Keine Revolution ohne Emanzipation

Polemik gegen die Generallinie der SoL

 

In den letzten Jahren hat sich eine Strömung in der revolutionären Linken etabliert, deren äußeres Erscheinungsbild sich bewusst an den autonomen Dresscode anlehnt, dennoch aber eine Ideologie vertritt, die ausgestorben bzw. auf einen Zirkel vergreister DogmatikerInnen zusammengeschnurrt zu sein schien, die eines orthodoxen Leninismus. Eine der lautesten Gruppen ist dabei die in Hamburg und Duisburg beheimatete Sozialistische Linke, kurz SoL. Bundesweit gibt es noch weitere ähnlich eingestellte Gruppen.

            Die SoL konnte in Zusammenarbeit mit ihren Bündnispartnern in Hamburg – Rote Szene Hamburg, Bündnis gegen imperialistische Aggression und Anatolische Föderation – zum 1. Mai eine Demonstration organisieren, an der in diesem Jahr etwa 1500 Menschen teilnahmen. Die Frage, warum die Einzelnen da mitliefen, ist nicht Gegenstand der folgenden Überlegungen. Eines scheint aber sicher: Die aus der Zeit gefallenen Auffassungen dieser Gruppierungen können nur deswegen Anhang gewinnen und größere Mobilisierungen einmal im Jahr schaffen, weil die Radikale Linke – ganz besonders in Hamburg – derzeit inhaltlich und praktisch sehr schwach aufgestellt ist. Mensch beschäftigt sich überwiegend mit sich selbst, statt mit Gesellschaftsveränderung.

            Die bisherige meist antideutsch inspirierte Kritik aus der autonomen Linken am orthodoxen Neo-Leninismus, die sich auf dessen Bereitschaft, in innerlinken Streitigkeiten Gewalt anzuwenden, und auf die von der SoL als zutiefst ungerecht empfundenen Vorwürfe des Antisemitismus und des völkischen Denkens konzentriert, geht am Kern der Sache vorbei: Sie gibt sich zwar konsequent, hat inhaltlich außer Diffamierungen aber wenig zu bieten und ist damit diesem Phänomen gegenüber letztlich hilflos und fördert zudem noch dessen Wagenburgmentalität.

           

Die Argumentation der SoL läuft stets darauf hinaus, dass es bereits Sozialismus wäre, wenn das gesellschaftlich erarbeitete Gesamtprodukt gerechter verteilt würde, wenn vor allem nicht mehr die KapitalistInnen vom Mehrprodukt profitierten. Die Entfremdung, die kapitalistische Lohnarbeit bedeutet, sowie die Rückwirkung dieser Waren produzierenden Wirtschaftsweise auf die Gesellschaft, aber auch auf die Individuen und ihr Verhältnis zueinander erscheint der SoL offenkundig als irrelevante Fragestellung.

            Während die SoL die private Aneignung des gesellschaftlich erarbeiteten Produkts in Form des Profits durchaus angreift, beachtet sie die zweite Grundlage kapitalistischer Lohnverhältnisse nicht – ein Leben lang in einer hierarchischen Struktur, in der der Einzelne nichts ist, arbeiten zu müssen. Nötig wäre aber, zu verstehen, dass die Warenproduktion alles, was der Einzelne tut, unter die Prämisse der Verwertbarkeit stellt. Das prägt jedeN. Durch die alles durchdringende Totalität von Lohnarbeit, Ware und Geld werden die Menschen von ihrer Arbeit, ihrer Umwelt, aber auch von ihren Mitmenschen und sich selbst entfremdet. (Siehe: Keine Macht für niemand, eine anarchistisch-rätekommunistische Erklärung) Bei der SoL drängt sich der Eindruck auf, dass der bisherige Privatbesitz an Produktionsmitteln lediglich in Staatseigentum überführt werden soll. Daran, wie produziert wird, würde sich nichts ändern. Einzelne nichts ist, arbeiten zu müssen.fits durchaus angreift, beachtetauch zu seinen Mitmenschen und zu sich selbst gep

 

Dazu passt, dass die SoL in ihrem Aufruf zum 1. Mai 2012 lediglich die verschiedenen Gemeinheiten, die der Kapitalismus aktuell seinen Untertanen bietet, an Stelle einer Kapitalismus-Kritik auflistet: Hartz IV, Lohndrückerei, Massenentlassungen und prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Renten-Nullrunden, ausgehöhltes Gesundheitssystem. Natürlich ist es sinnvoll, aktuelle Missstände aufzuschreiben, doch die SoL belässt es dabei und bewegt sich damit nur an der Oberfläche kapitalistischer Ausbeutung.

Hartz IV und andere Maßnahmen sind aber nur die hierzulande spürbarsten Auswirkungen des Gesamtsystems. Nun hat es all das vor – sagen wir einmal – 30 Jahren auch nicht gegeben, denn der deutsche Kapitalismus kam in den 1950er bis weit in die 1980er Jahre ohne diese Spitze des Eisbergs kapitalistischer Ausbeutung aus. Was wir damit sagen wollen: Es muss darum gehen, den Kapitalismus als solchen zu kritisieren und sich nicht auf seine übelsten Auswüchse zu beschränken.

 

Diese Eindimensionalität der ökonomischen Betrachtung korreliert mit jener der gesellschaftspolitischen Ebene, wo zwar die Macht der Bourgeoisie gebrochen werden soll; aber Herrschaftsverhältnisse an sich sollen nicht abgeschafft, sondern vielmehr durch neue ersetzt werden.

 

Die Partei, die Partei, die hat immer recht!

Lesen wir ´mal ´rein ins Grundsatzpapier der SoL (auf www.sol-hh.de ). Abschnitt „Warum eine Organisation?“ Es brauche, so erfahren wir dort, eine ganz spezifische Organisationsform, „die kommunistische Partei“, in der „sich die konsequentesten, klassenbewusstesten Menschen aus den jeweiligen Klassen- und sozialen Kämpfen zusammenschließen“. Die Kommunistische Partei (im Folgenden mit KP abgekürzt) vereint „also die bewusstesten Teile der ArbeiterInnenklasse, wie auch der anderen werktätigen oder lohnabhängigen Schichten und Klassen“. Das ist bis hierhin ganz konventionelles Rüstzeug jeder sich auf irgendeine Weise auf Lenin beziehenden Gruppierung.

Die SoL spezifiziert aber die KP weiter und gerät damit in ein sehr orthodoxes Fahrwasser, das in Deutschland von der Weimarer KPD über die Stechschritt-Fraktion der K-Gruppen (KPD/ML, KPD/AO) bis zur heutigen MLPD führt: „Unerlässlich ist in diesem Zusammenhang Führung und Hegemonie der ArbeiterInnenklasse gegenüber verbündeten Schichten.“ Sowohl innerhalb der KP als auch in Bündnissen zwischen der KP und anderen „verbündeten Schichten“ gibt es also zweierlei Mitwirkende, die einen, die führen und Hegemonie ausüben, die anderen, die sich dem unterzuordnen haben. Das ist ein in keiner Weise mehr emanzipatorisches oder freiheitliches Konzept. Wir würden es nicht in der Programmatik einer linken Gruppe erwarten, wären da nicht die historischen Vorbilder, die letztlich bis auf Lenin und die KPdSU zurückgehen. Der SoL fällt überhaupt nicht auf, dass sie die hierarchischen Strukturen dieser bürgerlichen Gesellschaft für ihr (immerhin auf Befreiung zielendes) Projekt unreflektiert übernimmt.

 

Lenin beziehenden Gruppierung. mmer recht!histisch-rätekommunistische Erklärung, h deren Rückgängigmachung zu lösen - fen. Dennoch kommt der demokratische Austausch vor, irgendwie zumindest: „Den Organisationsaufbau einer kommunistischen Partei sollte ein ausgewogenes Verhältnis zwischen notwendigem Zentralismus und erwünschter Demokratie kennzeichnen.“ Also, ein bisschen Demokratie: ja, aber wenn´s kritisch wird, sprich von der Generallinie abweichende Meinungen die Oberhand zu gewinnen drohen, setzt sich die Zentrale durch. Genauso wird ein bisschen die Leitung gewählt, die dann aber regiert (klingt alles etwas nach bürgerlichem Parlamentarismus mit seinem Minimum an Mitbestimmung via Wahlen): „Jede Ebene wählt die nächst höhere, die ihr gegenüber wiederum weisungsbefugt ist.“ Nur zum richtigen Verständnis: Nicht die Basis darf der Führung Weisungen erteilen, sondern umgekehrt bestimmt die Parteileitung, was die Basis zu tun (und zu denken?) hat.

            Zugleich ist die KP – die ja immerhin die revolutionäre Bewegung laut SoL-Grundsätzen anführen wird – keineswegs die Partei aller RevolutionärInnen, sondern nur eines vergleichsweise kleinen Kreises, schließlich wähnt mensch sich als Teil einer kommenden „Kaderorganisation“ und hat dann „eine führende Rolle in Bezug auf die Massen“. Derart aufgestellt und mit dem „Marxismus-Leninismus“ ausgerüstet, „führt“ die KP „das Proletariat vor und während der Revolution“.

Nach der Revolution wird ein neuer Staat errichtet, in dem, Ihr ahnt es schon, die KP die Führung innehat. Warum der dann „Rätestaat“ genannt wird, wo die KP doch ausdrücklich nicht nur die „theoretischpolitische Führung“ hat, sondern auch „Kern und führendes Element des proletarischen Rätestaates“ sein soll, bleibt rätselhaft. „Geführt werden“, und wir sind jetzt schon im Abschnitt „Sozialismus“, „die proletarische Macht und ihre Massenorganisationen (Räte, Gewerkschaften, Jugendorganisationen usw.) durch die kommunistische Partei.“ Aber einen nominellen Rätestaat, in dem die Räte nichts zu melden hatten, gab´s ja schon: die Sowjetunion!

 

Marschmusik statt Punkrock

Die SoL hat keinerlei Vorstellung von individuellen Freiheiten oder menschlicher Emanzipation, von Selbstbestimmung oder Aufhebung von Entfremdung. Stattdessen überwacht die Parteiführung das Erringen von Freiheit – dass darin ein antagonistischer Widerspruch liegt (Überwachung und Freiheit), merkt die SoL nicht. Sie erklärt die Partei zum Träger des gesamten Allwissens revolutionärer Politik, weshalb auch nur sie den richtigen Weg zur befreiten Gesellschaft kennt. Alle anderen haben sich dem unterzuordnen oder werden bekämpft.

            Die SoL entwirft einen sehr hierarchischen Staat. Historische Erfahrungen mit den gescheiterten Versuchen, auf solche Weise eine egalitäre Gesellschaft zu erreichen, werden von der SoL ignoriert. Während sich andere KommunistInnen, die ebenfalls nicht auf einen Staat verzichten wollen, immerhin fragen, wie in ihm ein Maximum an Demokratie und Mitbestimmung hergestellt werden kann, wie die Menschen lernen, ihre Bedürfnisse in Eigeninitiative zu befriedigen, wie also die Organisierung der Gesellschaft von staatlichen Stellen allmählich in die Hände der ProduzentInnen zurückverlegt werden könnte, und während wir RätekommunistInnen und AnarchistInnen dazu sagen: Ist erst einmal wieder ein Staat da, werden sich seine Strukturen verfestigen und verselbständigen, und wird die Eigeninitiative, diese notwendige Voraussetzung jeder befreiten Gesellschaft, dadurch unterminiert, und bleibt also nur, von vornherein auf das Instrument Staat zu verzichten … stellt sich die SoL all diese Fragen überhaupt nicht. Die Partei und der Staat werden´s schon richten. Steht ja schon bei Lenin! Wie aus dem Nichts, von Zauberhand soll sich der Staat dann irgendwann auflösen. Die Simplizität dieser Argumentation ist schier unfassbar (und, ohne Lenin verteidigen zu wollen, tritt weit hinter die Schriften ihres Herrn und Meisters zurück).

Bei der SoL zählen auch nur die vermeintlichen Erfordernisse des Staats und der als unterschiedslos vorgestellten Gemeinschaft der ArbeiterInnenklasse, die schließlich als im neuen Staat gut aufgehoben gedacht wird. Das Individuum ist ihnen nichts. Uns käme es aber gerade darauf an, die Interessen, Wünsche und Hoffnungen der Individuen mit den Erfordernissen der Gesamtgesellschaft in Einklang zu bringen.

 

Der SoL gegenüber sind ein paar Essentials revolutionärer Politik festzuhalten: Eine befreite Gesellschaft kann auf Dauer nur funktionieren, wenn sich niemand mehr einem „Oben“ unterwirft, denn sonst droht die Re-Etablierung von Macht und Mächtigen als Herrschaft über Menschen.

Emanzipation und Selbstbestimmung müssen schon die heutigen revolutionären Strukturen, ihre Organisationen, Gruppen und Plena, prägen. Jeder Organisationsversuch, der auf eine Unterordnung von Minderheiten unter Mehrheiten oder Zentralkomitees oder Leitungen setzt, ist bei der erreichten Vielfalt an Ideen, Analysen und Strömungen in der revolutionären Linken ein Hindernis der Selbstorganisierung und zum Scheitern verurteilt.

 

Für eine soziale Revolution, die ihren Namen verdient!

Anarchistische Gruppe/Rätekommunisten (AG/R)