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Wed Dec  4 17:38:00 1996
 

Bundeskriminalamt


"Herr Abgeordneter, Entschuldigung, das habe ich übersehen. Ich muß da in der Tat nocheinmal nachfassen. Das erscheint mir an diesem Punkt ebenfalls etwas ungenau. Gestatten Sie bitte, daß ich da noch einmal nachfasse. Das ist ein Punkt, der vernehmungsmäßig noch nicht ganz abgeschlossen zu sein scheint. Ich danke Ihnen sehr für den Hinweis."


BKA-Präsident Zachert in der 72. Sitzung des Innenauschusses des deutschen Bundestages am 12.7.93







In den ersten Stunden nach dem Mord an Wolfgang Grams leistet das BKA ganze Arbeit: bei der Tatortarbeit wurden die wichtigsten Spuren vernichtet, in Lübeck bei der "Identifizierung" von Wolfgang Grams wichtige Spuren an seinen Händen abgeschrubbt und noch keine 24 Stunden nach dem Einsatz von Bad Kleinen ist schon seine Waffe beschossen, ohne daß sie vorher auf Spuren untersucht worden wäre. Um freie Hand zu haben, wurden die zuständigen örtlichen Dienststellen sowohl vom Tatort als auch von der Leiche von Wolfgang Grams ferngehalten. Eine zweite Spurensuche am Tatort, die nach der Aussage der Zeugin Baron und aufgrund des Lübecker Obduktionsergebnisses angezeigt gewesen wäre, wird unterlassen. Gleichzeitig beginnt man mittels einer völlig falschen Pressemitteilung mit der Irreführung der Öffentlichkeit. Die Aussage der Zeugin Baron wurde verheimlicht, bis Monitor sie vier Tage später veröffentlichte. Vor dem Innenausschuß des Bundestags: Märchenstunde mit dem Polizeiführer von Bad Kleinen, Rainer Hofmeyer. Gegenüber der Staatsanwaltschaft Schwerin: Dienst nach Vorschrift.

Öffentlichkeitsarbeit

Noch am Abend des 27. Juni 93 hat das BKA einige Zeugen der Schießerei vernommen, darunter auch die Kioskverkäuferin Baron. Sie gab zu Protokoll, daß auf den wehrlos am Boden liegenden Wolfgang Grams geschossen worden sei. Diese Aussage wird der Öffentlichkeit verschwiegen, ebenso das Obduktionsergebnis "Aufgesetzter Kopfschuß". Für beides wird später regierungsamtlich der Abteilungsleiter "Linksterrorismus" und Polizeiführer in Bad Kleinen, Rainer Hofmeyer, verantwortlich gemacht. Ebenso wird später der BKA-Vize Köhler "zur Verantwortung gezogen". Sie hatten sich mit ihren Auftritten vor dem Innenausschuß des Bundestags unmöglich gemacht. Hofmeyer hatte den Märchenonkel gespielt, sein Vize-Chef zeichnete sich durch "Null-Ortskenntnisse, falsche Lageskizze und grobe Information" aus. "Der hat so getan, als wenn die Beamten der GSG 9 eine Art kollektives Schweigerecht besäßen." 1
Daß die beiden sich nur dumm stellten, um Zeit zu gewinnen, belegt z. B. folgende Äußerung des BKA-Vizepräsidenten Köhler vor dem Bundestagsinnenausschuß am 30.6.93: "Hier gab es dann einen Schußwechsel. Ich weiß nicht, wie nahe man dran war oder wie weit weg. Dabei lag letztlich Herr Grams tot auf den Gleisen. Das ist die Situation."2 Zu diesem Zeitpunkt konnte mit dieser Information noch niemand etwas anfangen, einen Tag später, nach der Veröffentlichung der Aussage der Zeugin Baron durch Monitor, wurde klar, worauf Köhler angespielt hatte.
Auch an anderer Stelle, als es um den angeblichen "Racheschwur" der GSG 9 geht, der der Auslöser für den Mord an Wolfgang Grams gewesen sein soll, zeigte er seine Weitsicht: "Völlig undenkbar, heißt die offizielle Version, daß es eine Handlungsmaxime zur Selbstjustiz gebe. Der Vizepräsident des BKA, Köhler, ist da nicht so sicher: Er hält eine Verschwörung, wie er intern zugab, durchaus für möglich".3

Auch intern hielt man sich den Rücken frei - in der Woche nach Bad Kleinen ließ das BKA die planmäßig anberaumte Sitzung der Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung der Kriminalämter von Bund und Ländern wegen 'Arbeitsüberlastung' ausfallen.
Unterdessen weilte BKA-Präsident Zachert in Kur. Erst eine Woche nach Bad Kleinen mochte er sich der Presse stellen, die, empört darüber, daß man sie so offensichtlich an der Nase herumführte, Köpfe forderte. Trotzdem blieben auch ihm peinliche Szenen vor dem Innenausschuß nicht erspart (siehe oben). Sein Erscheinen machte indes erwartungsgemäß nichts besser. So strich er heraus, die Zeugin Baron habe unterdessen ihre Aussage geändert - was in der Hauptsache nicht stimmte; eine Ohrenzeugin für einen einzelnen Schuß nach der Schießerei ließ er großzügig unter den Tisch fallen. Andererseits konnte Zachert auch durchaus offensiven Umgang mit "Informationen" an den Tag legen. Obwohl gutachterliche Erkenntnisse nach Absprache von BKA, BAW und StA Schwerin im Zuständigkeitsbereich von Schwerin lag, preschte "der sonst stets als besonders bedächtig und umsichtig geltende BKA-Chef Zachert (in der 2. Juli-Woche, d. V.) mit den News vor (..), der rechtsmedizinische Sachverständige der Uni Münster schließe aus, daß der fragliche Nahschuß aus dem Pistolentyp der Heckler & Koch P 7, also der gängigen Polizeiwaffe stammen könne."4

Im Verlauf der nächsten Woche meldete sich die Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung (KGT) nach einer Sitzung beim BKA in Wiesbaden mit massive Vorwürfen gegen die Medien zu Wort: "sie hätten mit wüsten Spekulationen zusätzliche Verwirrung gestiftet und mit dubiosen Zeugenaussagen die GSG 9-Beamten als Killer hingestellt. Jetzt deute alles daraufhin, daß Grams Selbstmord verübt habe".5 Vor allem das Fernsehmagazin Monitor und der Spiegel wurden angegriffen; Monitor, weil es die Aussage der Zeugin Baron öffentlich gemacht und damit den Stein erst richtig in's Rollen gebracht hatte und den Spiegel, weil der die Aussage eines anonymen Zeugen aus den Reihen der eingesetzten Beamten abgedruckt hatte. Beiden Magazinen wurde vorgeworfen, "unüberprüfte" - also von der Polizei nicht abgesegnete - Informationen verbreitet zu haben. Ebenso wurde natürlich deren Wahrheitsgehalt wegen Widersprüchlichkeiten generell bestritten - wohl wissend, daß diese Widersprüche nur in für den Mordvorwurf unerheblichen Details lagen.
Ein Teil der KGT-Medienoffensive war der Auftritt von Bundesanwalt Löchner vor dem Innenausschuß des Bundestags. Dort zitierte er aus einer nie veröffentlichten ersten Fassung der eidesstattlichen Erklärung, die Baron gegenüber Monitor gemacht hatte. Anhand dieser vorläufigen Fassung - Löchner erweckte natürlich den Eindruck, es handle sich um die autorisierte - versuchte er, die Zeugin unglaubwürdig zu machen.6

Bad Kleinen nur eine PR-Panne

Schließlich sprach BKA-Präsident Zachert im September bei einem Nachbereitungstreffen in der Polizeiführungsakademie in Münster auf höchster polizeilicher Ebene noch einmal deutlich aus, was ihm stinkt: die Medien. Es habe sich um "unerträgliche Vorverurteilungen" gehandelt. Zusammen mit dem Inspekteur des Bundesgrenzschutzes und damit auch der GSG 9, Hitz, kam er zu dem Fazit, daß die eigentliche "Panne" von Bad Kleinen die Pressearbeit gewesen sei. "Zachert und Hitz resümierten vor Führern von Spezialeinheiten daß die Polizeiaktion sehr professionell vorbereitet worden sei. Zwar habe es bei dem Einsatz "einige Probleme" gegeben. Grund für die folgende Krise sei aber eigentlich das laienhafte und unkoordinierte Berichtswesen gegenüber Medien, Politikern und damit der Gesellschaft gewesen. (...) Damit das Ansehen der Behörden nicht nochmals so geschädigt werde wie im Fall Bad Kleinen, verlangten Zachert und Hitz für die Zukunft eine professionelle Informatiossteuerung in Form eines Krisen-managements à la Schleyer." 7
Eine durchaus professionelle Nachbereitung, nur mit laienhafter Medienarbeit: sie war nicht für die Öffentlichkeit gedacht.
Der Dienstherr Bundesregierung war nicht undankbar: Hofmeyer und Köhler wurde es vergolten, daß sie im Krisenmanagment der ersten Tage ihren Kopf hingehalten hatten. Köhler wurde auf einen ruhigen Posten im Innenministerium versetzt, Hofmeyer wurde Chef des Kriminalistischen Instituts des BKA mit 150 Mitarbeitern, das neben der kriminalistisch-kriminologischen Forschung auch für die Weiterbildung sowohl der BKA-Beamten als auch von Fahndungsspezialisten aus dem In- und Ausland zuständig ist.

Video vom Einsatz

Es ist die Regel, daß die Polizei von wichtigen Einsätzen Videoaufnahmen fertigt. Sie dienen zur Dokumentation, zur polizeitaktischen Auswertung und Nachbesprechung des Einsatzes, zur Schulung und, bei besonderen Vorkommnissen, auch als Beweismaterial vor Gericht - das aber in aller Regel nur, wenn sie die Polizei entlasten. Die Behauptung von BKA und GSG 9, den Einsatz in Bad Kleinen nicht gefilmt zu haben, ist daher absolut unglaubwürdig. BKA-Präsident Zachert bestätigte auch, daß ein Dokumentationstrupp des BKA mitgereist sei. Die "mobile Situation" habe aber seinen Einsatz unmöglich gemacht. 8 Diese Behauptung ist angsichts der genauen Vorbereitungen nicht haltbar.
Es war genug Zeit, eine Videoobservation aufzubauen. Die GSG 9 hatte schon um 8.30 Uhr morgens ein SET zugriffsbereit in Bad Kleinen. Birgit Hogefeld war ab kurz nach 13 Uhr im Billardcafe, also gut 2 Stunden vor dem Einsatz. Ein BKA-Beamter nimmt sogar schon um 12.30 Uhr seinen Beobachtungsposten im Stellwerk ein. Die Zeitungsmeldung, daß sich der von Zachert bestätigte Dokumentationstrupp im Zug auf Gleis 5 aufhielt, wo auch von Zeugen zwei Männer gesehen wurden, ist angesichts dieser Fakten plausibel. 9 Auch vom Stellwerk aus wäre es ohne weiteres möglich gewesen, völlig unbemerkt zu filmen - mit exzellentem Blickfeld. Selbst das Gebüsch hinter Gleis 5 hätte sich für eine Videoobservation angeboten.
Über das nötige Equipement von Teleobjektiv bis Fernsteuerung verfügt das BKA, schließlich war es ihm ja auch möglich, sowohl das Zusammentreffen von Birgit Hogefeld mit Steinmetz am 24.6. wie auch die Ferienwohnung in Wismar unbemerkt per Video zu überwachen.
Es gibt nur zwei mögliche Erklärungen für das Fehlen jeglicher Videoaufzeichnungen: entweder das Video zeigt den Mord oder es war von Anfang an klar, daß es kein Video geben darf. Da muß wohl, um Zachert zu zitieren, noch einmal "nachgefaßt" werden.

Die Tatortarbeit des BKA

Mit Ende des Zugriffs in Bad Kleinen trat eine vom BKA verhängte Nachrichtensperre in Kraft und es begann eine Tatsachenverschleierung und Spurenvernichtung im großangelegten Maßstab. Die Dimension dessen, was da zu verheimlichen war, läßt sich nur erahnen, wenn man in Betracht zieht, daß sogar angeforderten notärztlichen Rettungsteams auf Fragen nach konkreten Verletzungen und deren Ursache die Information mit Verweis auf eben diese Nachrichtensperre verweigert wurde.
Nachrichtensperre als Begründung für Informationsverweigerung mußten sich auch zwei BGS-Beamte der Bahnpolizei Schwerin anhören. Sie kamen aufgrund ihrer Zuständigkeit für den Bahnhof Bad Kleinen dorthin und wollten ihre Dienststelle über die Vorgänge in Kenntnis setzen. Auskünfte wurden ihnen von seiten der BKA-Beamten nicht erteilt. Sie wurden, weitab vom Geschehen, zur Sicherung vor Schaulustigen auf den Bahnhofsvorplatz abgeschoben. Ihrer eigenverantwortlichen Tätigkeit ist allerdings die Feststellung der Personalien von Zeugen zu verdanken, die vorher auf dem Bahnhofsgelände von den dortigen BKA-Beamten nicht als Zeugen aufgenommen wurden.


BKA-Beamte bei der Tatortarbeit (Foto:dpa)

Mangelhafte Erfassung der Tatzeugen

Der Eifer und die Eile, mit der BKA-Beamte noch am Tattag Zeugenaussagen, die sie einfach nicht weglügen bzw. unter den Tisch fallen lassen konnten, wie z.B. die Kioskverkäuferin Baron, demontiert haben, ist eine Seite der nun beginnenden Ermittlungen. Die andere zeigt sich in der "Fahrlässigkeit", mit welcher direkte ZeugInnen, die als Reisende auf Bahnsteig 3/4 das ganze beobachteten, und sich teilweise noch bis zu einer Stunde auf dem Bahnhofsgelände aufhielten, den Bahnhof verlassen konnten, und zwar ohne Aufnahme der Personalien. In einem Fall ist bekannt, daß der betreffende Zeuge sogar noch an GSG 9-Sperren aufgehalten wurde und dort bestätigte, daß er vom Bahnsteig komme. Ein weiterer bot sich den anwesenden Beamten als direkter Tatzeuge an, worauf er zur Antwort die Drohung erhielt, er sei ein toter Mann, wenn er sich äußere.
Diese beiden wurden dort nicht als Zeugen erfaßt. Wieviel Zeugen letztendlich nicht festgestellt wurden, läßt sich nicht mehr klären. Es fehlen aber nachweislich einige.

Mangelhafte Erfassung der Einsatzkräfte

Die direkten Einsatzkräfte wurden nicht erfaßt. Das waren nach späterer Aufstellung des BKA 20 Beamte des BKA und 35 der GSG 9.
Dies hatte u.a. zur Folge, daß der Staatsanwaltschaft Schwerin für ihre Ermittlungen nach mehreren Anfragen erst am 11.Juli 1993 - 15 Tage nach dem Einsatz - mitgeteilt wurde, wieviel Kräfte angeblich bei dem Einsatz in Bad Kleinen anwesend, und wo sie postiert waren. Doch auch diese Aufstellung ist offensichtlich nicht vollständig.

Kein Schutz der durch Witterungseinflüsse gefährdeten Spuren

Da es kurz nach dem Schußwechsel in Bad Kleinen anfing zu regnen, und niemand der anwesenden Spezialisten vorschriftsmäßig den Tatort abdeckte, war für die Ermittler nicht mehr nachvollziehbar, ob Blutspritzer am ursprünglichen Liegeort von Wolfgang Grams vorhanden waren. Nach Prof. Brinkmanns Selbstmordtheorie hätte man Blutspuren direkt rechts neben seinem Kopf feststellen müssen und darin sozusagen als Negativabdruck seine Pistole. Das dokumentierte Nichtvorhandensein solcher Spuren hätte seiner Theorie keine Grundlage geboten.
Die Bild-Dokumentation oder jedwede sonstige Darstellung der Lage der Verletzten wie z.B. Kreidekennzeichnungen, Bestandteil jeder Tatortarbeit, wurde nicht vorgenommen, zumindest nicht für offizielle ermittlungstechnische Zwecke.

Fehlende Dokumentation der Lage der Waffe von Wolfgang Grams

Das gleiche gilt für die Lage der Waffe von Wolfgang Grams.Während sich die Waffe von Wolfgang Grams im Zwischenbericht der Bundesregierung noch eindeutig "auf der linken Körperseite in der Nähe seiner linken Hand" befand,10 kommt die Bundesregierung in ihrem Abschlußbericht nunmehr zu der lapidaren Feststellung: "Zur Lage der Waffe des Grams nach Beendigung des Schußwechsels liegen unterschiedliche Aussagen vor. (...) Der Widerspruch (...) ließ sich auch durch die staatsanwaltlichen Ermittlungen nicht aufklären." 11
Die aus der fehlenden Dokumentation folgenden Unklarheiten bezüglich der Lage des Kopfes, des Armes, der Hand und der Waffe von Wolfgang Grams nutzte Professor Brinkmann dann bei der Konstruktion seines "Selbstmordbeweises".

"Private" Foto- und Video Aufnahmen

Die einzigen Bilder, die angeblich von dieser Zeitspanne existieren, sind die von GSG Nr. 19, der rein privat eine Videokamera in seinem Dienstauto mit sich führte und mit dieser eine halbe Stunde nach dem Schußwechsel den Tunnel, Bahnsteig und die Verletzten videografierte. Die Tatsache, daß er mit seiner eigenen Videokamera sozusagen als "Privatperson im Einsatz" einen kleinen Film drehte, war auch der Anlaß, diesen Film vorerst nicht den Ermittlungsbehörden zur Verfügung zu stellen. Er fand Verwendung im internen ausgesuchten Kreis unter GSG-Beamten zu sogenannten Studienzwecken. Erst nach neun Tagen wurde eine Kurzfassung - ohne Abbildung eingesetzter GSG 9-Beamter - dem BKA zur Verfügung gestellt. Diese Kurzfassung plus der angeblichen Originalcassette landeten erst 11 Tage nach dem Einsatz in Bad Kleinen bei dem Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern. Lapidare Feststellung im Zwischenbericht der Bundesregierung dazu: "Es muß zukünftig sichergestellt werden, daß Tatortaufnahmen umgehend zur Verfügung gestellt werden."12
Der GSG 9-Beamte Nr. 19 war jedoch nicht der einzige, der rein privat Aufnahmen vom Tatort und den Verletzten machte.
Ein Pilot der Grenzschutzfliegerstaffel Berlin, als Pilot eines der Rettungshubschrauber abgeordnet, hat mit seiner privaten Kleinbildkamera zu dem Zeitpunkt der medizinischen Notversorgung der beiden Verletzten auf Bahnsteig 3/4 mindestens sieben Bilder aufgenommen. Dies teilte er am nächsten Tag seinem Vorgesetzten mit. Der Film wurde jedoch nicht sofort als Beweismittel eingezogen. Der Pilot brachte nach einem weiteren Tag den Film angeblich ganz privat zum Entwickeln. Vier Tage später holte er ihn ab, und nochmal 3 Tage danach setzte er seine vorgesetzte Dienstelle von der Fertigstellung dieser Bilder in Kenntnis. Am gleichen Tag wurden sie dann dem Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern zugestellt; allerdings nur 16 von 24 Negativen. Was auf den fehlenden acht Bildern zu sehen ist, wurde nie ermittelt. Drei von diesen Bildern erschienen dann am 15. Juli 1993 in Die Woche. Was das BKA mit seinem Heer an Spezialisten zu diesem Zeitpunkt nicht fertiggebracht hat, den Tatort foto- oder videografisch festzuhalten, macht dieser BGS-Fliegerpilot praktisch nebenbei: Nach Ankunft seiner Ärzte-Besatzung auf dem Bahnsteig 3/4 erhielt er am Hubschrauber die Aufforderung, umgehend das mitgeführte Beatmungsgerät für Wolfgang Grams nachzubringen - der lebensgefährliche Zustand des Patienten war vorher nicht über Funk bekanntgegeben worden. Der Pilot nun nimmt seine Kamera, bringt das Beatmungsgerät zusammen mit seinem BGS-Bordwart im Laufschritt auf Bahnsteig 3/4 und macht dort die erwähnten Aufnahmen.
Bei diesen Bildern kann man davon ausgehen, daß auch sie intern zu Abstimmungszwecken gebraucht wurden: GSG 9 Nr. 19 zumindest weiß in einer Vernehmung einen Tag nach Eingang der Bilder bei den Ermittlungsbehörden, daß er auf einem dieser Bilder abgelichtet ist. Während seiner Vernehmung nach Schutz-Kleidung befragt, verweist er auf diese Aufnahmen, die hier vorliegen sollen.Wohlbemerkt, er gehört nicht zur Grenzschutzfliegerstaffel, ist dort auch nicht stationiert, kann also schon allein deshalb nicht mit dem BGS-Fliegerpiloten nach Dienstschluß private Bilder ausgetauscht haben.

Fehlendes Dokumentationsmaterial

Viele private Zeugen, aber auch eingesetzte Kräfte, haben Angaben über filmende oder fotografierende Personen auf Bahnsteig 3/4 gemacht. Aufgrund dieser Aussagen muß man zwingend davon ausgehen, daß noch mehr Dokumentationsmaterial, zumindest für die Zeit kurz nach dem Einsatz bis zum Abflug der Verletzten, vorliegen muß. Die fehlende Bilddokumentation ist somit keine faktische, sondern eine vorgeschobene "Panne" zur Unterschlagung von Beweismaterial.

Spuren "wandern"

Die Videoaufzeichnungen des GSG 9-Beamten, die laut Bahnhofsuhr kurz vor 16 Uhr unterbrochen werden, zeigen eine Viertelstunde später erstaunliche Lebendigkeit.: Nummernschilder zur Bezeichnung der Lage von Spuren liegen plötzlich ganz anders als zuvor.13

Keine sofortige Beweissicherung

Fast alle der 120 für die Festnahme eingesetzten Kräfte hielten sich nach dem Mord in Bad Kleinen selbst auf. Bei diesem gigantischen Aufgebot an Spezialisten waren jedoch nur zwei Männer für die Tatortarbeit vorgesehen. Das sollte für die nächsten sechs Stunden auch so bleiben. Die Entscheidung des Polizeiführers war, daß der Einsatzort nur durch die Tatortgruppe des BKA zu bearbeiten sei. Und die befand sich in Wiesbaden und mußte erst eingeflogen werden. 14
Die Regeln und der Leitfaden des BKA für die Tatortarbeit wurden damit eklatant mißachtet: "Hiernach hat sie (die Polizei bei der Tatortarbeit, Anm. d. V.) Straftaten zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anforderungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhindern. (...) Die Polizei unterliegt somit der Pflicht der unverzüglichen Beweissicherung."15

Im Zwischenbericht der Bundesregierung wird zwar der Eindruck vermittelt, daß vorerst genügend Kräfte für die Tatortarbeit vorhanden gewesen seien: Die Kriminalinspektion (KPI) Schwerin hatte mit fünf weiteren Kriminaltechnikern ihre Dienste angeboten. Zwei von ihnen wurden allerdings für Ermittlungen gebraucht und die restlichen drei wurden auf Anordnung des ranghöchsten Polizeibeamten vor Ort im wahrsten Sinne des Wortes auf ein Nebengleis (Gleis 5) abgeschoben. Am konkreten Tatort - Treppenaufgang, Bahnsteig 3/4 und Gleis 4 - hatten sie jedoch nichts zu suchen. Einer der Spurentechniker wurde dem Einsatzeiter der SOKO mit dem Hinweis vorgestellt, daß ihm der Sachverhalt zur Kenntnis gegeben werden müsse. Nach der ihm gelieferten Sachlagenschilderung konnte sich dieser Kriminalbeamte des Eindrucks einer gewissen Geheimniskrämerei nicht erwehren. Rein subjektiv war dieser Eindruck sicherlich nicht; sondern eher vorsichtig ausgedrückt. Denn das, was ihm mitgeteilt wurde, ist nicht nur die halbe Wahrheit, sondern Vorspiegelung falscher Tatsachen: Informiert wurde einzig über einen Schußwechsel mit "Terroristen", bei dem ein Polizist einen Brustschuß erhalten habe, den er wahrscheinlich nicht überleben werde. Es wurden keinerlei Angaben darüber gemacht, durch wen, mit was und von wo überhaupt geschossen wurde. Der durch Kopf- und Bauchschuß schwerverletzte Wolfgang Grams wurde mit keiner Silbe erwähnt. Das war der gesamte Kenntnisstand, mit dem die Spurentechniker der KPI Schwerin ihre Tatortarbeit ausführten.16

Die Kriminaltechniker der KPI heben sich bei der Vorgehensweise in ihrer Tatortarbeit und der technischen Ausstattung gegenüber den BKA-Tatortbeamten ab. Sie haben eine Videokamera zum Einsatzort mitgebracht, machen damit eigenverantwortlich Übersichtsaufnahmen, einen Gesamtüberblick vom Bahnhof Bad Kleinen und Detailaufnahmen. Die hochspezialisierten BKA-Beamten nicht. Entgegen den BKA-eigenen Anweisungen für effektive Tatortarbeit haben sie keine Videokamera vor Ort, obwohl eine Videoausrüstung zum integralen Bestandteil ihrer Ausrüstung gehört. In dem Lehrbuch Kriminalistik, Handbuch für Praxis und Wissenschaft ist ein gesondertes Kapitel eigens dem "Konzept für die Aufnahme eines Tatortes mit der Videokamera" gewidmet, mit detaillierten Schilderungen, wo am Tatort Übersichtsaufnahmen mit Weitwinkel oder Teleobjektivdokumentationen angebracht sind.17
Die später eingeflogene Tatortgruppe wurde anscheinend ebenfalls nicht beauftragt, solches Gerät mitzubringen, trotz der Tatsache, daß mittlerweile bekannt war, daß es auf dem Bahnhof Bad Kleinen zwei Tote gegeben hatte. Die KPI-Beamten mußten den zwei mangelhaft ausgerüsteten Tatortbeamten des BKA öfter -dann wenn sie Spurentafeln markiert hatten - mit der Videokamera aushelfen. Daß bis zum Abschluß ihrer eigenen Tatortarbeit kein Kollege des BKA mit einer Videokamera zu sehen war, konnten sie nur mit Verwunderung feststellen. Verwunderung darüber oder Erklärungsversuche für diesen peinlichen Umstand sind beim BKA dagegen nicht aufgekommen. In einem Schreiben des BKA an das LKA Mecklenburg-Vorpommern kommt es lediglich zu der Feststellung, daß durch die eigene Behörde keine Videodokumentation des Tatortes gefertigt worden sei. Dies sei durch die KPI Schwerin erfolgt.
Die acht, extra für die Tatortarbeit eingeflogenen BKA-Beamten erklärten ihre Arbeit bereits nach zwei Stunden und zwanzig Minuten für beendet.
Zum besseren Verständnis, was die Dauer und damit die Intensität der Spurensicherung sonst betrifft, hier zwei Beispiele, in welchem Zeitraum "normalerweise" derartige Ermittlungen stattfinden (vorausgesetzt die Polizei ermittelt nicht gerade gegen sich selbst, organisierte Faschisten oder wegen sogenannter Wirtschaftskriminalität): Die Spurensuche nach dem Sprengstoffanschlag der RAF auf den Gefängnisneubau bei Weiterstadt im April 1993 war erst nach einem Jahr (!) abgeschlossen. Zellendurchsungen bei politischen Gefangenen durch das BKA dauern teilweise drei Tage. Die Größe einer Zelle variiert zwischen 7,5 qm und 10 qm

Fehlende Waffen

Die Täter selbst bestimmten aus dem Großangebot an Bewaffneten die Anzahl derer, die geschossen haben sollen. Und das war ein Bruchteil der bewaffnet eingesetzten Kräfte. Insgesamt wurden nur sechs Waffen festgestellt.
Gegen 17.00 Uhr wurde angeordnet, "daß alle am Schußwechsel beteiligten Beamten ihre Waffen mit Magazinen bei der Tatortgruppe abzugeben haben. Den Tatortbeamten war zu diesem Zeitpunkt die genaue Zahl der bei dem Schußwechsel eingesetzten Waffen nicht bekannt. (...) Nicht bekannt war der Tatortgruppe zum Zeitpunkt der Tatortarbeit, daß die Dienstwaffe des verletzten GSG 9-Beamten Nr. 5 nicht mit abgeliefert worden war."18
Die siebte Waffe, die des verletzten GSG Nr. 5, befand sich noch fünf Tage im Besitz der GSG 9 bis sie angeblich bei der Beerdigung von Michael Newrzella dem Leiter des BKA-MEK übergeben und von diesem zur spurenkundlichen Untersuchung weitergeleitet wurde.

Fehlende Magazine und Hülsen

Die Anweisung für den Einsatz in Bad Kleinen an die GSG 9 lautete, drei Magazine à 8 Patronen plus eine im Patronenlager mit sich zu führen: insgesamt also 25 Patronen pro Mann. Abgegeben und asserviert wurde aber lediglich nur das Magazin, das sich zum Übergabetermin in der jeweiligen Pistole P 7 befand.
Ob die übrigen Magazine tatsächlich in Reserve gehalten wurden, bleibt deshalb unklar. Die Anzahl der abgegebenen Schüsse wurde von den Tatortbeamten einzig und allein aufgrund dieser abgegebenen Pistolen und Magazine rekonstruiert.
Der folgenden BKA-eigenen Ausführung sind die Tatortbeamten des BKA nur einseitig nachgekommen: "Die Rekonstruktion (eines Geschehensablaufes bei der Tatortarbeit, Anm. d. V.) ist ein dynamischer Prozeß. Jede neue Information fordert zur Überprüfung der Rekonstruktionshypothesen heraus. Dieser Informationsverarbeitungsprozeß vollzieht sich während der parallel zu führenden Tatortarbeit und Ermittlungshandlungen ständig, und die Ergebnisse werden vor dem Hintergrund der objektiven Spurenlage verifiziert oder falsifiziert." 19


Patronenhülse im Gleis

Die Komplizen der Täter untersuchen den Tatort

Die Tatortbeamten in Bad Kleinen haben sich viel Mühe gegeben, das zu verifizieren, was ihnen von ihren Kollegen vorgegeben wurde. Bekannt war den Spurentechnikern während ihrer Arbeit, daß insgesamt 29 Schuß von den GSG 9-Beamten abgegeben worden waren; die vorenthaltene Pistole von Nr. 5 mit vier abgegebenen Schüssen wurde noch bei der GSG 9 unter Verschluß gehalten. Folglich fanden sie auch 29 Hülsen (genauer: 28 Hülsen und eine Patrone).
Da die Komplizen der Täter den Tatort untersuchten, hätten sie ohne weiteres ein paar Hülsen verschwinden lassen oder übersehen können und somit die angeblich abgefeuerte Munition mit der aufgefundenen auf einen Stand bringen können. Abwegig ist dieser Verdacht keinesfalls: Ein mit der Luftrettung eingetroffener Notarzt hat mehrere Patronenhülsen am unteren Treppenende bzw. an der Ecke zur Unterführung wahrgenommen. Im später angefertigten Spurenplan der Tatortbeamten findet sich an der Ecke zur Unterführung überhaupt keine Hülse, lediglich auf den unteren Stufen zwei; die nächsten lassen sich erst wieder im oberen Bereich des Treppenaufganges finden. Auch die Tatsache, daß bis heute, trotz mehrerer Nachsuchaktionen auf dem Bahnhof Bad Kleinen, der Verbleib von zwei Patronenhülsen, die von den GSG 9-Beamten verschossenen wurden, nicht geklärt werden konnte, legt diesen Verdacht nahe.

Noch Tage später werden Projektile gefunden

Vier Tage nach dem Schußwechsel tauchte unerwartet während der Vernehmung eines Rangierleiters des Bahnhofs Bad Kleinen durch das BKA, ein Projektil auf. Er hatte es zwei Tage nach den Schüssen im Gleisbett gefunden, in die Hosentasche gesteckt und mit nach Hause genommen. Dort hat es seine Frau vor der Wäsche gerettet. Bei der am darauffolgenden Tag durchgeführten Rekonstruktion der Auffindesituation auf dem Gleis, fand dieser Mann eine weitere Hülse. Diese Hülse, das konnte man der Prägung entnehmen, war eine von der GSG 9. Die von den Tatortbeamten aufgestellte Munitionsbilanz - 29 abgegebene Schüsse gleich 29 aufgefundene Hülsen/Patronen - stimmte somit nach diesem Fund nicht mehr. Es mußte von der GSG 9 also mindestens ein Schuß mehr abgegeben worden sein, als durch die fehlenden abgeschossenen Patronen ermittelt. Angeblich am gleichen Tag - bei der Beerdigung von Newrzella - übergab ein stellvertretender Einheitsführer der GSG 9 die am Tatort versehentlich nicht abgegebene Waffe von GSG 9 Nr. 5 dem BKA-Leiter des MEK. Am nächsten Tag wurde diese Waffe den Tatorbeamten des BKA übergeben. Diese fertigten daraufhin eine Liste der am "Tatort sichergestellten Waffen" an - die erste Bestandsaufnahme der Waffen überhaupt, am 3. Juli 1993! Die Waffe von GSG 9 Nr. 5, obwohl weder am Tattag noch am Tatort asserviert, wird dort mit den sechs in Bad Kleinen abgegeben Pistolen aufgeführt.

Ein Klacken

GSG 9 Nr. 2 hat während des Schußwechsels einen Magazinwechsel durchgeführt. Diese Tatsache läßt er während vier Vernehmungen bzw. Aufzeichnungen unter den Tisch fallen. In seiner fünften Vernehmung verstrickt er sich in Beantwortung einer ganz anderen Frage in Erklärungsversuche. Gefragt wird er, ob er nach Beendigung des Schußwechsels ein Klicken oder Klacken wahrgenommen habe. Um zu erklären, daß ein solches Geräusch durchaus nicht ungewöhnlich ist, meint er, die Erklärung hierfür wäre ganz simpel, beim Vor- und Entspannen der Pistole würde ein solches klickendes Geräusch entstehen. Er selbst hätte es nicht nur nach dem Schußwechsel, sondern auch während der Schießerei bei seiner eigenen Waffe gehört. Da er nicht wußte, wieviel Schuß er abgeben hatte, habe er vorsichtshalber einen Magazinwechsel durchgeführt. Dabei sei ein solches klickendes einrastendes Geräusch entstanden. Daß er sechsmal geschossen habe, habe er dann später anhand seiner Restmunition errechnet. GSG 9 Nr. 2 gibt seine Waffe in folgendem Zustand ab: Die Pistole mit einer Patrone im Lauf und zwei Patronen im Magazin. Die Waffe kann neun Patronen fassen, drei sind noch vorhanden, also hat Nr. 2 sechs Patronen verschossen. Nur, er hat während dem Schußwechsel einen Magazinwechsel durchgeführt. Hat er jetzt also nochmal sechs Schuß abgegeben und das erste Magazin verschwinden lassen, oder vor Abgabe seiner Waffe einen weiteren Magazinwechsel durchgeführt, um den angeblichen ursprünglichen Zustand (sechs abgegebene Schüsse) wiederherzustellen und das Ersatzmagazin verschwinden lassen. In jedem Fall fehlt entweder das erste oder das Reservemagazin.

Fazit Tatortarbeit

Wegen der mangelhaften Tatortarbeit des BKA mußte die Staatsanwaltschaft Schwerin noch drei weitere Nachsuchen auf dem Bahnhof Bad Kleinen anordnen, bei denen noch insgesamt vier Hülsen (drei von Wolfgang Grams und eine von der GSG 9) und weitere Geschoßteile gefunden wurden. Die letzte mit Sprengstoff-Spürhunden durchgeführte Nachsuche blieb trotz zweier offiziell noch fehlenden Hülsen des Zugriffs-SETs ergebnislos.
Das Interesse der Tatortbeamten des BKA war es, alle Beweismittel zu vernichten, die für Fremdtötung sprechen und Fakten, gegen das Bild vom vorsetzlichen Mord, das in der Öffentlichkeit durch eventuelle Zeugenaussagen entstehen könnte zu schaffen. Diese Tatortbeamten waren keineswegs desorientiert, sondern haben genau gewußt, was sie machen, bzw. was sie nicht machen sollen.
Der medizinische Sondermüll von Wolfgang Grams' Notarztvesorgung beispielsweise war für sie von keinerlei Interesse. Den ließen sie auf dem Bahnsteig und den Gleisen liegen. Ein Bahnbediensteter sammelte ihn noch in derselben Nacht ein und schickte ihn ein paar Tage später an das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern. Das BKA, über diesen Fund informiert, gibt am 19. Juli 1993, 22 Tage nach dem Einsatz in Bad Kleinen, die Anweisung diesen Müll zu untersuchen und dabei auf Bundesbahnfahrkarten oder sonstige Gegenstände zu achten, die in dem Verfahren gegen Birgit Hogefeld von Bedeutung sein könnten.
Das, was bei der Beweismittelvernichtung am Tatort und Tattag nicht von Bedeutung war, erhielt seinen Wert wieder bei der Fahndungsarbeit im Verfahren gegen Birgit Hogefeld.
Wir haben uns oft die Frage gestellt, worin die Qualität der Spuenvernichtung durch die Tatortbeamten besteht. Daß eine Serie von Spuren vernichtet werden mußte, und dies auch geschehen ist, ist offensichtlich. Unlogisch erschien uns die offenkundige Nachweisbarkeit der Vernichtung von Beweismitteln. Warum wurden nicht Fakten geschaffen, die hieb- und stichfest waren? Die Perfektion dieser Arbeit des BKA liegt sicher nicht in der Gründlichkeit, mit der diese Vernichtung vertuscht wurde. Das eindrucksvollste und effektivste Ergebnis dieser Arbeit ist die Tatsache, daß so gezielt spezielle Spuren vernichtet wurden, daß die Erschießung von Wolfgang Grams nicht mehr eindeutig rekonstruierbar ist. Und das war der Sinn und die tatsächliche Leistung dieser Spuren- und Ermittlungsarbeit in Bad Kleinen. Sie war der Grundbaustein, die Voraussetzung für die Entlastung der Einsatzkräfte vom Mordvorwurf. Sie wurde gebraucht für die offizielle Selbstmordversion. Daß man dabei ein paar "Fehler im handwerklichen Bereich" zugestehen mußte, blieb letztlich ohne Konsequenzen und war ein einkalkulierbar geringer Preis.

Vernichtung der Spuren an der Hand von Wolfgang Grams

Wenige Stunden nach dem Tod von Wolfgang Grams werden die Spuren an seiner Hand vernichtet, denn eine der ersten Maßnahmen, die vom BKA nach dem Tod von Wolfgang Grams getroffen wurden, war seine "sichere" Identifizierung - obwohl an seiner Identität kein ernsthafter Zweifel mehr bestand. Die Eile, die das BKA dabei an den Tag legte, war absolut unangemessen und unüblich. Es ist eine Grundregel, daß die flüchtigsten Spuren zuerst gesichert werden müssen und die dauerhaftesten zuletzt. Jede andere Spur ist aber flüchtiger als der Fingerabdruck.
Nach seinem Tod in der Universitätsklinik Lübeck wurde Wolfgang Grams' Leiche in einen Kühlraum gebracht. Im Lauf des Abends trafen sechs bis sieben BKA-Beamte in der Klinik ein. Zwei von ihnen gingen, bewaffnet mit einer Fotoausrüstung, zusammen mit dem diensthabenden Arzt in den Kühlraum, um die Identifizierung durchzuführen. Diese beiden Beamten waren direkt vom Tatort Bad Kleinen gekommen. Zwischenzeitlich hatten die BKA-Beamten schon die Kollegen von der Lübecker Polizei, die zur Vornahme der Leichenschau in die Klinik gekommen waren, wieder nach Hause geschickt - "unter Verkennung der durch den Tod von GRAMS zwischenzeitlich begründeten Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Schwerin". 20 Man kann es wirklich nur bedauern, daß sich die Lübecker Beamten von den Chefs aus Wiesbaden so schnell einschüchtern ließen. 21
Der diensthabende Arzt gibt an, daß die rechte Hand mit Blut und mit öliger Schmiere (wahrscheinlich Gleisfett) stark verschmutzt war. Da die BKA-Beamten Fingerabdrücke abnehmen wollten, wusch er beide Hände. Er selbst hat insbesondere die rechte Hand gewaschen und dabei starken Druck ausgeübt. Die linke Hand wurde im wesentlichen von einem der Beamten gewaschen. Die Hände wurden vor dem Waschen nicht einmal fotografiert.
Die Säuberung erfolgte so gründlich, daß bei der Züricher Untersuchung auf sogenannte REM-Tabs, die vor der Obduktion von der rechten Hand abgenommen wurden, nicht einmal mehr Schmauchspuren nachzuweisen waren, obwohl Wolfgang Grams mit dieser Hand mehrfach geschossen hat. Sogar die Fettspuren an seiner Hand waren danach beseitigt. Von diesen Fettspuren hat die Staatsanwaltschaft Schwerin nach Selbstversuchen berichtet, daß sie nur äußerst schwer abzuwaschen sind.
Durch dieses Schrubben der Hand vor jeglicher spurenkundlichen Sicherung und Untersuchung sind etwaige Blutspritzspuren mit Sicherheit entfernt worden. Hätte man sie gefunden, wäre im Zusammenhang mit den Blutspuren an der Waffe ein Selbstmord sehr wahrscheinlich gewesen. Hätte dagegen festgestanden, daß die Hand auch vor der "Säuberung" frei von Blutanhaftungen war, wäre das wiederum ein schwerwiegender Anhaltspunkt für einen Mord gewesen.
Einer der beiden BKA-Beamten hat im Gegensatz zum behandelnden Arzt ausgesagt, daß die Hände bei seinem Eintreffen schon sauber gewesen seien, widersprach sich dann aber, als er behauptete, der Arzt habe "nur" die Innenseite der rechten Hand gereinigt. Der andere BKA-Beamte wurde von der StA Schwerin zu diesem wichtigen Vorgang erst gar nicht vernommen.
Nebenbei: zur Identifizierung hätte es laut Bericht der Bundesregierung lediglich eines Abrucks des rechten Zeigefingers bedurft.
Zur Untersuchung der Kopfschußverletzung wurden auch die Haare abrasiert, allerdings ohne sie zu asservieren. Auch bei der Obduktion am nächsten Morgen unterließen die dort anwesenden BKA-Beamten die Asservierung der Haare. Als Ursache wurde später ein "Mißverständnis" genannt. Diese "Panne" blieb ohne praktische Bedeutung, da durch die Stanzmarke an Wolfgang Grams' Kopf ein aufgesetzter Schuß zweifelsfrei feststand. Wäre der Schuß aber auch nur aus wenigen Zentimetern Entfernung abgegeben worden, hätte ohne die Untersuchung der Haare die Schußentfernung nachträglich nicht mehr bestimmt werden können.

Waffenbeschuß vor Untersuchung

Daß Wolfgang Grams' Waffe noch vor jeder spurenkundlichen Untersuchung am Morgen nach Bad Kleinen vom BKA in Wiesbaden beschossen wurde, wird natürlich von allen beteiligten Stellen, wie auch von der StA Schwerin bestritten.
Laut BKA-Vermerk wurden die Waffen von sechs GSG 9-Beamten sowie von Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams am 28.6.93, also einen Tag nach Bad Kleinen, an die BKA-Abteilung KT 6 zur schußwaffenerkennungsdienstlichen Behandlung übergeben. Bezüglich der Waffen von Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams sollte insbesondere untersucht werden, ob sie schon bei anderen Straftaten benutzt wurden. KT 6 vermerkt noch am gleichen Tag, daß dies zu verneinen sei und bestätigt dies bezüglich der Czeska von Wolfgang Grams auch gutachtlich. In diesem Gutachten heißt es weiter: Die im Betreff genannte Waffe wurde KT 6 zur schußwaffenerkennungsdienstlichen Behandlung am 28.6.93 übergeben und hier beschossen. Sie wurde am 29.6.93 an TB 12 übergeben. In einem Vermerk vom 5.7.93 teilt KT 6 mit, am 28.6.93 seien alle acht Waffen in Empfang genommen worden. Nach der fotografischen Sicherung seien die Waffen kalibergerecht beschossen und am 29.6.93 an TB 12 übergeben worden. Erst TB 12 hatte den Auftrag, die Bereiche der Läufe auf Blut- und Gewebeanhaftungen zu untersuchen.
Am 21.7.93 wird dann in einem Vermerk von KT 31, einer anderen BKA-Abteilung, behauptet, die Waffe von Wolfgang Grams sei anders als die sieben anderen Waffen schon am 28.7.93 zur Spurensuche weitergeleitet worden. Der Grund dafür sei ein entsprechender Telefonanruf der Tatortgruppe Schwerin um 14 Uhr gewesen, just in dem Moment, als man schon alle anderen Waffen beschossen habe und gerade im Begriff war, die von Wolfgang Grams zu beschießen. Interpretationen dieser Behauptung drängen sich auf, vor allem wenn man bedenkt, daß Professor Brinkmanns Spurengutachten, in dem er die Gerinfügigkeit der Blutanhaftungen im Laufinneren hervorhebt, auf den 14.7.93, also eine Woche vorher, datiert.
Wollte man also nicht einen einzelnen Vermerk vom 21.7.93 als allein verbindlich ansehen und alle Vermerke und Gutachten vom Untersuchungstag als falsch, dann bleibt nur der Schluß, daß alle Spurenuntersuchungen erst nach dem Beschuß der Waffe durchgeführt wurden.
Die Bundesregierung muß das ähnlich gesehen haben. In einem Entwurf ihres Zwischenberichts zu den Ereignissen von Bad Kleinen schrieb sie noch:
"Nach Abschluß der (serologischen, d.V.) Untersuchung wurde der Beschuß der Waffe GRAMS' fortgesetzt."
In der veröffentlichten Fassung heißt es dann:
"Nach Abschluß der Untersuchung wurde der Beschuß der Waffe des GRAMS vorgenommen."22

Behinderung der Schweriner Staatsanwaltschaft

Kurz bevor das BKA am 2.7.93 eine weitere Beteiligung an den Ermittlungen wegen eigener Befangenheit ablehnte, hat es noch schnell die Einschaltung des Wissenschaftlichen Dienstes in Zürich in die Wege geleitet - eines Gutachters also, der sich bundesrepublikanischen "Sicherheits"-Interessen schon öfter gewogen gezeigt hat.
Seine Bedenken wegen der eigenen Befangenheit nimmt das BKA dann sehr ernst:

Diese Informationspolitik wurde von der Schweriner Ermittlern denn auch durchaus kritisch, allerdings anonym, gewürdigt: "Sie fragen uns, wir liefern. Aber sagen sie uns erst die Ersatzteilnummer" zitierte Bild am Sonntag einen Staatsanwalt. 23 "Wenig hilfreich sei die Politik des BKA gewesen, nur stückweise und auf Anforderung mit Informationen zu dienen, so einer der Beamten, der lieber nicht genannt werden will." 24 "Ein Fahnder der Schweriner Landespolizei beschreibt das Klima des Mißtrauens: Wir geben keine Informationen mehr an das BKA oder die BAW. Wir verkehren mit denen nur noch über den Staatsanwalt" 25
Der Schachzug des BKA, sich am 2. Juli 93 wegen eigener "Befangenheit" aus den Ermittlungen zurückzuziehen, ist leicht durchschaubar. Die wichtigsten Spuren waren schon vernichtet. Nach Bekanntwerden der Zeugenaussage von Baron am 1. Juli stand das BKA im Rampenlicht der öffentlichen Kritk. Mit der Abgabe der Ermittlungen an das mecklenburg-vorpommernsche LKA war es für deren Fortgang nicht mehr direkt verantwortlich.




  1. Frankfurter Rundschau, 10.7.93
  2. Die Zeit, 9.7.93
  3. Spiegel, 19.7.93
  4. a.a.O.
  5. Stern, 22.7.9
  6. die tageszeitung, 29.7.93
  7. Frankfurter Rundschau, 8.9.93
  8. "Aufklärung durch Videos wird es nicht geben. Zwar sei ein Dokumentationstrupp des BKA mitgereist, aber er soll nach Zacherts Darstellung nicht eingesetzt worden sein. Begründung: Die mobile Situation habe einen solchen Auftrag unmöglich gemacht." Der Spiegel, 9.7.93
  9. Focus, 26.7.93
  10. veröffentlichterZwischenbericht, S.51
  11. Abschlußbericht S. 16
  12. Veröffentlichter Zwischenbericht, S.116
  13. Der Spiegel, 12.7.93
  14. veröffentlichter Zwischenbericht, S. 60
  15. in: KUBE, Edwin [Hrsg.], "Kriminalistik, Handbuch für Praxis und Wissenschaft", Stuttgart 1992, Bd.1, S. 641
  16. "Grundregeln in der Tatortarbeit: (...) Unabdingbar ist daher ein planvolles Vorgehen, das eine gedanklich abgerundete Rekonstruktion eines Geschehensablaufes voraussetzt." in: KUBE, [Hrsg.], a.a.O., S. 508
  17. KUBE [Hrsg] a.a.O., Bd.1, S. 652f
  18. veröffentlichter Zwischenbericht der Bundesregierung S. 65
  19. in: KUBE, [Hrsg.], a.a.O., S. 508
  20. Abschlußbericht, S. 32
  21. Bei der Obduktion am nächsten Morgen ein ähnliches Vorgehen: Die Bundesanwaltschaft erklärte die StA Schwerin für nicht zuständig, obwohl die BAW das Verfahren nach dem Tod von Wolfgang Grams abgeben mußte und dann auch abgegeben hat - als es ihr zu heiß wurde und die wichtigsten Spuren vernichtet waren.
  22. Zwischenbericht, S. 87
  23. Bild am Sonntag, 11.7.93
  24. Wiesbadener Tagblatt,14.7.93
  25. Der Spiegel, 12.7.93