Region Europas verweigert. Bereits in der Konfrontation der Blöcke vor 1990 spielte Jugoslawien eine Sonderrolle. Es gehörte weder dem Warschauer Vertrag noch der EG bzw. der Nato an. Nach 1990 hat es Jugoslawien weiterhin vermieden, sich der Europäischen Union anzupassen und dessen Beitrittsland zu werden. Die Interessen der EU gehen also genau in diese Richtung. Die Zersplitterung Jugoslawiens soll die schrittweise Angliederung der Nachfolgestaaten an die EU bewirken. So waren es Kroatien und auch Slowenien, die als erste diesen Schritt gegangen sind.
Der Krieg gegen Jugoslawien und die damit einhergehende Unterstützung der serbischen "Opposition" zielt in die gleiche Richtung. Dass die Nachfolger Slobodan Milosevics, Zoran Djindjic und Vojislav Kostunica, alles andere als demokratisch sind, störte bei der Unterstützung jener kaum. Entscheidend war deren Bekenntnis zur EU und ihre Bereitschaft, sich den Vorgaben der europäischen Großmächte anzupassen.
Dieser politische Feldzug, der die Durchsetzung eines global funktionierenden Kapitalismus auf Grundlage der westlichen Freihandelszonen zum Ziel hat, wird ideologisch untermauert. Jegliche politische Intervention sowie jegliche Kriegseinsätze werden heutzutage unter dem Deckmantel der Menschenrechte geführt. Seit dem Beginn der Kriegseinsätze in Jugoslawien wurde das Fehlen von elementaren Menschenrechten in jener Region beklagt. Nicht nur von deutscher Seite, auch durch die anderen kriegführenden Staaten wurde von Anfang an der deutsche Nationalsozialismus als Inbegriff des Bösen auf das jugoslawische Staatsgebiet projiziert. Der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic wurde als "Serben-Hitler" bezeichnet, im Kosovo gäbe es KZ´s, und ebenso sei die Errichtung "Großserbiens" geplant. Massenvergewaltigungen, Massenmord, Deportationen etc. seien an der Tagesordnung. Besonders der deutsche Kriegsminister Rudolf Scharping tat sich bei der Beschaffung neuer "Beweise" für die "barbarischen Verbrechen" des serbischen "Diktators" hervor. Diese Aussagen kulminierten schließlich in der Aussage, dass im Kosovo ein "neues Auschwitz" stattfände, das zu verhindern sich die westliche Welt und allen voran Deutschland - aufgrund der Vergangenheit natürlich - in den Krieg zu stürzen habe.
Diese Menschenrechtsrhetorik der kriegführenden Staaten ist also durchaus als ideologische Komponente zu begreifen. Dennoch besitzt sie ebenfalls einen gewissen Eigenwert. Denn die Durchsetzung der westlich-kapitalistischen Ordnung ist nur die eine Seite der Medaille. Die Durchsetzung der Menschenrechte meint im Wesentlichen das Gleiche. Es geht den kriegführenden Staaten keinesfalls darum, ein humanitäres Menschenbild zu transportieren. Menschenleben sind diesen im Grunde scheißegal. Ob irgendwo auf der Welt Menschen umgebracht, Frauen unterdrückt oder Menschen gefoltert werden, spielt für die Planung von Kriegseinsätzen keine sonderlich große Rolle. Entscheidend sind die oben bereits genannten Kriterien.
Die Durchsetzung von Menschenrechten bedeutet die Durchsetzung von Rechten zum freien Kapitalfluss, bedeutet die Durchsetzung von ökonomischen, rechtlichen und politischen Verhältnissen, die dem weltweiten Kapitalismus nicht im Wege stehen, sondern diesen befördern. Die Garantie von Menschenrechten bedeutet, Verhältnisse zu schaffen, in denen nationale wie transnationale Unternehmen einen gesicherten Status besitzen, der ihnen durch rechtsstaatliche Vorschriften garantiert wird.
In diesem Sinne ist die Durchsetzung von Menschenrechten ernst gemeint. Menschenrechte sind also die nötigen Grundrechte des freien Marktes, welche zu gewähren von den Staaten, in denen sie durchgesetzt werden, gefordert wird. Die neue Form des Imperialismus kann also getrost als Menschenrechtsimperialismus benannt werden. Die Durchsetzung der Menschenrechte ist moralische Legitimierung und politisches Konzept in einem.

Das Projekt Zivilgesellschaft

In Deutschland findet der außenpolitische Menschenrechtsimperialismus sein innenpolitisches Pendant in der Zivilgesellschaft. Der parlamentarische Machtwechsel des Jahres 1998 brachte neue deutsche Verhältnisse mit sich. Mit dem Regierungsantritt von Rot/Grün bekam auch das zivilgesellschaftliche Spektrum der allgemeinen Öffentlichkeit eine größere Bedeutung. Gemeint sind Medien, PublizistInnen, PhilosophInnen etc. Diese Kreise speisen sich weitestgehend aus der 68er Generation.
In den letzten Jahren ist das Projekt Zivilgesellschaft begründet worden. Die amtierende Regierungskoalition ist die erste des Nachkriegsdeutschlands, die keine direkten Verbindungen zum Nationalsozialismus besitzt. Als VertreterInnen der 68er Generation seien diese die größten KritikerInnen des Nachkriegsdeutschlands ob seiner nationalsozialistischen Kontinuitäten gewesen. Die Kritik selbst an einem Deutschland, das keinen Bruch mit dem Nationalsozialismus vollzogen hat, sei so offizielle Regierungspolitik geworden.
Deutschland soll fit gemacht werden für die "Herausforderungen" der Zukunft. Der alte Mief, der Deutschland seit Jahrzehnten anhängt, soll beseitigt werden, um Deutschland als geläuterten Staat darzustellen, welcher aus seiner Geschichte gelernt und nun den Weg zu einer zivilisierten Gesellschaft hinter sich gebracht habe. Deutschland solle an das Wertemodell der westlichen Hemisphäre angepasst werden. Um dies zu bewerkstelligen, war jedoch eine grundlegende "Zivilisierung" der Gesellschaft und des Staates vonnöten. In diesem Sinne sind die "Reformvorhaben" der rot-grünen Regierungskoalition zu verstehen. Sei es die Novellierung des Staatsbürgerschaftsrechts (welches damit dem europäischen Standard angepasst wurde) oder die Homosexuellen-Ehe oder eben das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Nazis. Ziel ist es, Deutschland als moderne Großmacht zu etablieren.
Das Projekt Zivilgesellschaft ist jedoch jenseits derartiger rechtlicher Veränderungen ebenso als ein gesamtgesellschaftliches Konzept zu verstehen. Die Vorstellungen des autoritären Staates sollen zwar nicht begraben werden, dennoch soll ein Wandel besonders in der Wahrnehmung dahingehend stattfinden, dass der Staat nicht mehr als die Allgewalt erscheint. In Wirklichkeit werden autoritäre Konzepte jedoch lediglich auf eine breitere Basis gestellt. Propagiert wird die Übernahme einst staatlicher Bereiche durch nichtstaatliche Institutionen. Die wieder vermehrt zu beobachtenden Würdigungen des Ehrenamtes zielen genau in diese Richtung. Die BürgerInnen Deutschlands sollen in die Pflicht genommen werden, für die Entwicklung ihres Landes einen Beitrag zu leisten. Sie sollen sich in Vereinen engagieren, sie sollen nicht wegsehen, wenn auf der Straße Menschen durch Nazis zusammengeschlagen werden, und sie sollen ein generelles gesellschaftliches Engagement an den Tag legen.
Diese Beschwörung der Zivilgesellschaft, wie sie besonders im Sommer 2000 im Rahmen der Anti-Nazi-Aktionen zu beobachten war, ist in der Tat ein nationales Projekt. Das Projekt Zivilgesellschaft entspringt den linken Vorstellungen der Organisation eines nationalen Gemeinwesens. Mit dem Regierungsantritt von Labour in Großbritannien und Rot-Grün in Deutschland sind diese Konzepte regierungsfähig geworden. Sie bedeuten eine andere Form der politischen Gestaltung des Gemeinwesens, zielen jedoch ebenso wie konservative Theorien auf den nationalen Konsens, den es zu erreichen gilt, ab.
Das Projekt Zivilgesellschaft setzt genau dort an und versucht, die BürgerInnen wieder vermehrt in die Pflicht zu nehmen; gesellschaftliche Funktionen auf eine untere Stufe zu delegieren und die Bevölkerung damit in die Lage zu versetzen, auf gesellschaftliche Fragen unmittelbaren Einfluss nehmen zu können. Ihr Land fordert von ihnen gesellschaftliches Engagement, das sie ihrem Land schließlich auch entgegenbringen unter der Maßgabe, dass die Interessen ihres Landes schließlich auch ihre Interessen seien.
Ein wesentliches Element der Zivilgesellschaft in der BRD ist ihr Engagement gegen Nazis. Es ist auf der einen Seite ehrliches Interesse, nach dem Nazis als unmenschlich gelten und somit gesellschaftlich untragbar werden. Auf der anderen Seite sind pöbelnde, brandschatzende und mordende Nazis dem Ansehen Deutschlands in der Welt schädlich. Zudem wird von ihnen das Gewaltmonopol des Staates in Frage gestellt. Die Bekämpfung von Nazis ist für die Zivilgesellschaft also von unmittelbarer Bedeutung. Die BürgerInnen des Landes sollen sich gegen Nazis stellen, wenn sie denn in größerer Zahl irgendwo auftauchen, und der Staat versucht, Naziparteien und -vereine zu verbieten. Die Grundlagen nazistischen Gedankenguts, die Liebe zu Nation, Staat und Heimat, Autoritätsgläubigkeit etc. bleiben jedoch weitestgehend unangetastet. Statt Nationalismus zu verwerfen, wird ein alternativer Nationalismus angeboten, der sich lediglich auf einige andere Werte stützt, im Grunde aber eben Nationalismus bleibt.
Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wird von der Zivilgesellschaft betont. Nicht nur der Kampf gegen Nazis wird in den Vordergrund gerückt, sondern ebenso die "erfolgreiche Vergangenheitsbewältigung". So werden der Bau des Holocaust-Mahnmals sowie die "Zwangsarbeiterentschädigung" als Symbol des neuen Umgangs mit der Geschichte gewertet. Die Diskussionen um das Holocaust-Mahnmal haben jedoch gezeigt, dass dieses eigentlich kaum jemand will, und wenn doch, dann bitte nicht so groß oder aber nicht so erschlagend, so dass man gern hingeht etc. Ebenso eine Farce stellte die Abwicklung der ZwangsarbeiterInnen dar. Die Verhandlungen waren seit Beginn von der Motivation geprägt, sich vor Klagen gegen die deutsche Wirtschaft aus den USA und Israel zu schützen. Die letztendlich zu zahlende Summe, so sie denn jemals wirklich ausgezahlt wird, ist in der Tat weniger als Peanuts.
Die Zivilgesellschaft bildet also die gesellschaftliche Basis des neuen Deutschlands und soll den nationalen Konsens besorgen, der für die zukünftige deutsche Großmachtpolitik von Bedeutung ist. Nur ein zivilisiertes Deutschland, das die eigene nationalsozialistische Geschichte als bewältigt darstellt, das die "Schatten der Vergangenheit" (die Nazis) bekämpft und die rechtlichen Kriterien eines modernen westlichen Staates erfüllt (Staatsbürgerschaft, Einwanderung etc.), kann heutzutage als Weltmacht im Gefüge der Bündnisse bestehen.
Es ist also nicht so, dass beginnend 1998 sich die innenpolitische Lage verbessert, weil zivilisiert, und sich gleichzeitig die Außenpolitik verschärft hat. Sondern im Gegenteil: Diese Veränderungen sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Ziel ist die Etablierung Deutschlands als Weltmacht im Rahmen der Europäischen Union.

Deutschland den Krieg erklären - der 1. September in Leipzig

Angesichts dieser Situation ist es unsinnig geworden, an der Seite der Zivilgesellschaft gegen Nazis vorzugehen. Der zivilgesellschaftliche Antinazikampf wird derzeit von der gleichen Gesellschaftsschicht getragen wie die Befürwortung einer imperialistischen Großmachtpolitik inklusive Kriegseinsätze. Aus diesem Grund ist es für eine radikale Linke mehr denn je vonnöten, sich vom zivilgesellschaftlichen Antifaschismus abzugrenzen und dem eigene (linke) Konzepte entgegenzustellen.
Dies war für das BgR Leipzig der Grund, gegen den geplanten Naziaufmarsch freier Kameradschaften am 1.9. nicht die üblichen Anti-Nazi-Aktivitäten vorzubereiten, sondern das Augenmerk auf die Zivilgesellschaft zu lenken. In der heutigen Situation muss es der radikalen Linken verstärkt darum gehen, die wiedererstarkte Weltmacht Deutschland zu kritisieren und anzugreifen. Angesichts einer immer aggressiver werdenden deutschen Außenpolitik im Rahmen der Nato erscheinen die Nazis mittlerweile als kleineres Problem.
Dabei sollte es beileibe nicht darum gehen, Antifaschismus als peripheres Politikfeld ad acta zu legen. Dennoch lässt sich feststellen, dass alleinige linksradikale Anti-Nazi-Aktivitäten im Einheitsbrei des zivilgesellschaftlichen Widerstands untergegangen wären. Das BgR hat deshalb versucht, an jenem Tag eigene Akzente zu setzen und das Hauptaugenmerk auf eine Demonstration gegen den zivilgesellschaftlichen Militarismus zu legen.
Zu diesem Zweck wurde nicht vorrangig gegen den Nazi-Aufmarsch mobilisiert, sondern eine eigene Demonstration unter dem Motto "Deutschland den Krieg erklären. Den zivilgesellschaftlichen Militarismus und die neue Weltordnung angreifen" für den Abend des 1. Septembers angemeldet. Gleichzeitig sollten die öffentlichkeitswirksamen Inszenierungen der Zivilgesellschaft an diesem Tag mit eigenen Aktionen begleitet werden. Ein entscheidendes Ziel dabei war es, dass weder die Aktionen der Nazis noch die Gegenveranstaltungen der Zivilgesellschaft in den Vordergrund gerückt werden, sondern dass eigene Aktionen das öffentliche Bild bestimmen und somit die Kritik an bundesdeutschen Kriegseinsätzen in den Mittelpunkt rückt.

Von der Stadt Leipzig ist allen AnmelderInnen von Gegenaktivitäten von Anfang an signalisiert worden, dass diese verboten werden würden. Auch die Demonstration des BgR sollte einem generellen Demonstrationsverbot zum Opfer fallen. Die Stadt hat ein "Friedensfest" initiiert, welches als die einzige legitime Protestform festgeschrieben wurde. Alle anderen Aktivitäten, seien sie von der PDS, dem zivilgesellschaftlichen Courage-Bündnis oder vom BgR, sollten sich beim Friedensfest integrieren. Wer dies nicht tat, wurde als undemokratisch gebrandmarkt. Legitim sollte also lediglich das sein, was der Staat (hier die Stadt Leipzig) vorgibt. Eine wahrhaft zonale Demokratievorstellung.

Aus diesem Grund ist das BgR dem Aufruf der Stadt gefolgt und hat die eigenen Positionen beim Friedensfest am Leipziger Augustusplatz vorgetragen. Das "parteiübergreifende" Fest, auf welchem lediglich der SPD-Bürgermeister Wolfgang Tiefensee sowie der Vorzeigepfarrer Christian Führer ein Rederecht besaßen, wurde von ca. 10.000 Menschen besucht. Die Rede Tiefensees strotzte nur so von nationalistischem Pathos und heuchlerischen Passagen über Demokratie und Meinungsfreiheit. Den Nazi-Parolen setzte er in penetranter Wiederholung "Wir Leipziger", "Wir Sachsen", "Wir Deutschen" entgegen. Das Demomotto der Nazis "Für Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung" wurde von Tiefensee als nazistisch geoutet und diesem das viel deutschere Motto "Wir sind das Volk" entgegengestellt. Beispielhaft für die inhaltliche Position der Veranstaltung war ein Bürgerstand auf dem Fest, der sich gegen "linke und rechte Gewalt" wandte, glücklicherweise aber nicht lange Stand hielt.
Noch absurder war es, dass drei Tage nach dem Beschluss zum zweiten deutschen Kriegseinsatz nach 1945, am Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen, mit dem der Zweite Weltkrieg begann, auf diesem offiziellen "Friedensfest" jenes Ereignis mit keinem Wort erwähnt wurde, statt dessen jedoch das demokratische Gewissen der Stadt und seiner BürgerInnen in den Himmel gehoben wurde. Die Rede Tiefensees, welche die volksgemeinschaftliche Zivilgesellschaft beschwor, wurde des öfteren von Pfeifkonzerten Protestierender unterbrochen, was die Zivilgesellschaft wiederum mit tätlichen Angriffen beantwortete.

Den Protestierenden ist es durchaus gelungen, die Jubelfeier ein wenig zu stören (eine Zeitlang wurde die Anlage abgeschaltet, außerdem mussten vermummte Polizeieinheiten in das Fest knüppeln, damit Tiefensee seine Rede fortsetzen konnte) und damit den Protest gegen eine Stadt und deren zivilgesellschaftliche Basis auszudrücken, die ein Friedensfest veranstalten, auf dem weder aufgefordert wird, sich doch nun mal den Nazis entgegenzustellen, noch der soeben beschlossene Kriegseinsatz in Mazedonien auch nur mit einem Wort erwähnt wird. Dieses Fest stellte die einzige erlaubte Protestform gegen die Nazis dar, weil es die Protestform der Stadtoberen war. Insofern fanden wir es an diesem Tag wichtiger, gegen diese Politik vorzugehen, als gegen einen relativ unbedeutenden Naziaufmarsch. Leider lag die Priorität der Antifa an diesem Tag noch eindeutig auf dem Naziaufmarsch. Dies ist alleine schon deshalb bedauerlich, weil eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den deutschen Bundeswehreinsätzen und denen der NATO dabei generell auf der Strecke geblieben ist. Die Nazis spielen in der jetzigen gesellschaftlichen Konstellation nur eine marginale Rolle. Sie sind weder Stichwortgeber (wie 1997 in München gegen die Wehrmachtausstellung), noch völkischer Vorreiter (wie in Rostock). Sie werden gerade vom Staat stärker bekämpft als ihr sogenanntes "linkes Pendant", der sich nicht an die staatlichen Spielregeln haltende autonome Antifaschismus. Sicherlich sind Naziaufmärsche auch in Zukunft nicht hinzunehmen, aber eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Bruch nach dem "Antifasommer" ist zwingend notwendig. Für uns steht dabei fest, dass wir nicht Seite an Seite mit Leuten gegen die Nazis vorgehen wollen, die für uns selbst ein viel größeres Problem sind. Nicht die Nazis haben gerade irgend etwas zu melden, Politik wird von der Zivilgesellschaft gemacht. Und dies sowohl im Inneren als auch nach außen. Gerade die Kriminalisierung jeglichen Protests (sei es von links oder von rechts) und die Aufrüstung in puncto "innere Sicherheit", die aktuell nach dem Anschlag auf das WTC und das Pentagon auch in Deutschland wieder radikal verschärft wird, zeigen, dass die restriktive Politik gegen die Nazis auch auf uns zurückschlagen kann und schlägt. Dies macht ein positives Berufen auf die staatliche Willkür gegen die Nazis unmöglich (so wurden in Leipzig zum Beispiel drei Gerichtsentscheidungen bezüglich der Genehmigung der Nazidemonstration und ?route von der Stadt einfach ignoriert und von vornherein klargemacht, dass man sich darüber hinwegsetzt). Dies natürlich nur für diejenigen, die nicht eh schon in den Antigewaltbündnissen auf- und eingegangen sind. Insofern ist eine radikale Linke im Moment weiterhin auf die Verteidigung der Geschäftsgrundlage angewiesen. Dabei muss sie sich aber auch eigene inhaltliche Positionen erarbeiten und diese transparent machen. Nur so ist eine emanzipatorische Veränderung in weiter Ferne überhaupt noch denkbar.

Schon am frühen Abend des 1. September wurden alte Repressionskonzepte hervorgekramt, um missliebige Meinungsäußerungen in Zukunft von vornherein zu unterdrücken. So wurde in Sachsen mittlerweile eine "Soko Links" eingerichtet (Originaltitel: Soko MAG [Militante Autonome Gewalt]), welche schon des öfteren gefordert wurde aber politisch bislang noch nicht durchgesetzt werden konnte. Doch jetzt, wo sich linke Kritik gegen die Politik der Stadt, den deutschen Staat und auch gegen ehemalige BündnispartnerInnen richtet, ist Schluss mit lustig. Da wird das polemisch / provokative Motto der Mobilisierung "Deutschland den Krieg erklären!" als Vorwand genommen, um linken Protest generell zu kriminalisieren. Das Motto, das eben ein provokatives war (denn bislang konnten der linken Szene keine militärischen Strukturen, geschweige denn diverse Gerätschaften, die nun mal benötigt werden, um Kriege führen zu können, nachgewiesen werden), gefiel nicht. Nicht etwa wegen der militanten Sprachwahl, sondern wegen der grundlegenden Ablehnung deutscher Großmachtpolitik. Hier wurde die eigene Politik klassisch auf die KritikerInnen projiziert. Deshalb gilt es die Zivilgesellschaft, die von Menschlichkeit, Toleranz und Frieden faselt, um gleichzeitig die Tore für einen kriegerischen Massenmord in anderen Regionen der Welt zu öffnen, auch weiterhin anzugreifen. Diese Zivilgesellschaft ist kein Bündnispartner, sondern muss der politische Gegner sein.

 

Bündnis gegen Rechts Leipzig (BgR)
 

subpage last updated: 27. Mai 2003