Berliner Zeitung, 09.09.1999
SPD und Opposition: Innensenator hat falsch ausgesagt
Untersuchungsausschuss zu den Kurdenkrawallen befragte Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz in geheimer Sitzung

von Tobias Miller

Sieben Monate nach den tödlichen Schüssen im israelischen Generalkonsulat hat der parlamentarische Untersuchungsausschuss am Mittwoch die Beweisaufnahme beendet. Für die Ausschussmehrheit aus SPD, Grüne und PDS steht fest: Innensenator Eckart Werthebach (CDU) hat falsche Angaben gemacht. Er hatte erklärt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz Prioritäten für den Schutz ausländischer Einrichtungen festgelegt habe. "Das ist eine Schutzbehauptung. Eine solche Rangliste gab es nicht", erklärte der Ausschussvorsitzende Wolfgang Wieland am Mittwoch unmittelbar nachdem der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Peter Frisch, vor dem Gremium hinter verschlossenen Türen ausgesagt hatte.

Frisch und der Leiter des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz, Eduard Vermander, hatten am 16. Februar, einen Tag vor dem Sturm der Kurden auf das israelische Generalkonsulat, miteinander telefoniert. Bei dem Versuch, das Konsulat zu besetzen, waren vier Kurden von israelischen Sicherheitsbeamten erschossen worden. In dem Telefongespräch soll eine Rangliste der gefährdeten Länder besprochen worden sein. Demnach ist Israel erst an fünfter Stelle genannt worden. Diese Position vertraten Werthebach und die Polizeiführung in mehreren Sitzungen des Innen- und des Untersuchungsausschusses.

In einem Vermerk vom 6. März schrieb Vermander allerdings an die Innenverwaltung, das in dem Telefonat mit Frisch keine Rangfolge fest gelegt worden sei. Nach einem Gespräch mit Axel Dechamps, der zuständige Mitarbeiter für den Verfassungsschutz in der Innenverwaltung, änderte Vermander drei Tage später den Vermerk. Man habe sich über einen Grad der Gefährdung geeinigt, hieß es nun. Ganz im Sinne des Innensenators.

Man habe eine "missverständliche Formulierung" korrigieren wollen, sagte Dechamps am Mittwoch vor dem Untersuchungsausschuss. Als er den Vermerk vom 6. März gelesen habe, sei er "verwundert" gewesen. Denn die bisherigen Aussagen Vermanders seien anders gewesen. Daraufhin habe er mit ihm gesprochen. Man einigte sich darauf, einen neuen, klareren Vermerk zu schreiben und den alten zu vernichten. "Ich habe das Fax, das ich bekommen habe, selbst zerrissen", sagte Dechamps. Im Landesamt blieb allerdings eine Kopie des Originals erhalten. Sonst wäre der Vorgang gar nicht bekannt geworden. Wieland warf Vermander vor, Akten vernichtet zu haben: "Da musste die Aktenlage der Verteidigungslinie des Senators angepasst werden." Gegen Vermander will Wieland Anzeige wegen Aktenvernichtung erheben. Nach Aussagen Dechamps war der Innensenator über die Veränderung des Vermerks nicht informiert worden.

Aber auch ohne die Liste des Bundesamtes gab es Mitte Februar Hinweise auf eine Gefährdung Israels, die von der Führung der zuständigen Polizeidirektion 2 offenbar falsch eingeschätzt wurden. Der Chef der Direktion, Gerd Kilian, räumte am Mittwoch vor dem Ausschuss ein, dass 24 Stunden vor dem Strum auf das Konsulat bei einer Besprechung auch Israel genannt worden sei. "Das konnten wir aber gar nicht nachvollziehen", sagte er. Bis dahin habe es nur Spekulationen in den Medien gegeben. Er verlasse sich aber nur auf "amtliche Quellen".Aus diesem Grund seien auch nur drei Wachpolizisten vor dem Konsulat postiert worden.

Außerdem wurde lediglich eine verstärkte "Streifentätigkeit" angeordnet. Er hätte zwar von anderen Polizeidirektionen Verstärkung anfordern können, sagte Direktionschef Kilian. Das habe er aber damals nicht als notwendig angesehen. "Ängstliche Polizeiführer werden immer mehr Kräfte anfordern, als nötig sind."

"Ängstliche Polizeiführer werden mehr Kräfte als nötig anfordern." Gerd Kilian, Chef der Polizeidirektion 2