PGA Manifest

aus: PGA Bulletin Nummer 1, März 1998
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Das Manifest von Peoples' Global Action


Anmerkung des web teams:
Dieses Manifest wurde bei der interkontinentalen PGA Konferenz im September 2001 in Cochabamba, Bolivien, überarbeitet. Bei der vorletzten interkontinentalen Konferenz im indischen Bangalore 1999 wurde unter anderem die fehlende kritische Sicht auf die Rolle des Staates im Kapitalismus bemängelt.
Verbesserungsvorschläge für das Manifest sind stets willkommen und können an das Sekretariat (pgaagp.org) gesandt werden.


Wir können nicht die Kommunion vom Altar einer dominanten Kultur empfangen, die Preis und Wert miteinander verwechselt und Menschen und Länder in Waren verwandelt.
--- Eduardo Galeano
Wenn du nur kommst, um mir zu helfen, dann kannst du wieder nach Hause gehen. Wenn du aber meinen Kampf als Teil deines Überlebenskampfes betrachtest, dann können wir vielleicht zusammenarbeiten.
--- Eine australische Ureinwohnerin

Teil 1

Wirtschaftliche Globalisierung, Macht und "race to the bottom"
Ausbeutung, Arbeitskraft und Existenzgrundlage
Geschlechtsspezifische Unterdrückung
Der Überlebenskampf indigener Völker
Unterdrückung ethnischer Gruppen
Anschlag auf Natur und Landwirtschaft
Kultur
Wissen und Technologie
Jugend, Erziehung und Bildung
Militarisierung
Migration und Diskriminierung

Teil 2


Teil I

Wir leben in einer Zeit, in der das Kapital mit Hilfe internationaler Organisationen wie der Welthandelsorganisation (WTO - World Trade Organisation), dem Internationalen Währungsfonds (IMF - International Monetary Fund), der Weltbank (WB - World Bank) und anderen die Politik so gestaltet, daß es seine weltweite Macht über das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben festigen und noch weiter ausbauen kann.

Das Kapital hat schon immer auf globaler Ebene operiert - sein grenzenloses Streben nach Expansion und Profit kennt keine Grenzen. Vom Sklavenhandel vor einigen Jahrhunderten bis hin zur imperialistischen Kolonisation von Bevölkerungen, Ländern und Kulturen auf der ganzen Welt hat sich die Akkumulation des Kapitals weltweit vom Blut und von den Tränen vieler Menschen genährt. Diese Zerstörung und dieses Elend konnten lediglich durch Widerstand von unten in Schranken gehalten werden.

Heute setzt das Kapital eine neue Strategie ein, um seine Macht zu behaupten und den Widerstand der Menschen zu brechen. Der Name dieser Strategie lautet "wirtschaftliche Globalisierung" und besteht aus der Abschaffung territorialer Handelsschranken und Beschränkungen des freien Kapitalflusses.

Die Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung ziehen sich weltweit durch die Strukturen von Gesellschaften und Gemeinschaften und fügen so die Menschen in ein gigantisches System ein, das allein auf Profit und die Kontrolle über Mensch und Natur abzielt. Begriffe wie "Globalisierung", "Liberalisierung" und "Deregulierung" verschleiern lediglich die immer größer werdenden Ungleichheiten bezüglich der Lebensbedingungen von Eliten und der großen Masse, die sowohl in privilegierten als auch in "peripheren" Ländern zu beobachten sind.

Das jüngste und vielleicht auch das wichtigste Phänomen des gesamten Globalisierungsprozesses ist das verstärkte Auftreten von Handelsabkommen als Schlüsselinstrumente für Akkumulation und Macht. Die WTO ist die bei weitem wichtigste Institution hinsichtlich der Ausarbeitung und Umsetzung dieser Abkommen. Sie ist zum Lieblingsmittel des Kapitals zwecks Durchsetzung seiner Herrschaft über die Weltwirtschaft avanciert. Die Uruguay-Runde hat das Ausmaß des multilateralen Handelssystems (d.h. die Abkommen unter der Ägide der WTO) derart ausgeweitet, daß es sich nicht mehr ausschließlich auf den Warenhandel beschränkt. Die WTO-Abkommen betreffen jetzt auch den Handel mit Agrarprodukten, Dienstleistungen, Rechten an geistigem Eigentum und Investitionsmaßnahmen. Diese Expansion hat bedeutende Konsequenzen für wirtschaftliche und nicht-wirtschaftliche Angelegenheiten. So wird beispielsweise das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS - General Agreement on Trade in Services) weitreichende Auswirkungen auf Kulturen in aller Welt haben. Ähnlich werden sich auch das Abkommen über den Handel mit Rechten an geistigem Eigentum (TRIPs - Trade Related Intellectual Property Rights) und unilaterale Zwänge - insbesondere auf Länder mit einer reichen Artenvielfalt - auswirken: Sie zwingen diese Länder, eine neue Gesetzgebung zu verabschieden, die Eigentumsrechte über Lebensformen stellt, was verheerende Folgen für die Artenvielfalt und die Sicherung der Nahrungsgrundlage dieser Länder haben wird. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das multilaterale Handelssystem, wie es die WTO verkörpert, immense Auswirkungen auf die Gestaltung der nationalstaatlichen Wirtschafts- und Sozialpolitik und folglich auch auf das Ausmaß und die Beschaffenheit von Entwicklungsoptionen hat.

Handelsabkommen nehmen auch auf regionaler Ebene stark zu. Das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA (North American Free Trade Agreement) ist der Prototyp regionaler rechtsverbindlicher Abkommen, die sowohl privilegierte als auch unterprivilegierte Länder einbeziehen; dieses Modell soll auf den gesamten amerikanischen Kontinent ausgedehnt werden. APEC (Asia-Pacific Economic Cooperation) ist ein weiteres Modell, das beide Arten von Ländern vereint, und es wird zunehmend dazu genutzt, die Aufnahme neuer Abkommen in das Rahmenwerk der WTO zu erzwingen. Die Maastrichter Verträge sind natürlich das anschaulichste Beispiel für rechtsverbindliche Abkommen zwischen ausschließlich privilegierten Ländern. Diverse regionale Handelsabkommen zwischen unterprivilegierten Ländern wie beispielsweise ASEAN (Association of Southeast Asian Nations), SADC (Southern African Development Corporation), SAFTA (South Asian Free Trade Agreement) und MERCOSUR (Southern Common Market) sind ebenfalls unterzeichnet worden. All diesen regionalen Abkommen und Zusammenschlüssen liegt die Verschiebung von Entscheidungsmacht von der nationalstaatlichen Ebene hin zu regionalen Institutionen zugrunde, die noch weiter von den Menschen entfernt und noch undemokratischer als Nationalstaaten sind.

Als ob dies noch nicht genug wäre, wird gerade ein neuer Vertrag, das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI - Multilateral Agreement on Investments) von den privilegierten Ländern vorangetrieben, um die Rechte ausländischer Investoren weit über ihre derzeitige Position hinausgehend auszuweiten sowie um die Rechte und die Entscheidungsbefugnisse von Regierungen bezüglich des Eintritts, der Niederlassung und der Geschäfte ausländischer Unternehmen und Investoren zu beschneiden. Das MAI stellt auch den derzeit wichtigsten Versuch dar, die Globalisierung und "wirtschaftliche Liberalisierung" auszudehnen - es würde die Macht und das legitime souveräne Recht der Menschen, ihre eigene Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik zu bestimmen, gänzlich abschaffen.

All diese Institutionen und Abkommen verfolgen eine gemeinsame Zielstellung: Mobilität für den freien Fluß von Gütern, Dienstleistungen und Kapital; verstärkte Herrschaft des Kapitals über Mensch und Natur; Verlagerung der Macht hin zu weit entfernten und undemokratischen Institutionen; Verbauen der Möglichkeit, auf gemeinschaftlichen Prinzipien basierende und autarke Ökonomien zu entwickeln; Einschränkung der Freiheit der Menschen, eine Gesellschaft zu schaffen, die auf menschlichen Werten basiert.

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Wirtschaftliche Globalisierung, Macht und "race to the bottom"

Die wirtschaftliche Globalisierung hat neue Formen der Akkumulation von Macht und Reichtum hervorgebracht. Diese Akkumulation vollzieht sich weltweit mit zunehmender Geschwindigkeit und wird von Konzernen und Investoren bestimmt. Während das Kapital sich in der ganzen Welt durchsetzt, liegt die Verantwortlichkeit für die Verteilungspolitik weiterhin in Händen der Regierungen, die nicht in der Lage und auch nicht gewillt sind, gegen die Interessen des Kapitals zu handeln.

Diese Asymmetrie ruft eine zunehmende Machtumverteilung in der ganzen Welt hervor, wobei die sogenannte "Macht der Konzerne" gestärkt wird. In dieser eigenartigen politischen Konstellation bestimmt das weltweite Kapital mit Hilfe äußerst einflußreicher Lobbygruppen und Interessenverbände wie dem "World Economic Forum" (Weltwirtschaftsforum) überall auf der Welt die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Diese Lobbygruppen der Konzerne geben den Regierungen in Form von Empfehlungen Anweisungen, welche die Regierungen wiederum befolgen. Nur wenige weigern sich, den "Ratschlägen" dieser Lobbygruppen Folge zu leisten, denn dann kann es passieren, daß ihre Währungen durch Spekulation angegriffen werden und Investoren abwandern. Der Einfluß der Konzernlobby wird durch regionale und multilaterale Abkommen verstärkt, mit deren Hilfe überall auf der Welt massiv eine neoliberale Politik verfolgt und umgesetzt wird.

Diese neoliberale Politik ruft weltweit soziale Spannungen hervor, wie sie schon auf nationalstaatlicher Ebene im Anfangsstadium der Industrialisierung zu beobachten waren: während die Anzahl der Milliardäre wächst, gibt es weltweit immer mehr Menschen, die feststellen müssen, daß dieses System ihnen keinen Platz in der Produktion und keinen Zugang zum Konsum gewährt. Die daraus resultierende Verzweiflung in Verbindung mit dem freien Fluß von Kapitalströmen bietet Konzernen die bestmöglichen Rahmenbedingungen dafür, ArbeiterInnen und Regierungen gegeneinander auszuspielen. Die Folge davon ist ein "race to the bottom" hinsichtlich sozialer und ökologischer Standards sowie die Abschaffung politischer Umverteilungsmaßnahmen (z.B. progressive Besteuerung, soziale Absicherung, Arbeitszeitverkürzung). So entsteht ein Teufelskreis, in dem sich die "effektive Nachfrage" zunehmend in den Händen einer Elite konzentriert, während immer mehr Menschen nicht einmal mehr ihre Grundbedürfnisse befriedigen können.

Dieser Prozeß der weltweiten Akkumulation und des sozialen Ausschlusses kommt einem weltweiten Angriff auf die elementarsten Menschenrechte gleich, dessen Auswirkungen bereits heute erkennbar sind: Verelendung, Hunger, Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit, ein sich verschlechternder Gesundheitszustand, Vertreibung, Landlosigkeit, Analphabetismus, verschärfte Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, ein immenses Wachstum des "informellen" Sektors und der Schattenwirtschaft (insbesondere Drogenherstellung und -handel), die Zerstörung des Gemeinschaftslebens, Kürzungen im sozialen Bereich und die Beschneidung von ArbeitnehmerInnenrechten, zunehmende Gewalt auf allen Gesellschaftsebenen, Umweltzerstörung, Rassismus und Intoleranz anderen Ethnien und Religionen gegenüber, massive Migrationsbewegungen (aus wirtschaftlichen, politischen und ökologischen Gründen), stärkere militärische Macht und Repressionen etc.

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Ausbeutung, Arbeitskraft und Existenzgrundlage

Die Globalisierung des Kapitals beraubt die ArbeiterInnen in beachtlichem Maße ihrer Fähigkeit, auf nationalstaatlicher Ebene gegen das Kapital anzugehen oder mit ihm in Verhandlung zu treten. Die Mehrzahl der konventionellen Gewerkschaften (insbesondere in den privilegierten Ländern) haben mittlerweile ihre Niederlage gegen die Weltwirtschaft hingenommen und geben freiwillig die von Generationen von ArbeiterInnen hart erkämpften Errungenschaften wieder auf. In Erfüllung der vom Kapital aufgestellten Bedingungen haben sie Solidarität gegen "internationale Wettbewerbsfähigkeit" und ArbeitnehmerInnenrechte gegen die "Flexibilisierung des Arbeitsmarktes" eingetauscht. Nun treten sie dafür ein, daß eine "Sozial"klausel in das multilaterale Handelssystem aufgenommen wird. Dadurch würde den privilegierten Ländern ein Werkzeug für einen selektiven, einseitigen und neokolonialistischen Protektionismus an die Hand gegeben, was wiederum zu wachsender Armut führen würde, anstatt sie an ihren Wurzeln zu bekämpfen.

Rechte Gruppierungen in den privilegierten Ländern machen oft "Sozialdumping" aus den unterprivilegierten Ländern für den Anstieg der Arbeitslosigkeit und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen verantwortlich. Sie behaupten, die Menschen aus dem Süden würden mit Hilfe von billiger Arbeitskraft, schwacher oder gar nicht vorhandener Arbeits- und Umweltschutzbestimmungen sowie niedriger Steuersätze das Kapital aus dem Norden entführen und durch ihre Exporte die Hersteller aus dem Norden auf dem Weltmarkt verdrängen. Es ist zwar richtig, daß zu einem gewissen Grad - besonders in bestimmten Wirtschaftszweigen wie beispielsweise der Textil- oder Mikroelektronikproduktion - eine Standortverlagerung in die unterprivilegierten Länder stattfindet. Allerdings können die Frauen im Teenager-Alter, die in den "sweatshops" der Konzerne unbezahlte Überstunden leisten, zu Hungerlöhnen arbeiten und ihre Gesundheit aufs Spiel setzten, wohl kaum für den von freien Güter- und Kapitalströmen angerichteten verheerenden sozialen Schaden verantwortlich gemacht werden. Außerdem findet Standortverlagerung in erster Linie zwischen den reichen Ländern selbst statt; nur ein geringer Teil der ausländischen Investitionen fließt in unterprivilegierte Länder - ein Teil der Investitionen fließt sogar von ehemals als "unterentwickelt" bezeichneten Ländern in den Norden. Die Androhung, den Standort in ein anderes reiches Land zu verlagern (die bei weitem häufigste Art der Standortverlagerung), ist zur Einschüchterung und Erpressung der ArbeiterInnen genauso wirkungsvoll wie die Androhung, den Standort in ein unterprivilegiertes Land zu verlagern. Schließlich liegt der Hauptgrund für den Anstieg der Arbeitslosigkeit in den privilegierten Ländern in der Einführung von "Rationalisierungs"technologien, auf die die Menschen aus den unterprivilegierten Ländern natürlich überhaupt keinen Einfluß haben. Kurz gesagt: Die Verantwortung für wachsende Ausbeutung liegt einzig und allein beim Kapital.

Viele "Entwicklungs"befürworterInnen begrüßen die freien Kapitalströme von privilegierten in unterprivilegierte Länder als einen positiven Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen armer Menschen, weil davon ausgegangen wird, ausländische Investitionen würden Arbeitsplätze und eine Existenzgrundlage schaffen. Sie übersehen dabei jedoch, daß es in der Natur der Sache liegt, daß ausländische Investitionen nur sehr begrenzt positive Auswirkungen haben können, da transnationale Konzerne ihr Geld nur solange in einem unterprivilegierten Land lassen, wie die Politik dieses Landes es ihnen erlaubt, das Elend und die Verzweiflung der dortigen Bevölkerung auszunutzen. Die internationalen Finanzmärkte bestrafen Länder, die es wagen, eine Politik zu verfolgen, die letztendlich zu verbesserten Lebensbedingungen führen könnte, äußerst hart - wie beispielsweise das abrupte Ende der 1981 von Mitterand verabschiedeten zaghaften Umverteilungsmaßnahmen gezeigt hat. Auch die mexikanische Krise im Jahre 1994 und erst kürzlich aufgetretene Krisen in Südostasien sind - auch wenn sie von den Medien als Folgen technischer Mißwirtschaft dargestellt werden - gute Beispiele für den Einfluß der Konzerne auf die Wirtschaft, der zudem sowohl in unterprivilegierten als auch in privilegierten Ländern tagtäglich steigt und dabei alle Aspekte der Wirtschafts- und Sozialpolitik bestimmt.

Diejenigen, die an die positiven sozialen Auswirkungen des "freien" Marktes glauben, vergessen auch, daß der Einfluß des Kapitals nicht bei der Schaffung von ausbeuterischen Arbeitsplätzen aufhört. Ein Großteil der ausländischen Direktinvestitionen (laut UN sind es zwei Drittel) sowohl in privilegierten als auch in unterprivilegierten Ländern wird getätigt, indem transnationale Konzerne Staatsbetriebe übernehmen, was in den meisten Fällen zu Arbeitsplatzvernichtung führt. Ein weiterer Punkt ist der, daß transnationale Konzerne selten nur finanziell agieren, sondern auch mit ihren Produkten zahlreiche lokale Unternehmen und Landwirtschaftsbetriebe entweder vom Markt verdrängen oder zwingen, unter noch unmenschlicheren Bedingungen zu produzieren. Zu guter letzt führen die Investitionen der Konzerne größtenteils zu umweltschädigender Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, wodurch wiederum verschiedenste Gemeinschaften - indigene Bevölkerungen, Bäuerinnen und Bauern, ethnische Gruppen - unwiederbringlich ihrer Existenzgrundlage beraubt werden.

Wir lehnen die Idee, "Frei"handel könne Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen, genauso ab wie die Annahme, er könne zur Armutsbekämpfung beitragen. Aber wir lehnen auch den Ruf der Rechten nach einem stärkeren nationalen Kapitalismus und natürlich auch die faschistische Alternative eines autoritären Staates, der in ihren Augen eine zentrale Kontrolle über die Konzerne ausüben soll, aufs entschiedenste ab. Unser Kampf zielt auf die Wiedererlangung der Kontrolle über die sich derzeit in den Händen sowohl des transnationalen als auch des nationalstaatlichen Kapitals befindlichen Produktionsmittel ab, um eine freie, nachhaltige und von der Gesellschaft kontrollierte Existenzgrundlage zu schaffen, die auf Solidarität und den Bedürfnissen der Menschen basiert - und nicht auf Ausbeutung und Gier.

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Geschlechtsspezifische Unterdrückung

Globalisierung und eine neoliberale Politik bauen auf bestehenden Ungleichheiten auf und verstärken sie zugleich; dazu gehören auch die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Das geschlechtsspezifische Machtsystem in der globalisierten Wirtschaft fördert - wie die meisten traditionellen Systeme - die Ausbeutung von Frauen als Arbeitskräfte, als für den Zusammenhalt der Familie Zuständige und als Sexobjekte.

Frauen sind dafür verantwortlich, Kinder zu bekommen, und sie tragen die Verantwortung für die Erziehung, Ernährung, Kleidung und Disziplinierung junger Menschen, um sie auf ihren Eintritt in den internationalen Arbeitsmarkt vorzubereiten. Frauen werden als billige und gehorsame Arbeitskräfte in sehr ausbeuterischen Beschäftigungszweigen benutzt - die "maquilas" in der Textil- und in der Mikroelektronikindustrie sind ein anschauliches Beispiel dafür. Viele Frauen, die von durch Globalisierung erzeugter Armut aus ihren Ländern vertrieben werden, suchen - oft als illegale Einwanderinnen - Arbeit im Ausland, wo sie schlimme Arbeitsbedingungen und ungeschützte Arbeitsverhältnisse erwarten. Der weltweite Handel mit Frauenkörpern ist zu einem wichtigen Bestandteil des Welthandels geworden und macht auch vor zehnjährigen Kindern nicht Halt. Sie werden von der Weltwirtschaft auf unterschiedlichste Weise ausgebeutet und als Ware gehandelt.

Es wird von Frauen erwartet, daß sie nur im Haushalt aktiv sind. Obwohl das noch nie der Fall war, wird diese Erwartungshaltung seit langem dazu benutzt, Frauen eine aktive Rolle in allen öffentlichen Angelegenheiten abzusprechen. Das Wirtschaftssystem bedient sich dieser Geschlechterrollen auch, um Frauen als Verursacherinnen vieler sozialer und ökologischer Probleme hinzustellen. So wird beispielsweise Frauen, die zu viele Kinder bekommen (und nicht die Tatsache, daß die reichen Länder zu viele Ressourcen verbrauchen), die Schuld für die weltweite Umweltzerstörung in die Schuhe geschoben; und die Tatsache, daß Frauenlöhne niedriger sind, da ihr Einkommen nur als Zuverdienst für die Haushaltskasse betrachtet wird, wird herangezogen, um Frauen für die Arbeitslosigkeit und das sinkenden Lohnniveau von Männern verantwortlich zu machen. Niemand weist darauf hin, daß die Schuld für die soziale und ökologische Krise beim Kapital zu suchen ist. Stattdessen müssen Frauen als Sündenböcke für genau die Misere herhalten, die sie in Wirklichkeit unterdrückt. Dadurch wird der körperlichen Gewalt, die Frauen in aller Welt tagtäglich erleiden, zusätzlich eine ideologische Stigmatisierung hinzugefügt.

Dem Patriarchat und dem Geschlechtersystem liegt ganz klar das Konzept von der Natürlichkeit und der Ausschließlichkeit von Heterosexualität zugrunde. Die meisten Gesellschaftssysteme und -strukturen stehen jeder anderen Art von Sexualität sehr ablehnend gegenüber, und diese Beschneidung der individuellen Freiheit wird dazu genutzt, patriarchale Geschlechterrollen aufrechtzuerhalten.

Die Beseitigung des Patriarchats sowie aller anderen Arten von Diskriminierung setzt eine eindeutige Haltung gegen den Weltmarkt voraus. Genauso wichtig ist es, daß alle, die gegen das Kapital kämpfen, auch die Ausbeutung und Marginalisierung von Frauen verstehen und dagegen angehen sowie an dem Kampf gegen Homophobie teilnehmen. Wir müssen neue Kulturen entwickeln, die eine echte Alternative zu diesen alten und neuen Unterdrückungsmechanismen darstellen.

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Der Überlebenskampf indigener Völker

Indigene Völker und Länder haben eine lange Geschichte des Widerstandes gegen die vom Kapitalismus verursachte Zerstörung ihres Lebensraums. Heute stehen sie dem neoliberalen Globalisierungsprojekt als ein Instrument des transnationalen Kapitals zu ihrer Neokolonialisierung und Vernichtung gegenüber. Transnationale Konzerne dringen gewaltsam in die letzten Schlupfwinkel indigener Völker ein, zerstören dabei ihre Gebiete, Lebensräume und Ressourcen - ja, ihre gesamte Lebensweise - und oft schrecken sie sogar vor Völkermord nicht zurück. Die Nationalstaaten erlauben und fördern sogar diese Menschenrechtsverletzungen - ungeachtet ihrer Verpflichtung, die Rechte indigener Völker anzuerkennen und zu respektieren, die sie schließlich mit der Unterzeichnung diverser Erklärungen, Abkommen und Konventionen eingegangen sind.

Außerdem stehlen Konzerne altes Wissen und lassen es sich zu ihrem eigenen Vorteil, d.h. zur Gewinnsteigerung und Profitmaximierung, patentieren. Dies bedeutet, daß indigene Völker und der Rest der Menschheit in Zukunft für den Zugang zu diesem Wissen, das so in eine Handelsware umgewandelt wird, bezahlen werden müssen. Darüber hinaus lassen sich Pharmakonzerne und die US-Regierung unter den Auspizien des "Human Genome Diversity Programme" die indigene Bevölkerung selbst patentieren. Wir sind gegen die Patentierung aller Lebensformen und gegen das Kontrollmonopol der Konzerne über Samen, Medizin, traditionelles Wissen und menschliche Gene.

Die Kämpfe indigener Völker zur Verteidigung ihres Landes (einschließlich der unterirdischen Schichten) führen zu mehr Repressionen gegen sie sowie zur Militarisierung ihrer Gebiete. Dadurch sind sie gezwungen, entweder ihr Leben oder ihre Freiheit zu opfern. Dieser Kampf wird solange geführt werden, bis den indigenen Völkern überall auf der Welt ihr Recht auf Gebietsautonomie zugestanden wird.

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Unterdrückung ethnischer Gruppen

Auf dem amerikanischen Kontinent leiden die "black communities", Gemeinschaften Schwarzer afrikanischen Ursprungs, seit Jahrhunderten unter brutaler und unmenschlicher Ausbeutung sowie unter physischer Vernichtung. Ihre Arbeitskraft wurde sowohl in Amerika als auch in Europa als eines der wichtigsten Instrumente zur Akkumulation des Kapitals eingesetzt. Angesichts dieser Unterdrückung haben die Afro-AmerikanerInnen Organisationsstrukturen und Widerstandsformen entwickelt, die auf ihre Gemeinschaften zugeschnitten sind. Zur Zeit haben die "black communities" sehr stark unter den Folgen von "Entwicklungs"großprojekten in ihren Gebieten zu leiden sowie unter der Invasion ihres Landes durch Großgrundbesitzer, was zu Vertreibung, Verelendung und kultureller Entfremdung, oft gar zu Repressionen und Tod führt.

Andere Menschen wie beispielsweise die Roma und Sinti, die KurdInnen oder die BewohnerInnen der Sahara leiden unter einer ganz ähnlichen Situation. All diese Völker werden von Nationalstaaten, die ihre Identität und ihre Autonomie unterdrücken und sie dazu bringen wollen, sich in eine homogene Gemeinschaft einzugliedern, dazu gezwungen, sich ihr Recht auf ein menschenwürdiges Leben erkämpfen zu müssen. Viele dieser Gruppen werden von den Herrschenden als eine Bedrohung angesehen, da sie ihr Recht auf kulturelle Vielfalt und Autonomie zurückverlangen und ausüben.

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Anschlag auf Natur und Landwirtschaft

Land, Wasser, Wald, Tierwelt, Wasserlebewesen und mineralische Rohstoffe sind keine Waren, sondern die Quelle unseres Lebens. Seit Jahrzehnten verdoppeln und verdreifachen die Kräfte, die aus der Finanzwirtschaft und dem Markt hervorgegangen sind, ihre Profite und verstärken ihre Einflußnahme auf Politik und Wirtschaft, indem sie diese Ressourcen auf Kosten des Lebens und der Existenzgrundlage vieler Menschen in aller Welt einfach rauben. Seit Jahrzehnten ermöglichen Weltbank, IMF und jetzt auch die WTO in einer Allianz mit den Nationalregierungen und mit Konzernen Feldzüge zur Beschlagnahmung der Umwelt. Das Ergebnis davon sind Umweltzerstörung, tragische und nicht zu bewältigende soziale Vertreibungen sowie das Auswischen kultureller und biologischer Vielfalt, von der ein Großteil unwiederbringlich verlorengeht, ohne daß diejenigen, die davon abhängig sind, Schadenersatzsansprüche geltend machen könnten.

Das vom nationalen und globalen Kapital geschaffene Gefälle innerhalb der Länder und zwischen den Ländern ist in dem Maße größer geworden, wie die Reichen die natürlichen Ressourcen von Gemeinschaften, Bäuerinnen und Bauern, LandarbeiterInnen, FischerInnen, Stämmen und indigenen Völkern, Frauen und sozial Benachteiligten einfach verschwinden lassen. Dadurch wird auf diesen unterdrückten und geknechteten Menschen noch mehr herumgetrampelt als ohnehin schon. Die durch Handels- und Investitionsabkommen auferlegte zentralisierte Kontrolle über die natürlichen Ressourcen läßt keinen Spielraum für Nachhaltigkeit zwischen den und innerhalb der Generationen. Sie dient einzig und allein dem von den Kräften, die diese Abkommen ausgearbeitet und ratifiziert haben, verfolgten Ziel: der Akkumulation von Reichtum und Macht.

Umweltschädliche und kapitalintensive Technologien spielen seit jeher eine wichtige Rolle bei den von Konzernen auf Natur und Landwirtschaft verübten Anschlägen. Sie haben überall dort, wo sie eingesetzt werden, verheerende Schäden an Mensch und Umwelt angerichtet sowie Elend und Hunger verursacht anstatt zu bekämpfen. Heute wird die moderne Biotechnologie vorangetrieben, die zusammen mit Patenten auf Leben eine der schlagkräftigsten und zugleich gefährlichsten Waffen der Konzerne zur Übernahme der Herrschaft über die Nahrungssysteme überall auf der Welt darstellt. Gegen Gentechnologie und Patente auf Leben muß massiv Widerstand geleistet werden, denn ihre potentiellen Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt sind so weitreichend wie nie zuvor in der gesamten Geschichte der Menschheit.

Indem die Unterprivilegierten einen Kampf gegen das weltweite Paradigma des Kapitals führen, arbeiten sie auf die Wiedererlangung ihres natürlichen Erbes und den Wiederaufbau integrierter, egalitärer Gemeinschaften hin. Wir träumen von einer dezentralen Wirtschafts- und Regierungsform, der das Recht von Gemeinschaften auf natürliche Ressourcen und das Recht, ihre eigene Entwicklung zu planen, zugrunde liegen, wobei Gleichberechtigung und Unabhängigkeit die zentralen Grundwerte darstellen müssen. Anstelle von verzerrten Prioritäten, die uns durch die weltweite Planung des Verkehrswesens, der Infrastruktur, der Energieversorgung und energieintensiver Technologien auferlegt werden, behaupten sie ihr Recht auf ein Leben, das die Befriedigung der Grundbedürfnisse eines jeden Menschen garantiert und der Gier einer auf Konsum fixierten Minderheit Einhalt gebietet. Wir respektieren traditionelles Wissen und traditionelle Kulturen, die mit Werten wie Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit im Einklang stehen, und sind fest entschlossen, kreative Wege zu entwickeln, um unsere natürlichen Ressourcen sinnvoll und sparsam zu nutzen sowie gerecht zu verteilen.

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Kultur

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Globalisierung, der auch immer wieder bei der WTO und anderen Institutionen Berücksichtigung findet, ist die Kommerzialisierung von Kultur und ihre Umwandlung in eine Handelsware sowie die Beschlagnahmung ihrer Vielfalt mit dem Ziel, sie für sich einzunehmen und in den kapitalistischen Akkumulationsprozeß zu integrieren. Dieser Prozeß der Homogenisierung durch die Medien trägt nicht nur zum Zusammenbruch kultureller und sozialer Netzwerke in lokalen Gemeinschaften bei, sondern zerstört auch das Wesen und die Bedeutung von Kultur insgesamt.

Kulturelle Vielfalt als Ausdruck menschlicher Kreativität und menschlichen Potentials ist nicht nur ein unermeßlicher Wert an sich, sie stellt auch ein grundlegendes Hilfsmittel für Widerstand und Unabhängigkeit dar. Folglich ist die seit der Kolonialzeit stattfindende kulturelle Homogenisierung als eines der wichtigsten zentralen Kontrollinstrumente zubetrachten. In der Vergangenheit wurde die Zerstörung kultureller Vielfalt hauptsächlich von der Kirche und durch das Aufzwingen der Kolonialsprachen vollzogen. Heute sind die Massenmedien und die Konsumkultur der Konzerne die Hauptverantwortlichen für die Umwandlung von Kultur in eine Ware und die Homogenisierung kultureller Vielfalt. Dieser Prozeß hat zum einen einen großen Verlust für das Erbe der Menscheit zur Folge; zum anderen wird dadurch eine alarmierende Abhängigkeit vom kapitalistischen Massenkonsum geschaffen - eine Abhängigkeit, die sehr viel tiefer sitzt und sehr viel schwieriger auszumerzen ist als wirtschaftliche oder politische Abhängigkeit.

Die Kontrolle über unsere Kultur muß aus den Händen der Konzerne entrissen und von den Gemeinschaften zurückgefordert werden. Unabhängigkeit und Freiheit kann es nur auf der Grundlage einer lebendigen kulturellen Vielfalt geben, die es den Menschen ermöglicht, jeden einzelnen Aspekt ihres Lebens selbständig zu bestimmen. Wir treten für die kulturelle Befreiung in allen Lebensbereichen ein - vom "Futter" bis hin zu Filmen, von der Musik bis zu den Medien. Mit unseren direkten Aktionen werden wir zur allmählichen Abschaffung der Konzernkultur und zur Schaffung von Räumen für wahre Kreativität beitragen.

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Wissen und Technologie

Wissen und Technologie sind nicht neutral oder wertfrei; ein wichtiges Fundament der Herrschaft des Kapitals ist die Kontrolle und die Macht über Wissen und Technologie. Die westliche Naturwissenschaft und Technologie haben zwar wichtige Beiträge zur Entwicklung der Menschheit geleistet, aber durch ihre Dominanz sind auch sehr unterschiedliche und sehr wertvolle Wissens- und Technologiesysteme, die auf jahrhundertelange Erfahrungen zurückgehen, einfach zunichte gemacht worden.

Die westliche Naturwissenschaft zeichnet sich durch das Hervorbringen vereinfachter Relalitätsmodelle zu Experimentierzwecken aus. Diese reduktionistische Wissenschaftsmethode ist folglich nur sehr begrenzt in der Lage, nützliches Wissen über so komplexe und chaotische Systeme wie die Landwirtschaft zu produzieren. Traditionelle Wissenssysteme und Methoden der Wissensentwicklung sind hierfür weitaus effektiver, da sie auf direkte, seit Generation stattfindende Beobachtung von und Interaktion mit komplexen Systemen zurückgehen. Daher kann es kapitalintensiven, auf Naturwissenschaft basierenden Technologien gar nicht gelingen, ihre Ziele in komplexen Systemen zu erreichen, und oftmals richten sie ein heilloses Durcheinander in diesen Systemen an, wie die sogenannten "green revolution technologies", die moderne Dammtechnologie und viele andere Beispiele zeigen.

Trotz ihrer vielen Nachteile wird kapitalintensiven Technologien den traditionellen, arbeitsintensiven Technologien gegenüber systematisch der Vorrang gegeben. Diese ideologische Diskriminierung führt zu Arbeitslosigkeit, Verschuldung und, was wohl das gravierendste Resultat ist, zum Verlust von jahrhundertealtem Wissen und jahrhundertealten Technologien von unschätzbarem Wert. Traditionelles Wissen, das oft in den Händen von Frauen lag, wurde bis von kurzem noch von westlichen, zumeist männlichen Wissenschaftlern als "Aberglaube" oder "Hexerei" abgetan; durch ihren "Rationalismus" und ihre "Modernisierung" wird seit Jahrhunderten versucht, es unwiederbringlich zu zerstören. Allerdings haben Pharmakonzerne und die Agrarindustrie vor einiger Zeit den Wert und das Potential traditionellen Wissens für ihre Zwecke entdeckt und stehlen es nun, lassen es sich patentieren und verwandeln es in eine Ware, um Gewinne zu erzielen und Profit zu machen.

Kapitalintensive Technologien werden entwickelt, vorangetrieben, vermarktet, kommerzialisiert und im Dienste der kapitalistischen Globalisierung eingesetzt. Da die Nutzung von Technologien einen wesentlichen Einfluß auf das gesellschaftliche und individuelle Leben ausübt, sollten die Menschen sie frei wählen können, freien Zugang zu ihnen und die Kontrolle über sie haben. Nur solche Technologien, deren Einsatz von der lokalen Bevölkerung bestimmt und kontrolliert werden kann, sollten als gerechtfertigt erachtet werden. Auch die Kontrolle über die Entwicklungs- und Herstellungsverfahren von Technologien, ihre Verbreitung und ihr Ausmaß sowie ihre Endgültigkeit sollten von menschlichen Prinzipien wie Solidarität, Kooperation und einem gesunden Menschenverstand inspiriert sein. Die heute der Herstellung von Technologien zugrunde liegenden Prinzipien sind genau das Gegenteil davon: Profit, Konkurrenz und die beabsichtigte Herstellung von schnell veraltenden Produkten. Ermächtigung ("empowerment") setzt zwingend die Kontrolle der Menschen über die Nutzung und Herstellung von Technologien voraus.

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Jugend, Erziehung und Bildung

Die Inhalte des gegenwärtigen Bildungswesens werden zunehmend von den Anforderungen der Konzerne diktiert. Die Interessen und Bedürfnisse der wirtschaftlichen Globalisierung führen zu einer zunehmenden Umwandlung von Bildung in eine Ware. Die Kürzungen öffentlicher Gelder, die in das Bildungswesen fließen, fördern die Eröffnung privater Schulen und Hochschulen, während die Arbeitsbedingungen der Angestellten im öffentlichen Sektor durch Sparmaßnahmen und Strukturelle Anpassungsprogramme (SAPs - Structural Adjustment Programmes) ausgehöhlt werden. Lernen wird zunehmend zu einem Prozeß, der gesellschaftliche Ungleichheiten und Benachteiligungen intensiviert. Weiten Teilen der Gesellschaft wird selbst der Zugang zum öffentlichen Bildungswesen - insbesondere zu den Hochschulen - verwehrt. Die Wissensaneignung im Bereich der Geisteswissenschaften (Geschichte, Philosophie etc.) wird nicht gerade ermutigt, genauso wenig wie die Entwicklung der Fähigkeit zum kritischen Denken - zugunsten einer Bildung, die den Interessen des Globalisierungsprozesses mit seinem Konkurrenzdenken untergeordnet ist. Studierende verbringen immer mehr Zeit damit, zu lernen, wie sie miteinander konkurrieren, als damit, ihr persönliches Wachstum, das Erlernen von Kritikfähigkeit sowie ihr Potential zur Veränderung der Gesellschaft zu fördern.

Um Erziehung und Bildung als Instrument für gesellschaftliche Veränderungen einzusetzen, bedarf es im gesamten Erziehungs- und Bildungswesen WissenschaftlerInnen, die keine Konfrontation scheuen, sowie kritischer ErzieherInnen und LehrerInnen. Eine auf gemeinschaftlichen Werten aufbauende Erziehung und Bildung kann Lernprozesse innerhalb sozialer Bewegungen initiieren; das Recht auf Information ist eine unabdingliche Voraussetzung für die Arbeit sozialer Bewegungen. Begrenzter und ungleicher Zugang zu Spracherwerb, insbesondere von Frauen, behindert die aktive Beteiligung an politischen Aktivitäten mit anderen Menschen. Die Schaffung dieser Instrumente ist eine Möglichkeit, menschlichen Werten mehr Bedeutung zu verleihen und sie wieder zu erlernen. Offizielle Erziehung und Bildung werden allerdings zunehmend als ein kommerzialisiertes Mittel zugunsten des Marktes eingesetzt. Dies geschieht durch Investitionen, die Konzerne im Bereich der Forschung tätigen, und durch die Förderung von Wissen, das auf die in der Marktwirtschaft benötigten Fähigkeiten ausgerichtet ist. Der Beeinflussung der Menschen durch die Massenmedien sollte ein Ende gesetzt werden, und wir müssen für unser Recht eintreten, unser eigenes Wissen und unsere eigene Kultur hervorzubringen.

Jedoch betrifft die Umwandlung von Erziehung und Bildung in eine Ware viele Kinder auf der Welt gar nicht, da sie als Sexobjekte und ausgebeutete Arbeitskräfte selbst als Ware behandelt werden und ein unmenschliches Maß an Gewalt erfahren. Die wirtschaftliche Globalisierung ist die Wurzel des täglichen Albtraums einer steigenden Anzahl ausgebeuteter Kinder - ihr Schicksal ist die schlimmste Konsequenz des vom Weltmarkt erzeugten Elends.

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Militarisierung

Die Globalisierung verschärft komplexe und sich ausweitende Krisen, die überall Spannungen und Konflikte hervorrufen. Die Notwendigkeit, das immer größer werdende Chaos 3in den Griff zu bekommen, wirkt sich nur verstärkend auf Militarisierung und Repressionen (mehr Polizei, Verhaftungen, Gefängnisse, Inhaftierte) in unseren Gesellschaften aus. Militärische Institutionen wie beispielsweise die von den USA dominierte NATO, die die anderen Mächte des Nordens vereint, zählen zu den Hauptinstrumenten zur Aufrechterhaltung dieser ungerechten Weltordnung. In vielen Ländern besteht Kriegsdienstpflicht, die junge Menschen mit der Absicht indoktriniert, den Militarismus zu legitimieren. Auch die Massenmedien und die Konzernkultur glorifizieren das Militär und preisen den Einsatz von Gewalt. Hinter den Fassaden demokratischer Strukturen schreitet auch die Militarisierung des Nationalstaates voran, der sich in vielen Ländern zur Durchsetzung der Interessen des Kapitals gesichtsloser paramilitärischer Truppen bedient.

Gleichzeitig wird der militärisch-industrielle Komplex, eine der wichtigsten Säulen des Weltwirtschaftssystems, zunehmend von riesigen privaten Konzernen kontrolliert. Die WTO überläßt Verteidigungsangelegenheiten zwar offiziell den Staaten, aber auch der militärische Bereich kann sich dem Streben nach privaten Profiten nicht entziehen.

Wir fordern die Abschaffung von Atomwaffen und allen anderen Massenvernichtungswaffen. Der Weltgerichtshof in Den Hague erklärte kürzlich, daß Atomwaffen internationales Recht verletzen, und forderte alle Länder, die im Besitz von Atomwaffen sind, auf, deren Abschaffung zuzustimmen. Das bedeutet, daß die Strategie der NATO, die auf einem möglichen Einsatz von Atomwaffen beruht, einem Verbrechen gegen die Menschheit gleichkommt.

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Migration und Diskriminierung

Das neoliberale Regime stellt die Rahmenbedingungen für freie Kapitalströme zur Verfügung, während es den Menschen ihr Recht, sich frei zu bewegen, abspricht. Rechtliche Migrationsschranken werden permanent verschärft, während gleichzeitig durch die massive Vernichtung der Existenzgrundlage sowie durch die Konzentration von Wohlstand in den privilegierten Ländern Millionen Menschen entwurzelt werden und gezwungen werden, weit weg von ihrer Heimat Arbeit zu suchen. MigrantInnen finden sich dadurch in einer immer prekärer werdenden und oftmals illegalen Situation wieder und werden so noch leichter zur Zielscheibe für ihre Ausbeuter. Sie werden zu Sündenböcken gemacht, und rechte PolitikerInnen ermutigen die lokale Bevölkerung, ihren Frust an ihnen auszulassen. Solidarität mit MigrantInnen ist heutzutage wichtiger denn je. Es gibt keine illegalen Menschen, sondern nur unmenschliche Gesetze!

Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, das Kastensytem und religiöser Fanatismus werden dazu genutzt, uns auseinander zu dividieren - dagegen müssen wir auf breiter Front Widerstand leisten! Wir feiern die Vielfalt unserer Kulturen und Gemeinschaften, und stellen keine über die andere, sondern sehen alle als gleichwertig an.

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Die WTO, der IMF, die Weltbank und andere Institutionen, die Globalisierung und Liberalisierung vorantreiben, wollen uns glauben machen, der weltweite Konkurrenzkampf habe positive Auswirkungen. Ihre Abkommen und ihre Politik stellen jedoch eine direkte Verletzung grundlegender Menschenrechte (u.a. BürgerInnenrechte, politische, wirtschaftliche und soziale Rechte, ArbeitnehmerInnenrechte und kulturelle Rechte), die in der internationalen Gesetzgebung und auch in vielen nationalen Verfassungen festgeschrieben sowie in der Auffassung von Menschenwürde in den Köpfen vieler Menschen fest verankert sind, dar. Wir haben genug von dieser unmenschlichen Politik! Wir lehnen das Konkurrenzprinzip als Lösungsansatz für die Probleme der Menschheit ab, denn es führt nur zur Zerstörung kleiner Produktionsbetriebe und lokaler Ökonomien - Neoliberalismus ist der wahre Feind wirtschaftlicher Freiheit!

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Teil II

Der Kapitalismus hat sich bereits von den fragilen " Zügeln ", die durch Jahrhunderte von Kämpfen auf nationalstaatlicher Ebene errungen wurden, losgerissen. Der Nationalstaat wird nur noch zur Kontrolle der Menschen und zu Repressionen gegen sie aufrechterhalten, während ein neues transnationales Regelungssystem geschaffen wird, um die weltweiten Operationen des Kapitalismus zu erleichtern. Wir können gegen den transnationalen Kapitalismus nicht mit unseren traditionellen Instrumenten aus dem nationalen Kontext vorgehen. In dieser neuen globalisierten Welt müssen wir neue Formen des Kampfes und der Solidarität erfinden sowie uns auf neue Ziele und Strategien unserer politischen Arbeit einigen. Wir müssen uns zusammentun, um verschiedene menschliche Räume für Kooperation, Gleichberechtigung, Würde, Gerechtigkeit und Freiheit zu schaffen, während wir das nationale und das transnationale Kapital sowie diejenigen Abkommen und Institutionen angreifen, die zum Erhalt seiner Macht ins Leben gerufen werden.

Es gibt viele unterschiedliche Formen des Widerstands gegen die Globalisierung des Kapitals und ihre Folgen. Auf individueller Ebene müssen wir unser Alltagsleben so verändern, daß wir uns von den Gesetzen des Marktes und dem Streben nach privatem Profit lossagen. Auf der Kollektivebene müssen wir vielfältige Organisationsformen auf unterschiedlichen Ebenen schaffen, denn wir sind uns im klaren darüber, daß es kein Allheilmittel zur Lösung unserer Probleme gibt. Solche Organisationen müssen unabhängig von Regierungsstrukturen oder Wirtschaftsmächten sein und unmittelbare Demokratie zur Grundlage haben. Diese neuen autonomen Organisationsformen sollten einerseits aus lokalen Gemeinschaften hervorgehen und in ihnen verwurzelt sein, andererseits sollten sie aber auch internationale Solidarität praktizieren, indem sie Brücken bauen zwischen verschiedenen Gesellschaftsschichten, Völkern und Organisationen, die bereits heute über die ganze Welt zerstreut die Globalisierung bekämpfen.

Diese Instrumente zur Koordinierung und Ermächtigung bieten Raum für die Umsetzung einer Reihe von lokalen, schrittweisen Strategien, die in den letzten Jahrzehnten von Menschen in aller Welt entwickelt worden sind und auf die Abnabelung ihrer Gemeinschaften, Nachbarschaften und kleinen Kollektive vom Weltmarkt abzielen. Der direkte Kontakt zwischen ErzeugerInnen und VerbraucherInnen sowohl auf dem Land als auch in den Städten, lokale Währungen, die Vergabe von zinslosen Krediten und ähnliche Maßnahmen sind die Bausteine für die Schaffung lokaler, nachhaltiger und autarker Ökonomien, die auf Kooperation und Solidarität, nicht auf Konkurrenz und Profit, basieren. Während das globale Finanzkasino mit steigender Geschwindigkeit auf den sozialen und ökologischen Zerfall sowie auf den wirtschaftlichen Zusammenbruch zusteuert, werden wir - die Menschen in aller Welt - uns wieder eine nachhaltige Existenzgrundlage aufbauen. Unsere Mittel dazu und unsere Inspiration dafür werden von dem Wissen und der Technologie der Menschen, von besetzten Häusern und Feldern, von einer starken und lebendigen kulturellen Vielfalt sowie von unserer festen Entschlossenheit kommen, uns aktiv den Verträgen und Institutionen, die die Wurzel allen Übels sind, zu widersetzen und sie nicht einmal ansatzweise zu respektieren.

Da Regierungen überall auf der Welt als Marionetten und Instrumente kapitalistischer Macht handeln und eine neoliberale Politik umsetzen, ohne mit ihrer eigenen Bevölkerung oder den gewählten VertreterInnen in Dialog zu treten, bleibt den Menschen nur die Zerstörung dieser Handelsabkommen und die Wiederherstellung eines Lebens mit unmittelbarer Demokratie übrig - frei von Zwängen, Herrschaft und Ausbeutung. Direkte demokratische Aktion, die in sich gewaltlosen zivilen Ungehorsam gegenüber dem ungerechten System trägt, ist folglich die einzige Möglichkeit, dem Unfug der im Dienste der Konzerne handelnden Staatsgewalt ein Ende zu setzen. Dazu gehört auch das notwendige Element von Spontanität. Wir erlauben uns jedoch kein Urteil über den Einsatz von anderen Aktionsformen, der unter bestimmten Umständen denkbar wäre.

Es ist höchste Zeit für eine konzertierte Aktion zur Abschaffung des unrechtmäßigen Weltregierungssystems, das transnationales Kapital, Nationalstaaten, internationale Finanzinstitutionen und Handelsabkommen miteinander verknüpft. Nur eine weltweite Allianz von Bewegungen von Menschen, die ihre Autonomie respektieren und aktions-orientierten Widerstand erlauben, kann dieses emporsteigende globalisierte Monster besiegen. Wenn Verarmung der Bevölkerung auf der Tagesordnung des Neoliberalismus steht, so ist die direkte Ermächtigung der Menschen durch konstruktive, direkte Aktion und zivilen Ungehorsam ein wichtiger Programmpunkt von Peoples' Global Action against "Free" Trade and the WTO.

Wir betonen hiermit unsere Absicht, gegen alle Formen der Unterdrückung kämpfen zu wollen. Aber wir wollen nicht nur die uns auferlegten Mißstände bekämpfen, sondern wir sind auch fest entschlossen, eine neue Welt zu erschaffen. Wir halten zusammen, als Menschen und als Gemeinschaften, und unsere Einheit ist fest in unserer Vielfalt verwurzelt. Zusammen wollen wir eine Vision von einer gerechten Welt entwickeln und arbeiten auf wahren Wohlstand hin, der aus der Ermächtigung der Menschen, aus natürlichem Reichtum, aus Vielfalt, Würde und Freiheit erwächst.

Genf, Februar / März 1998

(Übersetzung aus dem Englischen von Christina Klenner, Redigierung durch das web team)

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