Presseerklärung zu den Ereignissen in der Nacht vom 16. auf den 17. November nach der antifaschistischen Demonstration in Wurzen / Sachsen

(...) Bereits bei den Vorkontrollen kommt es zu kleineren Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht. 15 km vor Wurzen versucht die Polizei drei Busse aus Hamburg, vier Busse aus Berlin und einen aus Lübeck an der freien Durchfahrt zu hindern. Die Busse sollten auf das genaueste durchsucht, die Teilnehmer und Teilnehmerinnen abgetastet werden. Angesicht des Drucks der großen Zahl der zu kontrollierenden Menschen bleibt der Polizei nur übrig, die geschlossen in Ketten diszipliniert herandemonstrierenden Teilnehmer durchzulassen. (...) Die Polizeiführung vor Ort zeigt sich irritiert und ermöglicht freie Fahrt.

(...) Um 18.30 h fahren die norddeutschen Busse geordnet aus der Stadt hinaus. 2 km vor der Stadt in Richtung BAB Leipzig provozieren Nazis die vorbeifahrenden Busse mit dem Hitlergruß und machen Armbewegungen, die in der Dunkelheit so gedeutet werden, als wenn die Leute am Straßenrand Steine auf Busse werfen. Die Busse halten an, Leute laufen in Richtung der Faschisten, die sich schnell aus dem Staub machen. Es ist etwa 19 h.

19.15 h. Wie aus dem Nichts tauchen plötzlich Einheiten des bayerischen Unterstützerkommandos (USK) von vorn auf. (...) Das USK blockiert die Weiterfahrt der Konvois. (...) Mitten auf der Landstraße (B6), etwa 300 m vor der Autobahnauffahrt, wird der Zug zum Halten gebracht. Zahllose Polizeifahrzeuge aller Art einschließlich dreier Wasserwerfer werden in Position gebracht, ein Lichtmast aufgebaut, der die gespenstische Szene in gleißendhelles Licht taucht. Wir wissen nicht, was die Polizei von uns will und verlangen, über einen Busdelegierten Kontakt mit den anderen Bussen aufzunehmen. Zunächst wird und das verwehrt.

Die Polizei gibt schließlich um 20.30 h folgendes bekannt: aus dem Hamburger Zug heraus seien während der Demonstration Straftaten verübt worden. Vermummte Gewalttäter hätten Steine geworfen. Daher müssten die Busse durchsucht werden.

Wir stellen fest, daß (...) das Verhalten insbesondere des USK uns gegenüber beleidigend, anmaßend und menschenverachtend gewesen ist. So werden Leute, die nur einzeln zum Rauchen und zu zweit ihre Notdurft außerhalb der Busse verrichten durften, von Polizisten beschimpft und verhöhnt. Besonders Frauen hatten unter sexistischen Sprüchen und unter den glotzenden Beamten zu leiden. (...) Nachdem eine weitere Stunde vergangen ist, folgendes Polizei-Angebot: je eine Person pro Bus gibt ihre Personalien mit der stillschweigenden Prämisse, daß diese "alle anderen BusinsassInnen kennt". (...) Der Vorschlag der Polizei wird wiederholt, alternativ alle männlichen Personen (da "hauptsächlich Gewalttaten von Männern verübt" werden, O-Ton Polizei) geben ihre Personalien ab.

21 h. Info über Delegiertenplenum: Einsatzleiter überlege sofortige Zwangsvollstreckung. (...)

21.15 h. Einsatzleiter will grundlos seinen eigenen Vorschlag nicht mehr gelten lassen und Gefangenentransport zum 300 m entfernten Parkplatz bringen lassen. Dort sollen von allen (O-Ton: "Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes") die Personalien festgestellt und alle mit Video abgefilmt werden.

(...) Auf Nachfrage nach der Rechtsgrundlage des Datenklaus wird lapidar Paragraph 163b StPO verwiesen. Die Busbegehungen dauern insgesamt eine Stunde. In der Zwischenzeit kommt die Information, daß das USK die Busse stürmen wollte und nur durch ihre sächsischen Kollegen daran gehindert werden konnte.

23.13 h. Die Weiterfahrt aller Busse wird freigegeben.

04.00 h. Bis 130 km vor Hamburg werden wir von zehn Polizeieinsatzfahrzeugen begleitet.

Wir fordern:

- sofortige Löschung aller unserer rechtswidrig erhobenen Daten!
- Schadenersatz für die Freiheitsberaubung von insgesamt vier Stunden!
- Unverzügliche öffentliche Stellungnahme des sächsischen Innenministeriums im Landtag!


Hamburger AntifaschistInnen,
Hamburg, 17.11.1996

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