20. Juli 2001 - Genua

ASSASSINI!
Ein Diskussionsbeitrag der Autonomen Antifa [M]


Carlo Giuliani ist tot. Der 23jährige wurde am Freitag, den 20. Juli 2001 während der militanten Proteste gegen den G-8-Gipfel in Genua von einem Carabinieri mit einem gezielten Kopfschuss ermordet. Damit forderte der Widerstand gegen den globalen Kapitalismus sein erstes Todesopfer. Nach den Schüssen von Göteborg hat die polizeiliche Willkür eine neue Stufe der Eskalation erreicht. Der linksradikale Widerstand, vor allem aber diejenigen, die bereit sind, die direkte Konfrontation mit der Staatsgewalt einzugehen, müssen die Frage auf-werfen, welche Konsequenzen aus den Todesschüssen zu ziehen sind.

Die Reaktionen

In Genua waren die Reaktionen unterschiedlich. Direkt nach den Schüssen wurde in den Camps vor Ort einerseits die Bewaffnung der Demonstrationen gefordert, um sich zu rächen, andererseits wurde die "Gewaltspirale" bemüht, um zur Friedfertigkeit aufzurufen. Beide Positionen sind unter dem unmittel-baren Eindruck der Todesschüsse entstanden und zu respektieren.
Nicht zu respektieren sind jedoch die ersten Diskussionen in den Tagen danach. Diese sind, in den bürgerlichen, aber auch in vielen vermeintlich linksradikalen Medien nach dem "Gipfel der Gewalt" gekennzeichnet von einer realen Unfähigkeit, das Gewesene zu verstehen. Der Unfähigkeit näm-lich, die Individuen, die sich für die Option der Militanz aus ihrem linksradi-kalen Selbstverständnis heraus entscheiden, als das wahrzunehmen, was sie sind: grundsätzliche Kapitalismuskritiker, die nicht zum Ziel haben, kon-struktiv mitzumachen, sondern sich bewußt allen Reformangeboten bürger-licher Politik verweigern. Der Versuch der medialen Rezeption, jegliche Ge-walt unter das Etikett des randalierenden "black bloc" zu bannen, versperrt die Sicht auf das eigentlich gewalttätige System: den Kapitalismus. Es wäre müßig die Rolle der Medien innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft zu kritisieren, sondern es muß das Bestreben aller radikalen Kräfte sein, sich soweit wie mög-lich zum Phänomen des "black bloc" zuzuordnen.
Das muß auch der reformistischen Anti-Globalisierungsbewegung klar sein, die im nachhinein versucht, militanten Protest zu delegitimieren und den ide-ologischen Pazifistenknüppel schwingt. Die altbekannte Rechtfertigungs-rethorik vieler linker Kreise schweift ebenso ab von der Gewalttätigkeit der Verhältnisse, als auch von der Möglichkeit bewußter Militanz. Genua wird nun verschwörungstheoretisch oder mit Opfermythologie nachbereitet. So sollen es Polizeiprovokateure gewesen sein, die mit den Auseinanderset-zungen, die, wie zu lesen war, von der IRA, der ETA, vielleicht aber auch vom italienischen Geheimdienst, wahlweise auch von Faschisten, gesponsored wur-den, begannen. Hier schwingt in jedem Erklärungsversuch der Wunsch mit, auf der Seite der Provozierten und Guten zu stehen, welche lediglich ange-griffen wurden aber niemals aus eigener Überzeugung angreifen würden. Die Stellungnahme der Globalisierungsgegner und -befürworter zu den Krawallen ist letztlich der Seismograph des kritischen Gehaltes ihrer Position.

Radikale Kritik ist immer destruktiv

Das Potpourri der genannten Erklärungsmuster ist lang, bunt und vielfältig, genau wie die dazugehörige "Anti-Globalisierungsbewegung". Doch nichts davon ist wahr. Wahr hingegen ist nur, das ein Teil der Bewegung offensiv das angreift, was er als Symbole für den Kapitalismus setzt. Ob Banken, Autos, Geschäfte oder die Polizei: Sie anzugreifen ist für die Individuen ein Vorge-schmack auf Revolte und steht in der Öffentlichkeit als ein Ausdruck, der nicht zu vereinnahmen ist, der nicht positiv zu deuten ist, sondern allein durch seine rein negative Ausstrahlung die radikale Kritik an den Verhältnis-sen vermittelt. Radikale Kritik ist immer destruktiv. Und so ist auch die Wut auf den Straßen Genuas zu verstehen. Sie fordert nur eins: Das Ende der Gewalt. Und dieses Anliegen haben tausende militante Aktivisten am Samstag auf den Straßen nicht nur von Genua manifestiert. Die Zerstörung der Innen-stadt, die erneuten Angriffe auf Polizeistationen und Justizgebäude forderten lediglich die Überwindung der Gewalt und das heißt nichts weniger als die Abschaffung kapitalistischer Verwertung.
Diese Gewaltausbrüche, die nun auch von Linken kritisiert werden, das Spek-takel, was sich medial konstruiert, hat die reformistischen Globalisierungsgeg-ner hart getroffen. Die meisten von ihnen, und da hat die heterogene Bewe-gung ihren gemeinsamen Nenner, glauben, dass die "sinnlose" Gewalt ihre Argumente und Verbesserungsvorschläge übertönt und somit für die Öffentlichkeit nicht wahrnehmbar gemacht hat. Resultat ist ein noch vehementeres Pochen auf die eigene Ernsthaftigkeit und eine Distanzierung vom gewalttäti-gen Rest. Der Kurzschluß dieser Argumentationskette ist jedoch offensicht-lich, denn da wo es knallt, da sind Kameras und in der Regel auch Journalisten. Die öffentliche Diskussion, die damit entsteht, braucht nichts so sehr wie Kritiker, die sich vom neu entdeckten "black bloc" distanzieren und ihre konstruktive Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft seriös und friedlich transportieren wollen. Von Gerhard Schröder über den Spiegel bis zu Attac und anderen Weltverbesserern sind sich alle einig: Der Kapitalismus produ-ziert Probleme, die nach Lösungen schreien. Diese zu finden im gemeinsamen Dialog, in der Abgrenzung zum "gewalttätigen Mob", der einfach nicht die Spielregeln akzeptiert, ist momentan die Forderung vieler und eint diese.. Auf dem Weg zur Modernisierung, in der Imanenz des Systems befangen, verliert die "Anti-Globalisierungsbewegung" jedoch jeglichen emanzipatorischen Ge-halt und kreuzt in ihren Statements zu oft reaktionäre Bahnen. Der Vorwurf an eine bürgerliche Presse, sie würde ausschließlich die Gewaltausbrüche rezi-pieren und nicht darüber berichten, wie es "wirklich war", verkennt die Zusammenhänge zwischen Spektakel und Kritik. Das breitenwirksamste Medium ist in der bürgerlichen Gesellschaft immer das Spektakel. Erst durch dieses wird ein Forum geschaffen, in dem die Reformer erhört und ihre Positionen bereitwillig diskutiert werden. Kritiker, seid froh, wenn es knallt und paßt auf Euch auf.

Von Genua nach Ottawa nach...

Für die radikale Linke kann es jedoch nicht um eine Beteiligung am Forum der Reformen gehen. Eine Analyse, die den Kapitalismus als ein totales und jedes Individuum durchziehendes Verhältnis begreift, verfällt nicht der Ver-lockung des besser-machen-wollens. So banal es klingen mag: Der militante und somit negative Ausdruck in Genua war für die linksradikale Bewegung ein Erfolg. Denn es ist gelungen, sich von dem Großteil der Globalisierungs-gegner, den Heimatschützern und Schuldenerlassforderern abzugrenzen, und sich als radikale und organisierte Kraft in den Medien zu etablieren. Unter den gegebenen Umständen kann der Sinn und Zweck öffentlicher Proteste nur der sein, eine Option auf die Abschaffung und Überwindung des Kapitalismus zu transportieren. Sollte die Reaktion der G-8 Länder die sein, in Zukunft im kleinen Rahmen irgendwo im Wald, der Wüste oder in den Bergen zu tagen, sollte der radikalen Widerstand seine aktionistische Beliebigkeit nutzen und die nächst größere Stadt anreisen...

Carlo Giuliani ist tot. Der 23jährige wurde am Freitag, den 20. Juli 2001 wäh-rend der militanten Proteste gegen den G-8-Gipfel in Genua von einem Carabinieri mit einem gezielten Kopfschuss ermordet. Nicht gestorben ist jedoch der Kampf für ein Ende der Gewalt. Weiter lebt eine Perspektive jen-seits von Staat, Nation und Kapital.

Solidarität mit den Gefangenen und Verletzten.

Für den Kommunismus.

 

Autonome Antifa [M]
Juli 2001

 

 

Spendenkonto für Antirepressionsarbeit:

Rote Hilfe e.V.
Konto-Nummer 191 100 462
Postbank Dortmund
Bankleitzahl 44 010 046
Stchwort "Genua

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