BOLIVIEN Banzers Regierung in der Krise Von José Antonio Aruquipa Z. Date: Thu, 17 Aug 2000 14:03:24 +0200 [quelle: POONAL http://www.berlinet.de/poonal/ ] (La Paz, Juni 2000, noticias aliadas/Poonal).- "Statt in die Drogenbekämpfung zu investieren, sollten die USA besser Wirtschaftshilfe geben, um die brüchige bolivianische Demokratie zu stärken", meint Ex-Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada (1993- 97). So äußerte er sich jedenfalls im Mai bei einem Treffen in Washington, an dem einflussreiche Funktionäre der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) teilnahmen. Sanchez de Lozada schätzt die amtierende Regierung von Präsident Hugo Bánzer als "immens geschwächt" ein. Es gebe große Zweifel über die Stabilität des demokratischen Prozesses. Außerdem sei Jaime Paz Zamora - ein weiterer Ex-Präsident (1989-93) -, der mit seiner Bewegung der Revolutionären Linken (MIR) heute der stärkste Koalitionspartner von Banzer ist, "ein heftigerer Regierungsoppositioneller als ich selbst", so Sanchez de Lozada. Tatsächlich gehört Paz Zamora zu den Hauptkritikern der Wirtschaftspolitik der Regierung. Sánchez de Lozada sieht in den Absichten des amtierenden Staatschefes, die Verfassung zu reformieren, unter anderem um sich eine Wiederwahl zu ermöglichen, den "Weg zum Fujimorismo" - in Anspielung auf die Praktiken des peruanischen Präsidenten Alberto Fujimori. Auch wenn die Regierung auf die Erklärungen des konservativen Ex-Präsidenten "empört" reagierte, so zeigen Zahlen und verschiedene Vorkommnisse der vergangenen Monate, dass Banzer eine der heftigsten Krisen erlebt, seit er am 6. August 1997 sein Amt übernahm. Die Wirtschaft weist für 1999 das geringste Wachstum seit zehn Jahren auf. Das Bruttoinlandsprodukt stieg um gerade einmal 0,6 Prozent. Zuvor bewegte sich der Zuwachs zwischen 4 und 7 Prozent. Zwar soll sich die makro-ökonomische Lage in diesem Jahr etwas entspannen, doch Wirtschaftsexperten äußern Zweifel, dass die Regierung ihren versprochenen "Kampf gegen die Armut" gewinnt. Inzwischen musste Banzer selbst zugeben, dass Bolivien erst "im Jahr 2025" ein Land sein wird, in dem nicht mehr sieben von zehn Personen in Armut leben. Während die Monatslöhne im öffentlichen Sektor 1999 bei umgerechnet etwas mehr als 50 US-Dollar eingefroren wurden - nur im Bildungs- und Gesundheitssektor gab es kleine Erhöhungen - erreichten die Preise für Brennstoffe Rekordhöhen. Insgesamt fünfmal stiegen sie an. Ein Gas-Tank von 12 Kilogramm, der in den Haushalten zum Kochen und Heizen benutzt wird, kostete im Januar 1999 noch 1,90 US-Dollar. Derzeit (Juni 2000) ist der Preis bei 3,56 US-Dollar angelangt. Als kurzfristigste Lösung, mit der die Regierung das Elend angehen kann, gilt ihr das Programm zur Erleichterung der Auslandsschuld für die hochverschuldeten armen Länder. Bolivien kann nach offiziellen Angaben damit rechnen, 1,3 Milliarden von 4 Milliarden Dollar Auslandschuld von Internationalen Währungsfonds und Weltbank "verziehen" - gestrichen - zu bekommen. Obwohl dieser Rettungsanker unter der Bevölkerung und von dern Fachministern positiv aufgenommen wurde, hat sich Koalitionspartner Paz Zamora öffentlich dagegen ausgesprochen. Das Programm "war ein Fehler und lässt uns wie Bettler aussehen" so Paz, der gleichzeitig anmerkt, der Wirtschaftspolitik der Regierung fehle es "an sozialem Verständnis". Die Kritik aus dem Lager der MIR verstärkte sich nach dem Vorkommnissen im April dieses Jahres. Um der verschiedenen sozialen Proteste im Land Herr zu werden, verhängte Banzer vom 7. bis 19. April den Ausnahmezustand. Fünf Tote, mehr als 50 Verletzte und mehrere Dutzend Verhaftetete waren das Ergebnis der Konfrontationen zwischen Demonstranten und staatlichen Sicherheitskräften. Die politische Instabilität, ohnehin ein Kennzeichen der Banzer- Regierung, nahm bereits Anfang März zu, als mit der Neuen Republikanischen Kraft (NFR) der drittwichtigste Koalitionspartner die Regierung verliess. Banzers Nationalistische Demokratische Aktion (ADN) ist seitdem noch mehr auf die MIR und die Partei Buerger-Einheit und Solidarität (UCS) angewiesen. Ohne ihre Stimmen gibt es im Parlament keine Mehrheit für den Präsidenten. Beide Parteien nutzten dies, um bei der Verhandlung der Machtquoten und Posten ihre Position auszubauen. Der Präsident musste Mitglieder seiner eigenen Partei praktisch zum Rücktritt von wichtigen Ämtern zwingen, um MIR und UCS zufrieden zu stellen. Ende April trat das gesamte Kabinett zurück, es gab wichtige Rücktritte wie den des scharf kritisierten Verteidigungsministers Jorge Crespo sowie eine Stühle-Rücken zwischen den verschiedenen Ministerien. Nur die Außen- und Bildungsminister begleiten den Präsidenten seit Beginn der Regierungsperiode. In den übrigens 13 Ministerien hat es insgesamt 31 Wechsel gegeben. In der Mehrheit der Fälle war die Verwicklung in Korruptionsfälle Anlass für den Abschied aus dem Ministeramt. Die Anklagen selbst kamen aber bis heute nicht zur Aufklärung. Banzer kämpft auch mit seiner Vergangenheit als Diktator in den 70er Jahren. Wenige nehmen ihm einen Wandel zum Demokraten wirklich ab. Von seinen Verbündeten unter Druck gesetzt und angesichts der zunehmenden sozialen Proteste, tat Banzer, wozu er vorher nie bereit war: Am 20. April, einem Tag vor dem Karfreitag, unterbrach er eine Messe, um "die Bolivianer um Vergebung" zu bitten. "Als Staatschef Boliviens und Sohn der Kirche bitte ich um Vergebung wegen der verfolgten und verhafteten politischen Dissidenten in den Zeiten der Konfrontation. Ich bitte um Vergebung wegen der schutzlosen Kinder in der Dunkelheit der Nacht", lauteten die blumigen Äußerungen des heute 74-jährigen, in Anspielung auf sein Militär-Regime (1971-78). Doch Banzers Verhalten wurde von den Menschenrechtsorganisationen nicht gerade positiv aufgenommen. Waldo Albarracín, Präsident der Ständigen Menschenrechtsversammlung Boliviens, meint, der Ex- Diktator müsse nicht nur um Vergebung bitten, sondern helfen, das Schicksal der etwa hundert Verschwundenen aufzuklären, die es unter seinem Militärregime gab. Ein ständiger Konfliktpunkt für die Regierung sind die Auseinandersetzungen mit den Kokapflanzern, deren wiederholte Protestmärsche das Land aufrütteln. Um den USA Genüge zu tun, verspricht Banzer die Vernichtung der Pflanzungen. Auf der anderen Seite kann er den Campesinos jedoch keine wirtschaftliche Alternative bilden. Ein nationaler Dialog zwischen den drei Staatsgewalten und der Zivilgesellschaft, um die Armut wirksam zu bekämpfen, sollte nach Banzers Vorstellung einen Ausweg aus der Krise darstellen. Doch wichtige Sektoren der Gesellschaft, wie beispielsweise der Gewerkschaftsdachverband COB, nahmen erst gar nicht daran teil, weil sie der Regierung ernsthaften Gesprächswillen abstreiten. Straßenmärsche und sporadische Streiks sind in Bolivien fast alltäglich. "Wenn die Regierung unsere Forderungen nicht hört, kann es dazu kommen, dass sich Bevölkerung und Streitkräfte erheben, und einen bewaffneten Aufstand provozieren", sagt Felipe Quispe Huanca von der Landarbeitergewerkschaft CSTUCB voraus.