Berliner Zeitung, 03.09.1999

Falsche Zitate und falsche Prioritäten

Jens Stiller

Die beiden Fragen, die sich nach der Aussage des Berliner Verfassungsschutz-Präsidenten vor dem Kurden-Untersuchungsausschuss stellen, sind simpel: Warum verschwinden Aktenvermerke aus Ermittlungsakten? Und wer ist der Initiator?

Die Beantwortung ist leichter als in den meisten Fällen, in denen die Wahrheit durch Behörden gebügelt wird. Denn in diesem Fall ist bekannt, was verschwinden sollte: Ein Zitat, das widerlegt, worauf sich der Innensenator in Sachen Kurdensturm so sehr verstiegen hat.

Werthebach sagte immer wieder, dass es der große Verfassungsschutz des Bundes war, der die Bedrohung für das israelische Konsulat nicht richtig einschätzte. Die Berliner Polizei hatte sich demnach der Fehleinschätzung nur angeschlossen. Deshalb standen nur drei Wachleute vor dem israelischen Konsulat, als die Kurden stürmten. Am Ende waren vier Demonstranten tot, erschossen von israelischen Sicherheitsleuten, die meinten, in Notwehr in eine Menge von siebzig Menschen schießen zu können.

Der Berliner Verfassungsschützer gab jetzt zu Protokoll, dass es diese Fehleinschätzung aus Bonn nicht gab – und auch keine Rangliste bedrohter Länder, die Werthebach immer wieder zitierte. In der zweiten, geglätteten und sehr wagen Fassung ist nur noch von irgendeiner "Art Wertung" der Bundes-Verfassungsschützer die Rede. Die Aktenglättung sollte Werthebach helfen. Doch auch der schöngeschriebene Aktenvermerk zeigt: Eine Prioritätenliste, schriftlich und als Fernschreiben, hat es wohl nie gegeben. Der Verfassungsschutz-Chef schrieb nicht die Unwahrheit. Er nuschelte bloß. Dennoch gilt: Wenn es die Bundesbehörde nicht war, die sich irrte, bleiben nur die Berliner Behörden als Verantwortliche übrig.

Dass Werthebach der Initiator für die juristisch heikle Aktenkorrektur war, lässt sich nicht nachweisen. Zudem ist es auch sehr unwahrscheinlich, dass er log, als er von der Existenz einer Prioritätenliste sprach. Denn natürlich wurde aus den sehr allgemeinen Warnhinweisen der Verfassungsschützer eine Rangfolge bedrohter Länder abgeleitet. Nur entstand diese Liste in Köpfen von Berliner Polizisten, die hin und her interpretierten und zu fatalen Fehl-Entscheidungen kamen.