taz, 28.09.1999

Öffentlichkeit ausgesperrt, Kurden eingesperrt

Gestern hat der größte Prozess zum Blutbad am israelischen Generalkonsulat begonnen. Acht junge Männer stehen vor Gericht - auch die Todesschützen sollen gehört werden

Gestern wurde in Moabit mal wieder verkehrte Welt geübt. Beim größten Prozess gegen Kurden wegen des Blutbads am israelischen Generalkonsulat Mitte Februar gab sich der vorsitzende Richter der 9. Großen Strafkammer des Landgerichts Berlin als Schützer der Jugend: Helmut Schweckendieck schloss die Öffentlichkeit aus, die Presseleute dürfen der Verhandlung bis auf weiteres nicht mehr folgen. Die Verteidiger der acht Kurden im Alter von 16 bis 19 Jahren dagegen suchen die Öffentlichkeit, wollen den "politischen Prozess" öffentlich verhandeln - der mühsame Versuch der Justiz der Hauptstadt, das blutige Geschehen am Aschermittwoch aufzuklären, ist um eine weitere überraschende Variante reicher.

Dabei geht es nach wie vor nicht um die zwei israelischen Sicherheitsmänner, die vier Kurden getötet und sechzehn andere mit Schüssen zum Teil schwer verletzt haben. Die Justiz strampelt sich vielmehr damit ab, die Kurden, die nach der Verhaftung des PKK-Führers Abdullah Öcalan die israelische Vertretung zu besetzen versuchten, ihrer (gerechten) Strafe zuzuführen. Mehr als ein Dutzend Kurden sind bisher vor Gericht gekommen, die meisten wurden wegen schweren Landfriedensbruchs angeklagt, einige auch wegen Köperverletzung, da sie Polizisten mit Stangen angegriffen haben sollen. Bisher wurden jedoch nur Bewährungsstrafen verhängt. Fünf Prozesse laufen derzeit noch, über fünfzehn Verfahren stehen noch aus.

Das Besondere an dem gestrigen Prozess war die Jugendlichkeit der Angeklagten. Zur Tatzeit waren vier der jungen Männer noch minderjährig, die anderen gelten, obwohl über 18 Jahre alt, als "Heranwachsende". Die Kammer kann, wenn sie will, alle acht nach dem Jugendstrafrecht verurteilen - etwa wenn der Richter befindet, auch die Volljährigen seien im rechtlichen Sinne wegen eines verzögerten Entwicklungsstandes nicht als Erwachsene zu begreifen. Die Strafe kann dann milder ausfallen. Immerhin: Vier der acht Kurden waren alt genug, Monate in Untersuchungshaft zu sitzen.

Richter Schweckendieck folgte gestern nun dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die die Öffentlichkeit ausgeschlossen haben wollte. Zwar bestehe in der Gesellschaft, so der Richter, ein "erhebliches Interesse" am Verfahren. Vorrang aber habe das Schutzbedürfnis der jungen Männer. In der Öffentlichkeit zu stehen könnte dazu führen, dass die Kurden vor Gericht "Hemmungen" aufbauten und in ihrer weiteren Entwicklung gestört würden. Eine "mögliche Stigmatisierung" durch indifferenzierte Berichterstattung in den Medien sei möglich. Womöglich könnten sich die Kurden durch die öffentliche Auseinandersetzung mit ihnen "zu wichtig nehmen".

Ihre Rechtsanwälte dagegen argumentieren: Schon bei den bisherigen Prozesse habe es ein breites Echo der Öffentlichkeit gegeben. Wegen des berechtigen Interesse der Gesellschaft an der Aufklärung des Geschehens müsse die Verhandlung öffentlich sein. Schon vor Beginn der Verhandlung seien ihre Mandanten zudem von Kameras abgelichtet worden. Auch die Personalien der Kurden seien öffentlich festgestellt worden - jetzt sei es für den Ausschluss der Öffentlichkeit zu spät.

Dabei könnte gerade dieser Prozess besonders interessant werden. Denn der Richter bemüht sich, die zwei israelischen Schützen als Zeugen zu hören. Das Ermittlungsverfahren gegen die Wachleute ist wegen des diplomatischen Status der Wachleute eingestellt worden - ein "Verfahrenshindernis" nennt man das: Ihre Immunität schützt sie vor möglicher Strafe. Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes wird der Staat Israel diesen Schutz vor Verfolgung gegenüber den deutschen Behörden nicht aufheben.

Der Prozess soll am Donnerstag fortgesetzt werden - erst einmal weiter unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Verteidiger haben angekündigt, dagegen Beschwerde einzulegen.

Philipp Gessler