Aufrufflugblatt zum 6.11.

FASCHISTEN BEKÄMPFEN! zusammen. auf allen ebenen. mit allen mitteln.

Durch entschlossene antifaschistische Gegenwehr sind bislang alle Versuche von Nazis gescheitert, in Göttingen Fuß zu fassen. Jetzt rufen verschiedene faschistische Gruppierungen für Samstag, den 6. November 1999 zu einem Großaufmarsch in Göttingen auf.

Der Aufruf gegen den antifaschistischen Widerstand trägt das Motto "Gegen linken Terror und Justizwillkür", konkret gegen die "Gewalttaten der Göttinger Antifa (M)".

faschisten bekämpfen!
Die Selbstverteidigung und der Widerstand gegen Nazis ist Grundbestandteil linker Politik. In vielen Orten ist es gelungen, mit entschlossener Gegenwehr ein öffentliches Auftreten von Faschisten unmöglich zu machen. Das ist auch am 6. November 1999 unser Ziel. Verschiedene Wege des antifaschistischen Widerstands sollen sich, wie bereits in der Vergangenheit, solidarisch ergänzen, statt sich gegeneinander auszugrenzen oder voneinander abzugrenzen.

Faschistischer Präsenz auf der Straße und faschistischen Angriffen, die ihre Eskalation in zwei Toten fanden: Alexander Selchow, der in der Silvesternacht 1990/91 von Nazis erstochen wurde und die Antifaschistin Conny Wessmann, die 1989 in Folge einer Auseinandersetzung mit Nazis durch einen Polizeieinsatz ums Leben kam, wurde in Göttingen stets breiter Widerstand entgegengesetzt.

Bündnisdemonstrationen, militante Angriffe, Aufklärungsarbeit und nicht zuletzt die kontinuierliche Präsenz antifaschistischer Positionen in der politischen Öffentlichkeit haben erfolgreich dazu beigetragen, die Nazis in die Defensive zu drängen. Faschisten hatten und haben hier keinen Platz.

Galt dieses politische Klima vor einigen Jahren noch für viele Regionen in der BRD als normal, stehen wir inzwischen vor einer veränderten Situation. Vor dem Hintergrund, daß faschistische Aufmärsche, beflügelt von einer gesellschaftlichen Rechtsentwicklung, inzwischen bundesweit auf der Tagesordnung stehen, gibt es nun wieder Versuche von Nazis, rechte Strukturen in Göttingen zu etablieren. Öffentlichkeit gegen das Treiben der Kameradschaft Northeim erzeugte nicht zuletzt die von der Autonomen Antifa [M] initiierte Bündnisdemonstration im Juni 1999.

den rechten vormarsch stoppen!
Die "NPD/JN Niedersachsen", die "Kameradschaft Northeim", das "Nationale und soziale Aktionsbündnis Norddeutschland", "Blood and Honour Niedersachsen und Hessen" sind die faschistischen Gruppierungen, die für den 6. November 1999 zum Aufmarsch in Göttingen aufrufen. Sie repräsentieren relevante Teile der norddeutschen Naziszene und mit den Naziskinheadgruppen Blood and Honour auch deren brutale Schlägertruppen.

Ihren Aufschwung verdanken die Nazis einer gesellschaftlichen Entwicklung, die seit dem Zusammenbruch der DDR massiv vorangeschritten ist. Reaktionäre Positionen, die in den 80er Jahren noch Außenseiterstatus hatten, wurden von etablierten Parteien aufgegriffen und in die politische Praxis umgesetzt. Diese Politik hat das Erstarken von Faschisten unterstützt und immer neue Angriffe auf Obdachlose, Flüchtlinge, Linke und gesellschaftliche Minderheiten nach sich gezogen. Als die Faschisten ihren Dienst als Wegbereiter der Konsolidierung rechter Inhalte in der Gesellschaft getan hatten, setzten staatliche Maßnahmen wie Verbote gegen faschistische Parteien und Organisationen ein, die vorrangig das Ziel hatten, die erstarkte Nazibewegung wieder in kontrollierbarere Bahnen zu lenken.

Nach der Verbotswelle proklamierten die Nazi-Gruppen autonome Zellen und Kameradschaften bzw. sammelten sich unter dem Banner der "Jungen Nationaldemokraten" (JN), der Jugendorganisation der NPD. Diese sucht sich ihr Betätigungsfeld genau dort, wo andere gesellschaftliche Kräfte bereits Vorarbeit geleistet haben, zum Beispiel bei der Debatte um die Ausstellung zu den Verbrechen der Wehrmacht, die in den vergangenen Jahren häufig politisches Angriffsziel faschistischer Aufmärsche war. Vertreten etablierte Parteien rassistische Inhalte reinsten Wassers, wie die CDU mit ihrer Kampagne gegen die Doppelte Staatsbürgerschaft, verhilft ihnen das nicht nur zu größerer Popularität bei rassistischen Teilen der Bevölkerung, sondern führt gleichzeitig dazu, daß die Grenzen zu faschistischen Inhalten immer mehr verwischen. Durch die Normalisierung rechter Inhalte wird der Boden für eine anwachsende faschistische Mobilisierung bereitet, gleichzeitig werden die Faschisten mit ihren Themen zunehmend politikfähig. Faschisten und etablierte Parteien treiben so den rechten Vormarsch wechselseitig voran.

totalitarismus – mediale straßenschlachten
In diesem gesellschaftlichen Klima kann die faschistische Bewegung aufblühen. Naziaufmärsche mit mehreren tausend Teilnehmern sind nichts ungewöhnliches. Diese Großaufmärsche der Faschisten werden vom Staat genutzt, sich selbst als demokratische Mitte zu inszenieren. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten:

Zum einen geht der Staat mit juristischen Mitteln vor und verbietet den Naziaufmarsch meist samt aller Gegendemonstrationen mit dem Verweis, daß mit gewalttätigen Gegenaktionen autonomer Gruppen zu rechnen und die öffentliche Sicherheit auf Grund eines Polizeinotstandes nicht zu gewährleisten sei. Dieses staatliche Vorgehen reduziert im Vorfeld Autonome auf einen gewaltbereiten Haufen ohne ernsthaftes politisches Anliegen. Linke und Rechte werden im Sinne der Totalitarismusthese als Extremisten gleichgesetzt. Der Staat stellt sich selbst als die einzige Instanz dar, die gegen Neofaschismus vorgehen kann.

Als zweite Variante versucht der Staat linke und rechte Positionen gleichzusetzen, indem er unter einer Machtdemonstration des Polizeistaates den Naziaufmarsch gegen den Widerstand antifaschistischer Kräfte durchprügelt. Die AntifaschistInnen erscheinen auch auf diesem Weg in der Öffentlichkeit im Sinne des Totalitarismus als Chaoten, als linkes Pendant zu Nazis, der eigenen Inhalte beraubt.

Die mit dem Ende des kalten Krieges begraben geglaubte Totalitarismusthese erlebte nach 1989 mit dem Entstehen des neuen deutschen Machtstaates ihre Wiederauferstehung. Sie setzt den Realsozialismus und den Nationalsozialismus als totalitäre, verbrecherische Systeme gleich. Die Verbrechen des Nationalsozialismus werden dadurch relativiert und historisiert. Die "Normalisierung deutscher Vergangenheit" soll die Normalisierung deutscher Macht verdeutlichen. Auch ein sozialdemokratischer Bundeskanzler Schröder will nur noch "in die Zukunft blicken und Deutschland nicht auf die Rolle des Geschlagenen und ewig Schuldigen festgelegt sehen." Die Konsequenz des Übergangs zur "deutschen Normalität" ist notfalls die auch aggressive Wahrnehmung "deutscher Interessen" in der Welt. Die Totalitarismusthese hat ihren politischen Gebrauchswert auch in der Legitimierung und Absicherung des parlamentarisch-demokratischen Systems und in der Diskreditierung linker, sozialistischer Politik als totalitär und verbrecherisch. Jeder Gedanke an emanzipatorische Alternativen zur bürgerlichen Ordnung soll aus den Köpfen vertrieben werden. Antifaschismus wird in diesem Zusammenhang nicht als Kampf gegen Faschismus und für eine bessere Welt verstanden, sondern als Rechtfertigungsideologie totalitärer Linker diffamiert.

antifa offensive ’99
Der Widerstand gegen Faschisten ist auch Widerstand gegen das kapitalistische System, Widerstand gegen nationalistische Wahnvorstellungen und rassistische Politik bürgerlicher Parteien.

Mit der Kampagne "Antifa-Offensive’99 – den rechten Vormarsch stoppen!" initiierte die offene AG der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) einen Versuch, die Isolation linker Politik aufzubrechen und antifaschistische Kräfte zu bündeln. Im Mittelpunkt der gemeinsamen bundesweiten Initiative steht das Vorantreiben antifaschistischer Organisierung, um wieder aus einer Position der Stärke handeln zu können. Bisheriger Höhepunkt der Kampagne war eine bundesweite Demonstration gegen die Bundesgeschäftsstelle der NPD, die am 9. Oktober ’99 in Stuttgart stattfand und an der über 2000 Menschen teilnahmen. Auch die am 6. November geplanten Blockadeaktionen und die Demonstration in Göttingen werden im Zeichen der Antifa-Offensive stehen.

beteiligt euch!
Am 6. November ’99 wird der Naziaufmarsch je nach Bedarf verboten, oder es wird mit polizeistaatlichen Mitteln versucht werden, ihn durchzuprügeln. Die Polizei wird versuchen, dem Bild zu entsprechen, daß sie in Göttingen – wie im Rest des Landes – alles unter Kontrolle hat. Jüngstes Beispiel aus Göttingen ist eine antifaschistische Demonstration am 2. Oktober ’99, die mehrmals durch die Polizei angegriffen wurde. In der Öffentlichkeit stand eine völlig gegenteilige Darstellung, indem von gewalttätigen DemonstrantInnen gesprochen wurde. Dieses Vorgehen hat zum Ziel, Teilnehmende einzuschüchtern und längerfristig davon abzuschrecken, an Demonstrationen teilzunehmen.

Es wird einmal mehr von Seiten des Staates versucht werden, das Vorgehen der Polizei als neutral darzustellen und linke GegendemonstrantInnen mit Faschisten gleichzusetzen. Diesen Tendenzen müssen wir entgegenwirken, indem wir mit allen progressiven Kräften gemeinsam den Nazis die Straße streitig machen und den öffentlichen Raum gegen Faschisten jeder Couleur verteidigen.

Der Naziaufmarsch ist ein direkter Angriff auf die antifaschistische Kultur in der Stadt Göttingen und deshalb sind alle fortschrittlichen Kräfte aufgefordert, mit ihren Mitteln ein Zeichen zu setzen gegen Stiefelnazis und Anzugfaschisten. Blockieren wir den Naziaufmarsch und demonstrieren wir für die Inhalte des revolutionärem Antifaschismus – zusammen. auf allen ebenen. mit allen mitteln.

oktober 1999 · göttingen

Autonome Antifa [M]