http://de.news.yahoo.com/041003/12/48czo.html
Sonntag 3. Oktober 2004, 13:10 Uhr
Die geschrumpfte Großdemo
Berlin (AP) «Wir sind über die Teilnehmerzahl nicht enttäuscht», sagte
Mitveranstalter Werner Halbauer. Ursprünglich waren zu der zentralen
Großdemonstration gegen die Sozialreformen der Bundesregierung am
Samstag in Berlin mindestens 100.000 Menschen erwartet worden. 70.000
zählten die Veranstalter, 25.000 die Polizei, man einigte sich auf
45.000. Diese Zahlen sind wichtig, sind sie doch ein Gradmesser dafür,
ob die Protestwelle abebbt oder doch noch einmal zunehmen kann - vor
dem Hintergrund immer weiter sinkenden Interesses an den wöchentlichen
Montagsdemonstrationen.
Zu der Demonstration «Soziale Gerechtigkeit statt Hartz IV - Wir haben
Alternativen» hatten die Initiatoren der Montagskundgebungen, die PDS,
Gewerkschaften und die Globalisierungskritiker vom Netzwerk Attac
aufgerufen. Die Teilnehmer waren mit rund 100 Bussen aus dem ganzen
Bundesgebiet angereist. Mit Trillerpfeifen, Plakaten wie «Gemeinsam
gegen Kahlschlag» und roten PDS-Luftballons ausgerüstet marschierten
die Gegner der Arbeitsmarktreformen, unter ihnen PDS-Chef Lothar Bisky
und der Berliner PDS-Vorsitzende Stefan Liebich, durch die Stadt und
forderten die Rücknahme der Sozialreformen. Die «neoliberale Politik»
der etablierten Parteien müsse beendet werden, verlangten sie.
Anders als die Organisatoren waren die meisten Teilnehmer aber
enttäuscht über das Interesse an der Demonstration und befürchteten
den Anfang vom Ende der Proteste. Liebich sagte dem «Tagesspiegel am
Sonntag», er halte nichts davon, weiter immer und ewig jeden Montag zu
demonstrieren, «diese Kraft hat niemand». Er werde dem Landesvorstand
nun empfehlen, «andere Formen zu suchen, sich mit Hartz auseinander zu
setzen». Und der Sozialwissenschaftler Dieter Rucht erklärte, die
Protestwelle sei im Ausklingen. Von der Demonstration gehe nicht das
große Aufbruchsignal aus, sagte er im ZDF. Eine Explosion sei nicht
mehr zu erwarten.
«Das sind viel zu wenig Leute, das war ja immerhin ein bundesweiter
Aufruf», sagte Klaus Gerhardt, ein 51-jähriger Verkäufer aus Magdeburg.
Hartz IV könne jeden treffen, bei den ersten Montagsdemonstration habe
er viel mehr Begeisterung für die Sache gespürt. Nun flaue die Bewegung
ab. Und Nina Hager aus Berlin sagte, es hätten mehr Teilnehmer sein
müssen. Denn die Reformen beträfen auch Leute, die heute noch gut
verdienten.
Die Organisatoren bewerteten die Demonstration dagegen als großen
Erfolg. Man hoffe auf weitere Montagsdemos. Die Demonstration habe
gezeigt, dass die Menschen nicht auf die «Desinformationskampagne der
Regierung» hereinfielen, sagte Halbauer vom Berliner Aktionsbündnis.
«Wir werden den Protest mit Kraft und Schärfe in den Herbst und das
Frühjahr tragen», kündigte Pedram Shahyar von Attac bei der
Abschlusskundgebung auf dem Alexanderplatz an.
Die Demonstration sei eine Zwischenetappe, kein Abschluss, sagte eine
andere Sprecherin. Ab 30. Oktober sei eine Aktionswoche gegen Hartz IV
geplant, am 6. November eine Demo in Nürnberg vor der Bundesagentur für
Arbeit.
Trotz aller Emotionen verlief der Protest weitgehend friedlich. Zu
einem kleinen Zwischenfall kam es, als einige Randalierer plötzlich
gegen ein Autohaus Farbeier und Flaschen warfen. Die Polizei nahm 14
Menschen vorübergehend fest.
Die Hartz-Gegner bleiben allerdings vielerorts zerstritten. Die
Teilnehmerzahl an der Großdemo hätte höher sein können, wenn die rund
4.000 Teilnehmer eines Sternmarsches in Berlin vom Sonntag sich an dem
zentralen Protest am Vortag beteiligt hätten. Und in Berlin wird es am
(morgigen) Montag wieder zwei Demonstrationen gegen Hartz IV geben.
Beide starten vor dem Roten Rathaus.
http://www.zweiter-oktober.de/