Die radikale Linke und die friedliche Revolution.

"Leipzig erinnert an den Herbst '89" lautet das offizielle Motto der Feierlichkeiten und Veranstaltungsreihe der Stadt Leipzig in Zusammenarbeit mit verschiedenen ehemaligen BürgerrechtlerInneninitiativen. Geschichte wird gemacht - Bewertungen der damaligen Geschehnisse werden festgelegt/manifestiert, Ereignisse passgenau in die bundesdeutsche Gesellschaft eingefügt. (Bürgerliche) Konsensbildung. Für uns gilt es zu reagieren, eigene Standpunkte zu erarbeiten und sie in den derzeitigen Diskurs zu tragen. In unserem Text geht es uns nicht darum, die gesellschaftlichen Situation in der damaligen DDR zu analysieren oder zu bewerten, vielmehr wollen wir Bezug nehmen auf die 10 Jahre Nachwende, was die Konsequenzen der 89er Ereignisse waren. Dabei muß klar sein, daß wir die Ereignisse von '89 noch viel breiter in ihrer Komplexität begreifen müssen. Geschichte befindet sich in Bewegung und muß in Zusammenhängen gesehen werden. Der Oktober '89 war der eine Teil - Maueröffnung - Wiedervereinigung 1990 - die Balkanpolitik der deutschen Bundesregierung - Martin Walsers "Auschwitzkeule" - für uns ein klarer Zusammenhang.

    Einfach so, als wär's nicht passiert...

Ein Ergebnis der "Wende" war die Wiedervereinigung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten. Sie muß klar im Zusammenhang mit den Ereignissen vom Oktober 1989 gesehen werden. Das heißt, unser Blick auf Geschichte ermöglicht uns das. Wir betrachten das Ergebnis und versuchen zu folgern, wie es dazu kam. Das heißt häufig, mehr fragen zu stellen, darf aber nicht vor offensichtlichen Schlußfolgerungen zurückschrecken und Kritik ausschließen. Deshalb muß auch einer Betrachtung der Wiedervereinigung beider deutscher Nachkriegsstaaten eine Einschätzung, warum Deutschland geteilt wurde, vorausgehen. Nach dem Sieg der Alliierten über Deutschland war eine Konsequenz der alliierten Besatzungspolitik aus den Ergebnissen des 2. Weltkrieges eine Teilung Deutschlands. Auch wenn sicher spezifisch ökonomische und machtpolitische Interessen der unterschiedlichen Staaten einen entscheidende Anteil an den Teilungsambitionen hatten, so muß diese Teilung aus radikal-linker Sicht als richtig und notwendig anerkannt werden. Nur 45 Jahre nach dieser Teilung mußte sich die radikale Linke also die Frage stellen, welche Gründe es hätte geben können, die auf einmal eine Vereinigung dieser beiden deutschen Nachkriegsstaaten wieder zulässig machen könnten. Die intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld in der Geschichte konnte es nicht sein, fand diese doch in beiden Staaten so gut wie gar nicht statt. Auf alle Fälle wurde schon '89/90 deutlich, daß sich keine guten Gründe dafür finden lassen, die eine Einheit Deutschlands legitimieren könnten. Vielmehr sollte sich herausstellen, daß Gefahren, die sich mit einem wiedervereinigten Deutschland verbinden könnten, von Teilen der radikalen Linken damals schon gesehen wurden und im Laufe der Jahre ähnlich eingetreten sind. So müssen wir 10 Jahre nach der Maueröffnung feststellen, daß deutsche PolitikerInnen ihr Land mehr und mehr normalisiert sehen (wollen), deshalb innenpolitisch jeden Verweis auf die eigene Vergangenheit als "Auschwitzkeule" diffamieren und außenpolitisch eigene Großmachtambitionen mit Auschwitz legitimieren. Mit den Ambitionen für eine Wiedervereinigung setzte der Drang ein, die deutsche Politik & Gesellschaft für normalisiert zu erklären und sich innenpolitisch wie außenpolitisch neue machtpolitische Spielräume zu schaffen.

    Das Ende der Geschichte und die Radikale Linke

Ein weiteres Problem für die radikale Linke ergibt sich aus dem Ergebnis der "Wende" von '89. Mit der Vereinigung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten und der Angliederung der DDR an das Gesellschaftssystem der Bundesrepublik - einer Angliederung an den Kapitalismus - befand sich die DDR in einem Strom zahlreicher anderer sogenannter "Ostblockstaaten", bei denen das Konzept, eine praktische Alternative zum kapitalistischen Gesellschaftsmodell zu entwickeln, scheiterte. Mit dem Niedergang nahezu aller Staaten des real-existierenden Sozialismus scheint im westlichen Verständnis die Frage nach Alternativen zum Kapitalismus gelöst. Es gibt keine mehr, und tatsächlich wagt man sich schon vom "Ende der Geschichte" zu sprechen, und den Kapitalismus als einziges Gesellschaftsmodell mit historischem Bestand darzustellen. Dies darf von einer radikalen Linken nicht unwidersprochen bleiben. Die Gründe für das Scheitern verschiedener sozialistischer Versuche sind vielschichtig und widersprüchlich, aber einen direkten Zusammenhang zwischen dem Scheitern sozialistischer Versuche und dem daraus geschlußfolgerten "Ende der Geschichte" dürfen wir nicht anerkennen. Unsere Aufgabe muß es sein, die menschenverachtende Verwertungslogik kapitalistischer Gesellschaftssysteme aufzuzeigen und Alternativen zu entwickeln. Parallel zum Niedergang des real-existierenden Sozialismus setzte auch eine Erosion der Radikalen Linken weltweit ein. Waren Befreiungsbewegungen im Trikont aufgrund des Wegbrechens des Ostblockes ökonomisch und außenpolitisch isoliert, so konnte die Linke in Europa, vor allen Dingen die Linke in der BRD, die Ereignisse nicht entsprechend analysieren und daraus keine praktischen Konsequenzen ziehen. Auch heute noch steht die Radikale Linke in den meisten Fällen konzeptionslos vor den Verhältnissen. Nur selten sind grundlegende Veränderungen, die die kapitalistische Gesellschaft prinzipiell in Frage stellen, Ziel einer linken Praxis.

    Bürgerrecht und Totalitarismusthese

Die deutsche Realität nach der Wiedervereinigung stellt die Forderungen der BürgerInnenbewegung im Nachhinein in Frage. Wir sehen, daß ein Teil der BürgerrechtlerInnen/Oppositionellen durchaus eine Demokratisierung der Verhältnisse in der DDR anstrebte bzw. andere Alternativmodelle im Auge hatten, aber die Mehrzahl der DemonstrantInnen vertrat schon bald (nach Beginn der Demonstrationen im Winter '89) ganz andere Forderungen. Es war letztendlich nicht das Streben mündiger BürgerInnen nach Freiheit und mehr demokratischen Grundrechten sondern nur ein Auflehnen von KonsumentInnen und Mallorcaprolls. Trotz angebrachter und notwendiger Kritik an der DDR und einer generellen am real-existierenden Sozialismus, sollte es Aufgabe einer radikalen Linken sein, der offiziellen Geschichtsschreibung über die damaligen Ereignisse entgegenzutreten. Gerade die Totalitarismusthese erhielt durch das '89er Verständnis/Interpretation neuen Auftrieb, damit stabilisierten sich auch die jetzigen Verhältnisse (Extremismusangst) und Meinungsbilder und sind damit Hindernis für das Entstehen einer neuen emanzipatorischen linken Bewegung.

    Rollback und Rassismus

Verbunden mit der Wende und der Wiedervereinigung muß ein rechter/konservativer Rollback konstatiert werden. Bestimmte Werte, die in Folge der 68er-Bewegung sich in der BRD herausgebildet hatten, lösten sich im Verlauf der 90er im wiedervereinten Deutschland auf. So sehen wir uns heute mit einer konservativen Wertevorstellung konfrontiert, die in weiten gesellschaftlichen Bereichen (Justiz, Asyldebatte, Sozialgesetzgebung etc.) die öffentliche Meinung bestimmt. Eine der prägnantesten Diskussionen war die Änderung des bundesdeutschen Asylgesetzes im Jahre 1993. Kam es in vielen deutschen Städten zu Übergriffen gegen Ausländer und Pogromen (Hoyerswerda, Rostock), starben infolge von rassistischen Angriffen über 100 Menschen, löste die deutsche Öffentlichkeit das Problem mit der Verschärfung der Asylgesetzgebung. Wir wollen hervorheben, daß 10 Jahre Nachwende geprägt waren von rassistischen Pogromen, Brandanschlägen auf Wohnungen von ausländischen Menschen und einer täglichen rassistischen Gewalt von seiten des rassistischen Mobs sowie von staatlichen Institutionen.

AG neunundachtzig beim Bündnis gegen Rechts Leipzig
Juni 1999

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