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Oaxaca-Tickermeldung 22. 10. 2006

Tickermeldung 22. 10. 2006 | Quelle: http://www.chiapas.ch/

Die Lehrer und Lehrerinnen bleiben vorerst im Streik

An ihrer Generalversammlung beschlossen die 700 Delegierten der Sektion 22 der Lehrer- und Lehrerinnengewerkschaft CNTE in Oaxaca, vorerst nicht in die Aulas zurückzukehren. Der Entscheid wurde nach fast 24 Stunden, zum Teil heftigster Debatte, am Sonntag morgen um 6 Uhr 30 gefällt- die gesamte mexikanische Presse hat schon vermeldet, dass die Dozenten diese Woche wieder in die Schulen gehen werden.

Das ist eine herbe Niederlage für die Leitung der Sektion 22, die mit dem Innenministerium ausgehandelt hatte, noch in dieser Woche den Streik zu beenden. Der Vorsitzende der Sektion 22, Enrique Rueda, hatte diese Woche in allen Medien bekannt gegeben, dass der Streik noch in der kommenden Woche beendet werden würde, die Frage sei nur noch das konkrete Datum. Dieses sollte mit einer Urabstimmung festgelegt werden. So konnten die Delegierten der Gewerkschaft nur über drei Punkte abstimmen, nämlich über drei mögliche Daten für das Streikende.

Die Äusserungen von Rueda und das undemokratische Vorgehen der Gewerkschaftsführung haben einen wahren Sturm der Entrüstung an der Basis der Lehrer und Lehrerinnen, sowie der APPO ausgelöst. Während den letzten Tagen haben sich unzählige RadiohörerInnen in den drei Radios der Bewegung zu Wort gemeldet. Die Mehrheit bezeichneten den Entscheid von Rueda als Verrat, insbesondere darum, weil die Sektion 22 erst kürzlich beschlossen hatte, erst in die Schulen zurückzugehen, wenn der Gouverneur von Oaxaca, Ulises Ruiz Ortiz, zurückgetreten oder abgesetzt sei.

In den letzten Tagen wurde mehr und mehr klar, dass die Führung der Sektion 22 versucht, eine Art Putsch zu organisieren. Vielen wurde in diesen Tagen klar, dass dies in Absprache mit dem Innenministerium der Regierung Fox geschieht. Aber die Schachzüge haben schlussendlich nicht die erwarteten Resultate gebracht. Als Rueda gestern den Versammlungsort betreten wollte, wurde er von unzähligen Leuten der Basis empfangen, die ihn als Verräter beschimpften und mit Abfall beworfen hatten. Dennoch sah es bis in die frühen Morgenstunden so aus, als könne sich Rueda durchsetzen. Am frühen Sonntagmorgen waren aber genügen Beweise zusammengetragen, welche belegen, dass die Abstimmungsresultate innerhalb der Gewerkschaft über den Abbruch des Streiks durch Wahlfälschung zustande gekommen waren. So war das offizielle Resultat folgendes: 26’000 Stimmen für und 15’000 gegen ein Streikende, bei einer Gesamtzahl von 70’000 LehrerInnen. Das heisst, es waren mehr als 29’000 Stimmen "abhanden" gekommen.

Darum haben in der Folge die Delegierten beschlossen, in der kommenden Woche eine grossangelegte Umfrage an der Gewerkschaftsbasis durchzuführen und auf deren Basis das weitere Vorgehen zu diskutieren. Enrique Rueda musste den Verhandlungsort heute morgen früh vermummt und unter Schutz verlassen, um dem Volkszorn heil zu entgehen.

Was bedeutet diese Entwicklung?

In erster Linie bedeutet dies, dass ein Versuch gescheitert ist, nach alter mexikanischer Art einen Kuhhandel zu machen. Das Innenministerium von Fox erhoffte sich, die wichtigste Fraktion der APPO, die Sektion 22 der CNTE, kaufen und isolieren zu können. Damit hätte die Regierung Fox erreicht, dass das Volk der Repression ohne die Unterstützung der 70’000 Lehrer und Lehrerinnen ausgesetzt wäre.

In zweiter Linie bedeutet es, dass die Sektion 22 in Gefahr ist, sich zu spalten. Es war schon seit Beginn ihres Streiks eine Tatsache, dass die Delegationen aus dem Istmo und der Region Tuxtepec, die ein relativ grosses Gewicht haben, eher eine moderate Position verfolgen. So haben sich einige Mitglieder dieser Delegationen nur sehr halbherzig am Streik beteiligt. Als sich der Widerstand nach dem gescheiterten Räumungsversuch am 14 Juni auf das gesamte Volk von Oaxaca ausgedehnte, wurden diese Delegationen von der Basis "links überholt".

Als den LehrerInnen vor sieben Wochen jede Lohnfortzahlung verweigert wurde, haben viele Mitglieder der erwähnten Delegationen immer stärker zu fordern begonnen, in die Schulen zurückzukehren, weil ihre ökonomische Situation prekär wurde. Diese Delegationen haben in der letzten Woche grossen Druck auf die Gewerkschaftsleitung gemacht und versuchten nun, mit einem Putsch sich durchzusetzen.

Die APPO, die Radios, allen voran Radio Universität, ruft alle auf die Einheit zu wahren. Es ist im Moment schwierig zu sagen, ob sich eine Spaltung vollziehen wird, tendenziell zeichnet sich aber ab, dass die Bewegung die Einheit wahren wird. Viele Lehrer beklagen sich, dass die aktive Unterstützung des Volkes auf der Strasse in den letzten zwei Wochen stark abgenommen hat. So sagen sie, dass das Volk von den Dozenten verlange, standhaft zu bleiben, sich gleichzeitig aber in die Häuser verschanzen. Tatsächlich haben viele Angst in der Nacht auf die Strasse zu gehen und sich als lebende Zielscheiben für die Todesschwadronen zu präsentieren. Dennoch ist es erstaunlich wie viele Leute nach wie vor präsent sind.

Der Entscheid von heute morgen früh bedeutet nicht, dass die LehrerInnen schlussendlich nicht in die Schulen zurückkehren werden, sondern, dass dies in einem wirklich demokratischen Prozess diskutiert und entschieden werden soll. In diesem Prozess muss auch diskutiert werden, wie die Hauptforderung der Absetzung von Ulises Ruiz Ortiz durchgesetzt werden kann, falls die Lehrer und Lehrerinnen wieder in die Schulen gehen würden.

Drittens bedeutet die aktuelle Entwicklung, dass sich die "demokratische" Tendenz der Bewegung durchgesetzt hat. Immer wieder hat diese betont, dass sie keine Bewegung von Führern sei, sondern von der Basis. Die APPO aspiriert auf keine Regierungsposten, will nicht den nächsten Gouverneur stellen, sondern will eine tiefschürfende Staatsreform erkämpfen, will den Bundesstaat von Grund auf neu organisieren. Die Reaktion des Volkes auf das diktatorische Gehabe von Rueda zeigte nun, dass es der grossen Mehrheit des Volkes mit dieser Idee sehr ernst ist.

Es ist jetzt sehr wichtig, dass sich die APPO offiziell konstituiert, weil auch sie mit selbsternannten Führerpersönlichkeiten zu kämpfen hat. So spielt sich zum Beispiel Flavio Sosa immer mehr als Sprecher der APPO auf und gibt Interviews am Fernsehen, ohne dass ihn jemals jemand gewählt hat. Am 12 November wird nun aus diesem Grunde der Konstituierungskongress der APPO stattfinden.

Viertens bedeutet die aktuelle Entwicklung, dass die Gefahr der Repression wieder gestiegen ist. Da die Rechnung des Innenministers Abascal nicht aufgegangen ist, kommt der Entscheid der Sektion 22 einem Scheitern der Strategie der Regierung Fox gleich. Was nun folgen wird ist, dass wieder verstärkt das Eingreifen der Bundespolizei und des Militärs gefordert wird. Zudem wurde gestern, durch Indiskretion, ein neuer Plan von Ulises bekannt, der beschreibt, wie er den Konflikt lösen will. Man kann diesen Plan mit wenigen Worten umschreiben: Extralegale Polizeirepression, Massenverhaftungen und Diktatur. Aber Ulises hat schon viele Pläne entworfen die schlussendlich schon im Keim gescheitert sind.


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