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Dario Azzelini: Es hat sich etabliert...

...auf Demonstranten zu schiessen Dario Azzellini, Journalist u.a. bei der Wochenzeitung Jungle World äußert sich zu den Folgen des G 8-Gipfels und der Gegenaktivitäten für Politik und italienische Gesellschaft, die Debatte um Militanz und die Rolle der Medien.

Datum: 24.07.

Radio Z: Die italienische Opposition fordert inzwischen den Rücktritt des Innenministers Claudio Scajola. Weiterhin verlangte sie gestern eine parlamentarische Untersuchungskommission - das aber ist von der Regierung bereits agelehnt worden. Staatspräsident Berlusconi hatte auf der Abschlusspressekonferenz am Sonntag den "Ordnungskräften, die Mut und Großzügigkeit gezeigt" hätten, ausdrücklich gedankt. Welche Folgen wird der Verlauf der Gegenaktivitäten deiner Meinung nach in der Politik nach sich ziehen, wird das überhaupt Folgen haben?

DA: Es wird sicherlich Folgen haben. Fangen wir an mit den Folgen auf internationaler Ebene. Die Folge auf internationaler Ebene scheint zu sein, dass es sich etabliert, dass es vollständig in Ordnung ist auf Demonstranten zu schießen und Demonstranten zu erschießen. Und das nicht nur in Italien. Das fing ja in Göteborg an, das hat sich in Genua fortgesetzt, und das wurde vor allem von Gerhard Schröder und von Joschka Fischer gutgeheißen und verteidigt, das waren ja die größten Hardliner in diesem ganzen Diskurs. Von daher sind das natürlich klare Folgen, also massiver Abbau der Bürgerrechte, der Freiheitsrechte, völlige Einschränkung dessen, und im Prinzip auf dem Weg zu einer technokratischen, parlamentarischen Diktatur mit völlig eingeschränkten Bürgerrechten. In Italien selbst ist noch lange nicht Ruhe eingekehrt, es gab gestern in Mailand eine Demonstration mit 25.000 Personen, es gibt täglich Demonstrationen und Aktionen in ungefähr 100 Städten und Orten. Gleichzeitig wird von der Regierung und von der Rechten versucht, in Italien praktisch den Vorsitzenden des Genoa Social Forum, Agnoletto, und den Sprecher der tute bianche, Casarini, dort immer mehr unter Beschuss zu nehmen und eine Art Generalverantwortung für sie auszumachen. Es ist gleichzeitig auch klar, dass diese Strategie, diese Angriffsstrategie, durchaus so geplant war und dass es auch von der Polizei so vorgesehen war, dass es zu einer bestimmten Art von Ausschreitungen kommen soll, die sie auch selbst provoziert hat.

Radio Z: Nun hast du gerade schon das Genoa Social Forum angesprochen. Es wird jetzt in den offiziellen Medien immer getrennt zwischen friedlichem und militantem Widerstand. Das Genoa Social Forum lässt sich aber gerade darauf nicht ein. Es hat gerade in den letzten Veröffentlichungen versucht, diese Spaltung, die ja immer wieder versucht wird zu forcieren, gerade nicht zuzulassen. Was gab es da Neues vom Genoa Social Forum und auch an Belegen, die eben die Instrumentalisierung des sogenannten "Schwarzen Blocks" nicht zulassen?

DA: Zum einen ist wohl klar, dass man diesen Schwarzen Block gar nicht als homogenen Schwarzen Block betrachten kann. Es ist insofern auch klar, dass nach den Ereignissen in Genua sich an Aktionen, an militanten Aktionen, an Ausschreitungen nicht nur ein sogenannter Schwarzer Block beteiligt hat, sondern auch andere Leute. Auch andere Leute, die dort mit reingezogen wurden, die keine andere Möglichkeit hatten, als sich den brutalen Polizeiangriffen, die es gegeben hat, gegenüber zu verteidigen. Andererseits ist auch sehr offensichtlich, dass eine bestimmte Art von gewalttätigen Aktionen, nämlich kleine Geschäfte und Autos von Anwohnern in bestimmten Stadtvierteln anzuzünden, dass das nicht von linken Demonstranten ausging, sondern von infiltrierten Polizisten, unter Umständen auch von infiltrierten Nazis, wie "La Reppubblica" geschrieben hat, denen angeblich die Polizei zugesagt haben soll, sie hätten dabei freie Hand. Es gibt sehr umfangreiches Videomaterial, das am Sonntag Abend im 3. Staatlichen Fernsehen gezeigt wurde, wo man deutlich sieht, dass Polizisten bzw. Leute, die vermummt, mit Helmen oder mit Eisenstangen in Polizeikasernen rein- und rauslaufen, in Polizeifahrzeuge ein- und aussteigen [siehe photos!]. An der Stelle, wo die große Demonstration am Samstag gespalten wurde, weil die Polizei massiv mit Tränengas reingegangen ist, gibt es eine Videoaufnahme, wie im Vorfeld 5 vermummte und mit Stangen ausgestattete Personen mit einem höheren Polizeichef militärische Absprachen treffen, wo sie welche Aktionen durchführen sollen. Es ist ja auch in der Vergangenheit immer so gewesen, sowohl in Göteborg als auch in Prag als auch in Nizza, dass die gewalttätigen Aktionen immer so durchgeführt wurden, dass der Rest der Demo, dass andere Blöcke, die eine andere Aktionsform wählen, nicht in solche Sachen mit reingezogen werden. Das ist zum ersten Mal in Genua in Teilen anderes gewesen, und das lässt natürlich noch viel mehr darauf schließen, dass es eben gar nicht Linke waren, die dort regiert haben, zum Teil natürlich, wie gesagt, zum Teil waren es natürlich Linke, aber eben die, die in einer bestimmten Form agiert haben, nämlich in der Form, andere Demoblöcke mit reinzuziehen etc., dass das tatsächlich gezielte Polizeistrategie war.

Radio Z: Aber ist das Italien überhaupt so eindeutig? Ich hatte dort oftmals den Eindruck, dass auch in der Bevölkerung ein militantes Vorgehen nicht so eindeutig abgelehnt und verdammt wird, wie das vielleicht hierzulande ist?

DA: Es war sicherlich so, dass nach diesen massiven Polizeiangriffen, nach dem Verhalten der Polizei, sehr viel Verständnis für Verteidigungssektionen usw. da war, dass selbst Anwohner immer wieder auch vermeintlich gewalttätigen Demonstranten geholfen haben usw. Von daher würde ich auch noch mal wiederholen: Angesichts des faschistischen Vorgehens der Polizei, das reicht ja so weit, dass Mussollini-Bilder gezeigt wurden, dass der Hitlergruß gemacht wurde und so weiter und so fort, und diese ganze aggressive Haltung dazu geführt hat, dass durchaus auch Leute aus anderen Spektren sich dort gegen diese Polizeieinsätze auch gewehrt haben.

Radio Z: Von Otto Schily wird ja ein härteres Vorgehen gegen GipfelgegnerInnen gefordert. Wie ist deine Einschätzung, liegt das zum Teil auch in der Verantwortung der Medien, wie diese "Gewaltdebatte" geführt wird?

DA: Ich denke absolut auffällig ist einfach eine völlige Gleichschaltung der deutschen Presse. Angefangen von der Süddeutschen Zeitung, deren Korrespondenten anscheinend weder italienisch können noch vor Ort waren, weil in den Berichte, die sie geschrieben haben, wird z.B. darüber berichtet, dass die tute bianche in Aktionseinheit mit Anarchisten gewalttätige Aktionen durchgeführt hätten. Das ist wirklich schlichtweg ausgedacht und kam noch nicht mal in den großen und auch nicht in den rechten italienischen Tageszeitungen. Das muss sich dieser Journalist absolut ausgedacht haben. Selbst im "Corriere della Sierra" oder "La Reppubblica", die im Normalfall als bürgerliche Mitte-Rechts-Medien für andere Medien Bezugsquelle sind, stand was anderes drinnen, stand das so nicht drinnen. Es stand drinnen, dass von tute bianche dieses Konzept durchgehalten wurde, keine Angriffsaktionen in dem Sinne durchzuführen. Dann ist auffällig, dass die gesamten deutschen Medien, z.B. die Süddeutsche von 60.000 Demonstranten und andere deutsche Medien von 100.000 Demonstranten berichteten. Der "Corriere della Sera" berichtete von fast 300.000 Demonstranten, die anderen großen Zeitungen von 200.000 bis 300.000, und die offiziellen Polizeiangaben waren 200.000. Woher also stammen diese Zahlen, muss sich da gefragt werden. Und da kann man nur von einer Schere im Kopf bzw. von einem ganz klaren politischen Interessen dieser Zeitung sprechen, die eben diese Meldungen und auch die Zahlen ausgedacht. Interview als Soundfile (mp3)unter http://www.radio-z.net/g8/kommentar.html


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