junge welt, 04.09.1999

Nach Aussage »degradiert«
Berliner Innensenator macht Verfassungsschutz-Vize Müller zum »Geheimdienstkoordinator«

Rechtliche Schritte wegen des Verdachts der Aktenvernichtung will Wolfgang Wieland, Vorsitzender der nach den Todesschüssen am israelischen Generalkonsulat eingesetzten Untersuchungskommission des Berliner Abgeordnetenhauses, einleiten. Nach öffentlicher Sitzung des Ausschusses am Donnerstag ist sich der Grünen-Politiker sicher, die Vernichtung »beweisen« zu können. Er beklagte, daß dem Ausschuß nicht Originalakten, sondern aufbereitete Unterlagen vorgelegt worden seien.

Im Kern geht es darum, ob Innensenator Eckart Werthebach nach der Entführung von PKK-Chef Abdullah Öcalan eine Gefährdung für Israels Konsulat sehen konnte oder nicht. Fünf Tage nach den Schüssen hatte Werthebach zwar eingeräumt, die Lage falsch eingeschätzt zu haben, beim Kräfteeinsatz der Polizei habe sich Berlin jedoch auf eine Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutzes gestützt. Auf einer Liste der durch Kurdenproteste gefährdeten Länder sei Israel jedoch erst auf dem fünften Platz erschienen.

Daß Polizei und Innenverwaltung am Tag des Blutbads bessere Informationen zur Gefahr in der Stadt hätten haben können, dessen ist sich Steffen Zillich, für die PDS Stellvertreter im Untersuchungsausschuß, sicher. Nach seinen Erkenntnissen hatten Eduard Vermander, Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz, und Bundesverfassungsschutzchef Peter Frisch am 16. Februar über die Gefahr von Anschlägen gesprochen. Ergebnis soll eine Liste von Objekten gefährdeter Staaten ohne jede Rangfolge gewesen sein. Ein Mitarbeiter sollte diese Informationen an den Chef der Abteilung 5 des LKA, Peter-Michael Haeberer, weitergeben. Hier aber existierte später nur die Prioritätenliste.

Am 6. März, kurz vor einer Innenausschußsitzung, hatte Vermander nach Forderung der Innenverwaltung einen Vermerk zum Inhalt seines Gesprächs mit Frisch verfaß. Vermander hielt damals fest, daß eine Rangfolge nicht festgelegt worden war. Diese Notiz aber, die so gar nicht zur Version Werthebachs passen wollte, wurde nach Gesprächen mit der Innenverwaltung vernichtet. In einem neuen Vermerk mit gleichem Aktenzeichen war später nichts mehr dazu zu lesen, daß ausdrücklich keine Rangfolge der zu schützenden Objekte festgelegt worden war. »In den Akten, die uns vom Verfassungsschutz erst am Abend vor dem Untersuchungsausschuß übergeben worden waren, fand sich allerdings noch eine Kopie des vernichteten Aktenvermerks Vermanders«, sagt Steffen Zillich gegenüber jW. Das Papier sei nur ungültig gestempelt gewesen. Der stellvertretende Amtsleiter des Berliner Verfassungschutzes, Klaus Müller, hätte sich geweigert, das Papier zu vernichten. Selbst aus den Handakten Müllers sollte das Papier entfernt werden. »Die Akten mit diesem Beweis gingen uns erst zu, nachdem klar war, daß Müller aussagen und bei seiner Auffassung bleiben würde«, so Zillich. Für ihn muß jetzt die Rolle der Innenverwaltung bei der Aktenunterdrückung geklärt werden.

Seine Aussage ist Klaus Müller nicht gut bekommen. Er wurde am Freitag von Werthebach zum Geheimdienstkoordinator degradiert, eine Behörde mit zwei Mitarbeitern. Für Marion Seelig (PDS), Mitglied im Untersuchungsausschuß, hat Werthebach damit die Grenze des Zumutbaren überschritten. Sie fordert den Rücktritt des Innensenators.

Bernd Verter