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So nicht.
Positionierung des BgR zum linken Dialog in Leipzig und
den Vorkommnissen während der Tag X Demostrationen.

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Am 20.März, dem sogenannten Tag X, kam es während einer Aktion der Antideutsch Kommunistischen Gruppe (AKG) in Leipzig zu tätlichen Übergriffen einer aufgebrachten Menge, die sich aus dem Spektrum der Friedensdemonstration konstituierte und an der sogar TeilnehmerInnen der von uns mitorganisierten linken Demonstration teilhatten. Nur wenige Stunden später wurde das Conne Island mit Farbbeuteln beworfen. Dabei wurden zahlreiche zerknüllte Positionspapiere des Bündnis gegen Rechts (BgR) zum Irakkrieg (www.nadir.org/bgr) hinterlassen, was einen Zusammenhang nahelegt. Beide Ereignisse stehen in der Tradition ähnlicher Vorkommnisse, wie der zerschlagenen Scheibe im Spätverkauf „Martha Focker“ wobei ein AKG Plakat entfernt wurde oder den Auseinandersetzungen um das Zeitungsprojekt Incipito. Grundsätzlich ist eine Abnahme des innerlinken Dialogs zu beobachten, welcher die Leipziger Szene „Berliner Verhältnissen“ näher bringt.

Grundsätzlich fragen wir uns: Was soll diese Scheiße ? Nicht nur, dass diese Art der „Kritik“ von vornherein unverstanden bleiben muss, sie verfehlt im neuesten Fall der Farbbeutelwürfe auch völlig den angepeilten Adressaten. Das getroffene Conne Island nichts mit den Positionen des BgR zu tun. Für zukünftige Aktionen schlagen wir daher vor, wenn es schon nichts mehr zu sagen gibt, die Farbe wenigstens an die Adresse des BgR zu richten – also das Postfach 54 auf dem Hauptpostamt Leipzig zu bewerfen. Weitaus praktikabler für eine Linke wäre es allerdings, eine inhaltliche Kritik an unseren Positionen mit Namen und Adresse zu formulieren.
Geht die Farbbeutelwerferei schon ziemlich weit, so hat der Übergriff am Tag X den Boden des Dialogs längst verlassen. Selbst wenn wir der anstürmenden Meute euphemistisch eine Artikulation der eigenen Kritik an den Positionen der AKG unterstellen, so entbehrt diese Form der Auseinandersetzung jeglicher Unterstützung unsererseits. Kritik kann und muss sich anders äußern.
Glaubhafter ist in diesem Fall jedoch der Unwillen oder die Unfähigkeit einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den vorgetragenen Positionen. Hatten an unserem Transparent „Kein Frieden mit Deutschland – Den antiamerikanischen Konsens angreifen!“ vor der Deutschen Bank bereits zahlreiche DemonstrantInnen ihr offen antisemitisches Weltbild entlarvt, so kam es einige hundert Meter weiter zum Eklat. Die Mehrheit der recht wütenden DemonstrantInnen hatte wohl nicht die Kritik am Transparent „Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder!“ der AKG im Sinn, als ein größerer Mob auf eben jenes zustürmte. Eine klar antisemitische Motivation legen erklungene „Scheiß Juden“ Rufe nahe. Auch waren sich die FriedensdemonstrantInnen nicht zu schade, einzelne AktivistInnen als „Judensau“ zu bezeichnen.
Die artikulierte Solidarität mit Israel und die Unterzeile des Transparentes „Die antiamerikanische und antizionistische Internationale stoppen.“ dürften also viel eher handlungsleitend gewesen sein. Die um das Transparent wehenden roten und israelischen Fahnen taten wohl ihr übriges.
Diese Vorkommnisse lassen unsere Forderung nach der Notwendigkeit eines Angriffs gegen den antiamerikanischen Konsens plastisch werden. Durch die „Provokation“ der AKG hat dieser Antiamerikanismus offenbart, wie durchdrungen er vom Antisemitismus ist. Wir verurteilen nicht nur die Form des Übergriffs, sondern auch seine Motivation auf das Schärfste. Diese Auseinandersetzung mit Positionen der AKG ist keine Kritik, sondern blanker Hass. Die verweigerte Positionierung zu diesem Vorfall seitens des linken Demonstrationsbündnisses offenbart die Normalität, Konsensfähigkeit und allgemeine Akzeptanz eines solchen Vorgehens.
Linksradikale Gesellschaftskritik, die das Streben nach sozialer Emanzipation nicht völlig aufgegeben hat, kann derartig regressive Tendenzen nicht dulden oder ohne Abgrenzung gemeinsam mit ihren VertreterInnen demonstrieren. Wenn aus antiamerikanischem Ressentiment oder deutsch-nationaler Motivation gehandelt wird, dann bestehen für eine kommunistische Praxis keine politischen Anknüpfungspunkte. Uns bleibt vorerst nur die Kritik am falschen Bewusstsein.

Wir fassen kurz zusammen: Weder Israel noch Amerika sind die Hauptverantwortlichen für die herrschenden Verhältnisse. Die sündenbockverliebten Projektionen auf den Friedensdemonstrationen zeugen nur von der eigenen gefährlich falschen Analyse der Welt. Die Solidarisierung mit Israel unter anderem als historisch „positivem“ und in Zeiten permanenter arabisch-nationalistischer und islamistischer Angriffe noch bitter nötigem Resultat der Judenverfolgung muss die AntisemitInnen reizen – ohne die halluzinierten Schuldigen muss das eigene Weltbild zerbrechen. Der moderne Antisemitismus ist auch als eine vom unverstandenen Kapitalverhältnis hervorgebrachte Ideologie in Form antisemitischer oder antiamerikanischer Reaktionen auf die abstrakte Seite des Kapitals und so als negative Folge der kapitalistischen Moderne zu verstehen. Dabei ist die bei typischen Friedensdemonstrationen zur Schau gestellte verkürzte Kapitalismuskritik und der unbedingte Wille zur Personifizierung strukturelles Element dieses Bewusstseins. Während die Ideologie der AntisemitenInnen und AntiamerikanerInnen - die sich praktisch als einigermaßen resistent gegenüber Aufklärung erwiesen haben – sich wohl erst mit dem Ende des Kapitalverhältnisses erledigen wird, muss den tätlichen Expressionen eines solchen Geistes bereits heute mit allen Mitteln begegnet werden.
In diesem Sinne ist die Verhinderung der antiamerikanischen und antisemitischen Tat und die Denunziation des zugrundeliegenden falschen Bewusstseins nicht nur praktischer Antifaschismus, sondern im besonderen emanzipierte systemoppositionelle Gesellschaftskritik.

BgR Leipzig - April 2003
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subpage last updated: 08. April 2003