Neue Etappe der Autonomie

Von Dario Azzellini

Vor Zehntausenden Teilnehmerinnen verkündete die Leitung der zapatistischen Guerilla EZLN am vergangenen Wochenende den Beginn einer neuen Strategie des Widerstandes und eine Ausweitung der Ausübung der Autonomie. Anwesend waren auch die Repräsentanten des "Klandestinen Revolutionären Indigenakomitee" (CCRI), der höchsten Leitungdes zapatistischen Aufstandes und über 100 Vertreter aus 30 Autonomen Gemeinden.

In Ihren Reden richteten sich die vermummten EZLN-Comandantes, darunter auch zahlreiche Frauen, gegen korrupte Regierende, die Macht des Geldes und die Welthandelsorganisation WTO. In einem vorangegangenen Kommuniqué hatte die EZLN bereits angekündigt sich an den Protesten gegen den WTO-Gipfel vom 10. bis 14. September im mexikanischen Strandbad Cancun zu beteiligen. In den Reden der zapatistischen Comandantes wurden auch Blair, Berlusconi und Bush hart angegriffen und die Rebellion als einziger Weg dargestellt, um den "permanente globalen Krieg" zu stoppen.

Comandante Zebedeo kritisierte auch den spanischen Richter Baltasar Garzón stark an und grüßte den Kampf des Baskenlandes. Garzón, der sich aktuell in Mexiko befindet, und den Marcos Ende vergangenen Jahres zum Rededuell aufforderte, hatte einige Tage zuvor imn Bezug auf die durch die Zapatisten aufgebauten Strukturen erklärt "jede Form der Regierung, die sich am Rande der Verfassung bewegt" sei illegal. Garzón, im Ausland bekannt aufgrund seiner Ermittllungen gegen Angehörige ehemaliger lateinamerikansicher Militärdiktaturen, hat sich in Spanien vor allem durch flächendeckende Verbote baskischer Organisationen, Medien und Institutionen einen Namen gemacht, die er pauschal des Terrorismus beschuldigte.

Subcomandante Marcos selbst war nicht anwesend. Ihm kam die Aufgabe zu das erste auf Kruzwelle international gesendete Programm von "Radio Insurgente" zu moderieren. Als die Ausstrahlung aufgrund von starken Interferenzen der Armee nicht möglich war, wurde eine aufgezeichnete Botschaft in Oventic vorgespielt. Darin verkündet Marcos das Ende seiner kurzzeitigen Sprecherrolle für die "Juntas der guten Regierung", deren Vertreter und Vertreterinnen nun bei Bedarf selbst sprechen würden. Ebenso kündigte er die Auflösung aller EZLN-Straßenkontrollen in Chiapas an, eine Überprüfung von Fahrzeugen erfolge nur noch beim Verdacht auf Schmuggel von Dorgen, Waffen oder Edelhölzern. Dieser Entschluss sei gefasst worden, weil jede gute Regierung, so Marcos, mit der Vernunft und nicht mit der Armee regieren sollte.

Auf ihre Teilnahme an den Festlichkeiten verzichten mussten schließlich auch die Mitglieder der parlamentarischen Friedenskommission Cocopa, deren Angehörige sich in den Tagen zuvor über die Presse selbst eingeladen hatten. In einer kurzen Erklärung vor den Festlichkeiten machte Marco jedoch deutlich, die EZLN habe keine Politiker eingeladen und noch viel weniger würde sie sich mit ihnen treffen wollen.

An den zentralen Feierlichkeiten in Oventic nahmen mehrere zehntausend Personen teil. Neben unzähligen aus anderen Basisgemeinden angereisten Tzotzil, Tzletal, Tojolabal, Zoque und Chol-Indianern auch zahlreiche internationale Gäste, vor allem aus den USA, Kanada, Italien, Spanien und dem Baskenland sowie eine bunte Mischung aus ganz Mexiko, Bauern- und Indígenaorganisationen andere Regionen, Studenten und Intellektuelle, Gewerkschafter und Aktivisten aus verschiedensten Basisorganisationen. Bereits am Freitag hatten sich in Oventic Tausende von Menschen versammelt, ein Basketballturnier fand statt und zahlreiche zapatistische Musikgruppen aus der Region spielten. Vermummte Zapatisten und unvermummte Besucher aus Mexiko und dem Ausland fotografierten sich gegenseitig und miteinander, mit Vorliebe vor dem "Haus der Junta der guten Regierung, Zentrales Herz der Zapatisten gegenüber der Welt". Eines der fünf "Schneckenmuscheln", der Caracoles, die als neue Kommunikationsstruktur mit der Zivilgesellschaft am Platz der ehemaligen Aguascalientes eingeweiht wurden. Für die Tzotzil-Indianer symbolisieren offene Spiralen, wie die Form der Schneckenmuscheln, die Zeit. In der Nacht zum Samstag wurde in einem öffentlichen Akt der Führung der EZLN der "Tod" des 1996 in Oventic eingeweihten Aguascalientes erklärt, es erging ihm ebenso wie den anderen vier in La Garucha, Morelia, Roberto Barrios und La Realidad. Sie wurden ersetzt durch die "Caracoles", in denen ab sofort die fünf neu gebildeten "juntas der guten Regierung" arbeiten.

Schon in den Tagen zuvor waren auf den Straßen und Wegen Chiapas Tausende von Indígenas zu sehen gewesen. Einige mit den typisch zapatistischen Sturmhauben vermummt, andere mit unverhüllten Gesichtern. Schon am Freitag standen am Ortseingang von San Andrés, der Gemeinde in dem die Gespräche zwischen Regierung und EZLN stattfanden eine kilometerlange Schlange geparkter Fahrzeuge.

Die ersten "Autonomen zapatistischen Gemeinden in Rebellion" entstanden Ende 1994. Aktuell existieren über 30 autonome Gemeinden, deren Einfluss sich auf etwa die Hälfte des Bundesstaates Chiapas erstreckt. Die Bildung der fünf "Juntas der guten Regierung", in der jeweils sechs Gemeinden zusammengefasst sind, stellen einen weiteren Schritt in dem Prozess der Selbstorganisierung der zapatistischen Basis dar. Die aus abgesandten derselben gebildete neue Regionalregierung soll auch eine direktere Verbindung zwischen den zapatistichen Basisgemeinden und dem Rest der Welt ermöglichen.

Die autonomen Gemeinden wählen in Versammlungen einen autonomen Gemeinderat, der aus einem Vorsitzenden, einem Stellvertreter und verschiedenen Verantwortlichen für Landwirtschaft, Gesundheitswesen und Erziehung. Sie alle arbeiten unbezahlt zum Wohl der Gemeinschaft. Die Autonomen Gemeinden nehmen keinerlei staatliche Gelder an und finanzieren Arbeit aus den Beiträgen der Bevölkerung und Spenden. Seit ihrer Entstehung sind sie konstanten Angriffen von Polizei, Armee und Paramilitärs gewesen. Einige Gemeinden wurden in den vergangenen Jahren von den Repressionsorganen geräumt, dabei wurden am 10. Juni 1998 in San Juan de la Libertad zehn Zapatisten ermordet.

Mit einem Paukenschlag waren die EZLN und die sie unterstützenden Autonomen Basisgemeinden Mitte Juli nach einer Zeit der relativen Ruhe wieder an die Öffentlichkeit. Zunächst verkündete Subcomandante Marcos am 20. Juli in einem kurzen Schreiben die mexikanische Regierung könne sich von ihrem groß angelegten Infrastrukturentwicklungsplan "Plan Puebla Panama" verabschieden. "Die Gebiete in Rebellion werden diesen Plan nicht erlauben. Die Zapatisten haben ausreichende Mittel und die nötige Organisation um die Konkretisierung dieses Planes zu verhindern. Dies ist keine Drohung, sondern eine Prophezeiung", so die deutlichen Worte.

Ungewohnt deutlich wurden die Zapatisten auch gegenüber den mehr als 14 auf zapatistischem Territorium mit Unterstützung der Armee und Polizei aktiven paramilitärischen Gruppierungen. "Das Generalkommando der EZLN hat den paramilitärischen Banden die in Chiapas sprießen eine Botschaft geschickt. Die Botschaft lautet, mehr oder weniger: "Das Gesetz der Rache lautet Auge um Auge und Zahn um Zahn", aber wir haben gerade Sonderangebot und bieten "zwei Augen für ein Auge und ein ganzes Gebiss für ein Zahn", wenn sie das reizt." Seit Jahren bereits kommt es in zapatistischen Gebieten immer wieder zu selektiven Morden an Zapatisten. Nun lägen der EZLN Hinweise vor auf ein erneutes Massaker durch Paramilitärs. Zuletzt hatten Paramilitärs 1997 kurz vor Weihnachten das Dorf Acteal überfallen und 45 Männer, Frauen und Kinder brutal ermordet.

Als dritten herausragenden Punkt wies Marcos in seinem ersten Kommuniqué auf den zapatistischen Radiosender "Radio Insurgente. Stimme der EZLN" hin, das ab dem 9. August seine Sendungen Kurzwelle beginnen wird und so in ganz Lateinamerika und mit etwas Glück auch in Europa auf 5,8 Megaherz im 49-Meter-Band zu empfangen sein wird. Bisher sendet das EZLN-Radio in Chiapas auf mehreren Sprachen etwa zwölf Stunden täglich auf UKW. Im neuen Programm soll auch Marcos eine spezielle einstündige Musiksendung haben. Seitdem brach der Strom an Erklärungen der EZLN oder des "Sup", wie Marcos sich auch ironisch selbst bezeichnet, nicht mehr ab. Es folgten zwei knapp gehaltene "Offiziellen Verlautbarungen des Geheimen Revolutionären Indigenen Komitees - Generalkommando der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung", in denen erneut die Auslieferung einiger Basken aus Mexiko an die spanische Justiz und die Zusammenarbeit der spanischen und mexikanischen Regierung zur Aufstandsbekämpfung in Chiapas kritisiert und erneut auf die Paramilitärs eingegangen wurde. Darüber hinaus wurden einige Änderungen in der Struktur der Autonomen Gemeinden angekündigt. 30 zapatistische Autonome Bezirke wurden organisatorisch enger zusammengefasst und machten Subcomandante Marcos zu ihrem vorübergehenden Sprecher.

Damit kam nach langer Zeit wieder auch nach außen sichtbar Bewegung in die zapatistische Bewegung. Intern wurde zwar auch den vergangenen Jahren viel diskutiert, gearbeitet und geschaffen, wie nicht zuletzt an den Veränderungen und dem Radio deutlich wird, doch aus der öffentlichen Debatte waren die Zapatisten weitgehend verschwunden. Nachdem die rechte Regierung Vicente Fox' im Frühjahr 2001 das mit den Zapatisten beratene Autonomiegesetz in völlig entstellter und damit entwerteter Art und Weise verabschiedete, trat die südmexikansiche Guerilla in ein langes Schweigen. Vor allem im vergangenen halben Jahr wurde es zwar häufiger von Kommuniques des Subcomandante Marcos unterbrochen, doch betrafen diese eher Stellungnahmen zu anderen politischen Angelegenheiten, als die Zapatisten selbst. So verfasste Marcos in den vergangenen Monaten zwölf Texte, die als "Stelen" bezeichnet wurden, und sich mit Stand des Widerstandes in verschiedenen Regionen und Bundesstaaten Mexikos beschäftigten. Die nun veröffentlichte 13. Stele, ein Text in sieben Folgen, betrifft die Zapatisten selbst. In den sieben Stelen werden einige der vorher ergangenen Ankündigungen präzisiert. So beinhaltet die Umstrukturierung auch die Auflösung der "Aguascalientes", die in verschiedenen Gemeinden errichteten "Räume für ein Zusammentreffen und den Dialog mit der nationalen und internationalen Zivilgesellschaft". An ihre Stelle treten die "Caracoles", die Schneckenmuscheln, die ebenfalls die Funktion einer Verbindung zwischen Zapatisten und Zivilgesellschaft übernehmen sollen, jedoch auf andere Weise. Überdrüssig scheint man auch der sinnlosen Unterstützung gewesen zu sein, verärgert berichtet Marcos von abgelaufen Medikamenten, aberwitziger Kleidung und einzelnen Schuhen, die sich in den zapatistischen Gemeinden als "großzügige Spenden" stapeln. Auch die Art und Weise wie die Implementierung und Ausrichtung von Hilfsprojekten eher den Wünschen und Vorstellungen der NGO's als denen der Gemeinden entspricht und außerdem Ungleichheiten zwischen den Gemeinden und einzelnen Zapatisten erzeugt, soll anders angegangen werden. In den fünf Regionen der Caracoles wurden jeweils "Juntas der guten Regierung" gebildet werden und diese bilden wiederum einen höher gestellten Rat. Alle Hilfsprojekte werden ab jetzt von diesen politischen Instanz entscheiden und dirigiert, um so Ungleichheiten zu vermeiden.

Die Regierung Fox hingegen reagierte kaum. Innenminister Santiago Creel Miranda erklärte man werde sich zurückhaltend verhalten, doch ""durchgreifen" sollte es zu einem Rechtsbruch kommen. Eine eher fragliche Aussage, da die von der EZLN erklärte Hoheit der organisierten Bevölkerung in ihren Gebieten natürlich einen ständigen Affront gegen die Gesetze der Zentralregierung darstellt. So verwundert es nicht, das in den vergangenen Tagen die Militarisierung der zapatistischen Gebiete erneut zugenommen hat und vermehrt Spitzel aufgefallen sind. Um Missverständnissen und Zwischenfällen jedoch vorzubeugen, wurden Armee und Polizei angewiesen ihre Kasernen in den Tagen der Festlichkeiten nicht zu verlassen.


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