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Aussageverweigerung

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In allen Klassengesellschaften versuchen die Reichen und Mächtigen, ihre Macht und ihren Reichtum zu schützen. Dazu bedienen sie sich des Staates. Sie schaffen Gesetze, die ihnen Macht und Reichtum zusprechen und diese garantieren, und nutzen Polizei und Streikräfte. Jede politische Bewegung, die die bestehenden politischen und sozialen Verhältnisse angreift, wird deshalb früher oder später mit der Repression des Staates konfrontiert. Staatliche Repression verfolgt stets das Ziel, eine den Herrschenden unliebsame politische Bewegung zu schwächen. Sie richtet sich daher niemals gegen Einzelne, auch wenn “nur” Einzelne herausgepickt und abgestraft werden.

Ein wichtiges Instrument der Abwehr staatlicher Repression bildet die Aussageverweigerung bei Polizei und Staatsanwaltschaft und gegebenenfalls vor Gericht. Polizei und Staatsanwaltschaft sind staatliche Represssionsorgane. Die Polizei fungiert als Hilfsbeamtin der Staatsanwaltschaft. Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist es, “Beweise” und “Indizien” gegen eineN “VerdächtigeN” zusammenzutragen, um zu schauen, ob genügend “Material” für eine Anklage vorhanden ist. Es liegt ausdrücklich aber nicht im Interesse einer/eines Staatsanwalts/Staatsanwältin, eure “Unschuld” zu beweisen. Im Gegenteil wird die Staatsanwaltschaft alles daran setzen, selbst “Fakten”, die für euch sprechen, gegen euch zu wenden. Das gilt insbesondere für StaatsanwältInnen der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft.

Die sicherste Variante, ein Ermittlungsverfahren unbeschadet zu überstehen, ist daher eine vollständige Aussageverweigerung! Aussageverweigerung ist ein bewusstes politisches Handeln. Wer sich entscheidet, kein Sterbenswörtchen zu sagen, boykottiert jegliche Zusammenarbeit mit den Organen der Klassenjustiz und erschwert ihnen die Erfüllung ihrer Aufgabe. Oftmals benötigt die Staatsanwaltschaft gerade eure Aussage, um ihre Funktion als Repressionsorgan im konkreten Fall überhaupt wahrnehmen zu können. Darüber hinaus nutzt der Staat jede Aussage, um Erkenntnisse über ihm unliebsame politische Strukturen zu erhalten, diese einzuschätzen und gegebenenfalls repressiv gegen sie vorzugehen.

Wer die Aussage verweigert, setzt sich intensiv mit staatlicher Repression auseinander, klärt mit und für sich seinen Standpunkt gegenüber den Repressionsorganen und bezieht eindeutig Position. Mensch fühlt sich den staatlichen Repressionsorganen weniger ausgeliefert, weil er/sie ihnen politisch und strategisch etwas entgegenzusetzen vermag. Aussageverweigerung kann euch deshalb helfen, eure Ohnmachtsgefühle gegenüber Polizei und Justiz abzuschwächen und euch Selbstbewusstsein im Umgang mit den Verfolgungsbehörden stiften.

Die Staatsanwaltschaft nebst ihrer Hilfsbeamtin Polizei ist ein Herrschaftsinstrument der Mächtigen. Sie wird alles daran setzen, euch aufgrund eurer politischen Aktivitäten vor Gericht zu bringen und damit euch und euren politischen Zusammenhängen zu schaden. Über eure “Schuld” hingegen urteilt nicht die Staatsanwaltschaft, sondern der/die RichterIn aufgrund des “Materials”, das die Staatsanwaltschaft “gesammelt” hat. Jede Aussage vor der Staatsanwaltschaft, die euch oder andere vor Gericht gegebenenfalls “entlasten” könnte, wird die Staatsanwaltschaft nur dazu veranlassen, nach weiteren oder anderen Beweisen, die ihr dann vor Gericht nicht mehr entkräften könnt, gegen euch oder andere zu suchen oder diese zu konstruieren. Aus diesem Grund kann es vor der Staatsanwaltschaft auch niemals wirklich “entlastenden” Aussagen geben.

Die Staatswanwaltschaft stellt gezielt Fragen. Auch scheinbar banale Fragen können für den Staat wichtig sein, um euch oder eineN GenossIn zu verurteilen. Im Gegenteil würde der/die Staatsanwalt/Staatsanwältin diese Fragen nicht aufwerfen, wenn sie sich durch sie keinen “Erkenntnisgewinn” verspräche. Deswegen gibt es vor der Staatsanwaltschaft auch keine harmlosen Antworten. Keine Information, die ihr der Staatsanwaltschaft gebt, ist unbedeutend. Sie hilft immer ihr und dem Staat gegen euch oder andere repressiv vorzugehen und/oder eure politischen Strukturen auszuspitzeln.


Polizei und Staats- anwaltschaft versuchen, in Verhören oder bei Vorladungen an eure Aussagen zu kommen.
Wenn ihr eine Vorladung zur Polizei erhaltet, seid ihr juristisch nicht verpflichtet dieser nachzukommen. Um gar nicht erst in die Verlegenheit zu gelangen, die Aussage verweigern zu müssen, solltet ihr polizeiliche Vorladungen ignorieren und auch die “Absage” des Termins, bei der die Bullen häufig versuchen, euch einen anderen Termin auf´s Auge zu drücken, “vergessen”.

Im Gegensatz dazu besteht die Verpflichtung, Ladungen der Staatsanwaltschaft Folge zu leisten. Zuvor solltet ihr allerdings eine Rechtshilfegruppe, z.B. Die Rote Hilfe oder den EA, kontaktieren und euch einen Anwalt vermitteln lassen, der euch zur Staatsanwaltschaft begleitet. Weigert ihr euch, vor dem/der StaatsanwältIn zu erscheinen, kann er/sie ein Ordnungsgeld gegen euch verhängen. Als BeschuldigteR habt ihr das Recht, die Aussage zu verweigern. Aber auch als ZeugIn gibt es Möglichkeiten, “legal” einer Aussage zu entgehen. Nach § 52 StPO besitzt ihr ein Zeugnisverweigerungsrecht, sofern ihr mit dem/der Beschuldigten verwandt oder verschwägert seid (dazu zählen auch Verlobungen!). Ebenfalls befreit sind BerufsgeheimnisträgerInnen wie RechtsanwältInnen, Geistliche, PsychotherapeutInnen u.a. (§ 53 stop), allerdings nur eingeschränkt. Sofern die §§ 52 und 53 StPO nicht einschlägig sind, verbleibt als juristische Grundlage einer Aussageverweigerung lediglich § 55 StPO. Nach § 55 StPO könnt ihr von eurem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, wenn ihr euch ansonsten selbst belastet.

Wer sich auf § 55 StPO beruft, läuft also Gefahr, dass die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen ihn/sie einleitet! Außerdem muss dargelegt werden, warum mensch sich mit seiner Aussage belastet und dies für jede einzelne Frage erneut. Eine konsequente Aussageverweigerung wird also bereits durch die mit § 55 StPO verbundene Begründungspflicht ausgehebelt. Dabei ist noch nicht einmal sicher, dass die Staatsanwaltschaft euren Verweis auf § 55 StPO akzeptiert, es drohen euch die gleichen Sanktionsmaßnahmen wie im Falle einer juristisch nicht abgesicherten Aussageverweigerung. Auf § 55 StPO sollte daher nur in seltenen Ausnahmefällen (z.B. Ermittlungsverfahren gegen alle Mitglieder einer Gruppe) zurückgegriffen werden. Im Normalfall bleibt euch also der “Luxus”, “legal” die Aussage zu verweigern, verwehrt. Das macht gar nichts: ihr verweigert trotzdem jegliche Aussage!

Die Aufgabe der Polizei deckt sich mit der Aufgabe der Staatsanwaltschaft, “Material” gegen euch zusammenzutragen. Sie entscheidet nicht über eure “Schuld”, hat jedoch ein großes Interesse daran, diese zu beweisen. Wie der/die Staatsanwalt/Staatsanwältin wird die Polizei alle Aussagen gegen dich oder deine GenossInnen verwenden. Scheinbar entlastende Aussagen dienen allein dazu, andere “Indizien” und “Beweise” ausfindig zu machen oder zu erfinden und dich oder andere zu “überführen”. Auch auf den ersten Blick harmlos wirkende Fragen sind auf das Ziel, dir oder deinen GenossInnen zu schaden und deine politische Struktur auszuspionieren, gerichtet. Jede Aussage ist eine Aussage zuviel. Oftmals erfolgt die Befragung durch die Polizei jedoch nicht erst vermittels einer Vorladung, sondern wird von der Polizei im Anschluss an eine vorrübergehende Festnahme durchgeführt. Das Verhör findet somit in einer Situation statt, in der der/die Betroffene sich den Bullen vollständig ausgeliefert und ohne Rechte glaubt.

Dabei machen sich die Bullen die Verunsicherung und Angst, die eine vorläufige Festnahme auslöst, zunutze. Es ist keine Seltenheit, dass die PolizistInnen versuchen, die ohnehin vorhandene Unsicherheit durch gezielte Desinformationen zu vergrößern und Gefangene gegeneinander ausspielen. So behaupten sie in Verhören z.B. häufig, die anderen hätten ohnehin schon ausgesagt, der/die Betroffene sei die/der Einzige, der/die nach wie vor die Aussage verweigerte und sich damit Nachteile einhandele. Ein solches Vorgehen der Bullen ist das beste Indiz dafür, dass die anderen dichtgehalten haben, da die Polizei ansonsten nicht so dringend eure Aussage bräuchte! Auch die Androhung, dass ihr länger im Knast bleiben müsstet, eure Aussageverweigerung negativ vor Gericht zu Buche schlüge u.ä. ist Humbug und dient allein dazu, eure Angst zu erhöhen.

Die Dauer der Gewahrsamnahme ist gesetzlich genau festgelegt und Aussageverweigerung darf vor Gericht nicht negativ gewertet werden. Eine beliebte Verhörmethode stellt das “Spiel” “guter Bulle, böser Bulle” dar. Während einer der verhörenden Bullen den psychischen Druck auf euch erhöht, streckt euch der andere seine “helfende” Hand entgegen. Der “böse Bulle” lässt euch eure Ohnmacht und Angst verstärkt spüren, so dass ihr eigentlich nur noch raus wollt aus dieser Situation. Zugleich bietet euch der “gute Bulle” an, euch zu helfen, dem Schlamassel zu entkommen. Natürlich nur, sofern ihr bereit seid, Aussagen zu machen. Mit den Aussagen aber geht der Ärger erst richtig los!

Oftmals heucheln die Bullen Verständnis für das politische Engagement der/des Gefangenen und versuchen auf diese Tour, Widerstände gegen Aussagen abzubauen und sich als Verbündete zu präsentieren. Die Polizei ist Dienerin der Staatsanwaltschaft, ihre Aufgabe besteht darin, unsere politischen Zusammenhänge zu schwächen. Sie ist nicht unsere Freundin und Helferin, sondern die Freundin und Helferin unserer politischen Gegner. Das ist der Grund für eure Festnahme und für ihr “Verständnis”, das einzig den Zweck verfolgt, euch Informationen zu entlocken. Genau deswegen solltet ihr die Aussage verweigern. Manchmal schreiben euch die Bullen Aktionen zu, die ihr politisch und persönlich ablehnt. Sie spekulieren darauf, dass ihr euch gegen zu Unrecht erhobene Vorwürfe verteidigt und dabei von eurer politischen Arbeit und euren eigenen Aktionen erzählt, also eine Aussage macht.

Sie bemühen sich bewusst, euch zu provozieren und rechnen euch die dargelegte Aktion nicht wirklich zu. Und selbst, wenn es so sein sollte, könnt ihr euch immer noch vor Gericht verteidigen. Am Besten, ihr wiederholt gebetsmühlenartig, dass ihr die Aussage verweigert und euren Anwalt/eure Anwältin anrufen wollt. Genauso solltet ihr alle Versuche der Bullen, ein Gespräch mit euch zu beginnen, beantworten. Oftmals knüpfen die Bullen ein zunächst unbedeutendes Gespräch mit euch an, das dann psychologisch geschickt auf die Punkte, die im Verhör angesprochen werden sollten, gelenkt wird. Und plötzlich macht ihr eine Aussage, ohne dass es euch recht zu Bewusstsein gekommen ist. Wirklich sicher hilft auch bei dieser Bullenstrategie nur, alle Gespräche zu verweigern, auch die über das Wetter.

Während ihr in absolut allen Fällen bei Polizei und Staatsanwaltschaft die Aussage verweigern solltet, kann eine mit GenossInnen, Rechtshilfe (EA, Rote Hilfe u.a.) und RechtsanwältIn abgesprochene, wohlüberlegte Einlassung vor Gericht in seltenen Ausnahmefällen sinnvoll sein. Etwa wenn ihr euch oder andere mit eurer Einlassung “entlasten” könnt oder wenn ihr einen politischen Prozess führen wollt. Allerdings solltet ihr zuvor sicherstellen, dass eure Einlassung keineN andereN GenossIn belastet. Grundsätzlich empfiehlt sich auch vor Gericht, die Aussage zu verweigern, insbesondere, wenn ihr von der Staatsanwaltschaft als BelastungszeugIn geladen wurdet. Das Gericht ist ebenso wie Polizei und Staatsanwaltschaft ein Herrschaftsinstrument. Es setzt die von den Herrschenden zu ihrem Vorteil erlassene Gesetze durch und urteilt deshalb weder gerecht noch in unserem Sinne.

Wer vor Gericht die Aussage verweigert, muss mit einem Ordnungsgeld und im schlimmsten Fall mit Beugehaft rechnen. Beugehaft kann allerdings nur verhängt werden, wenn es ein “schwerwiegenderes Delikt” zu bestrafen gilt. Sie richtet sich nach der Höhe der zu erwartenden Strafe. Die Beugehaft beträgt maximal 6 Monate. Eure Aussage würde dem/der Angeklagten aber mehrere Jahre Knast einbringen, ansonsten könntet ihr nicht in Beugehaft genommen werden. Das einzig solidarische Verhalten in einer solchen Situation heißt Aussageverweigerung! Ob der/die Einzelne bereit ist, in Beugehaft zu gehen, hängt von vielen Faktoren ab. 6 Monate Beugehaft bedeutet für den/die Betroffene 6 Monate Knast, bedeutet, seinen Job zu verlieren, wegen Mietrückständen aus der Wohnung zu fliegen, sich 6 Monate nicht um seine Kinder oder hilfebedüftige Angehörige kümmern zu können und dem Staat den eigenen Knastaufenthalt auch noch bezahlen zu müssen. Beugehaft ist nur durchzustehen, wenn der/die Einzelne auf ein solidarisches Umfeld zurückgreifen kann. Es macht einen Unterschied, ob mensch sich sicher sein kann, dass die Miete von GenossInnen weiter gezahlt wird, die Kinder von FreundInnen betreut werden, ein Solikonto die Kosten abdeckt, GenossInnen Öffentlichkeit herstellen und sie/ihn nicht im Knast vergessen oder ob mensch allein vor dem/der Richterin steht und Beugehaft aufgebrummt bekommt.

Ihr seht: für die Abwehr staatlicher Repression ist konsequente Aussageverweigerung unumgänglich. Deshalb: Keine Aussagen vor Gericht, bei Polizei oder Staatsanwaltschaft!


Wer ist die Rote Hilfe?
Die Rote Hilfe ist eine Solidaritätsorganisation, die politisch Verfolgte aus dem linken Spektrum unterstützt. Sie konzentriert sich auf politisch Verfolgte aus der BRD, bezieht aber auch nach Kräften Verfolgte aus anderen Ländern ein. Unsere Unterstützung gilt allen, die als Linke wegen ihres politischen Handelns, z.B. wegen presserechtlicher Verantwortlichkeit für staatsverunglimpfende Schriften, wegen Teilnahme an spontanen Streiks, wegen Widerstand gegen polizeiliche Übergriffe oder wegen Unterstützung der Zusammenlegungsforderung für politische Gefangene ihren Arbeitsplatz verlieren, vor Gericht gestellt, verurteilt werden. Ebenso denen, die in einem anderen Staat verfolgt werden und denen hier politisches Asyl verweigert wird.

www.aussageverweigerung.info
www.rote-hilfe.de



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