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Im Osten nichts Neues - Über die Normalisierung eines Ressentiments

Inzwischen ist das Jahr 5 der deutschen Einheit begangen worden, und in den staatstragenden Blättern wurde bei dieser Gelegenheit, wie auch bei jeder anderen, darauf hingewiesen, daß der Prozeß der Einheit sich zunehmend normalisiere. Rostock und Hoyerswerda seien nicht wieder vorgekommen, der »Aufschwung Ost« schreite zügig voran und die Wirtschaft habe sich fast erholt. Wenn sich auch größere Ausschreitungen gegen Ausländer unter Beteiligung des Mobs nicht wiederholt haben, so genügt ein Blick auf die vom Frankfurter Archiv für Sozialpolitik zusammengestellten Anschläge, um sich davon zu überzeugen, daß die Aktivitäten der Rechtsradikalen eine andere Qualität bekommen haben. Weniger Großveranstaltungen, dafür mehr Abenteuer an der nächsten Ecke. Jeder kann sich an dem Spiel beteiligen, Ausländern aufzulauern, sie zusammenzuschlagen und zu verschwinden, und wenn man seinen Nächsten zur Hölle wünscht, dann gibt man ihm den Rat, des Nachts mit der Berliner S-Bahn in den Osten zu fahren.

Daß der Mob bei diesem Spiel nicht in seiner eigentlichen Erscheinungsform, nämlich als Masse, zum Zuge kommt, heißt nicht, daß ein Bewußtseinswandel in ihm vorgegangen wäre. Zwei Jahre nach dem Pogrom in Lichtenhagen im August 1992 sind es die damals beinahe massakrierten Vietnamesen, die das Leben danach wieder einigermaßen erträglich gestalten wollen, aber sich an den hartnäckigen und dumpfen Nachbarn die Zähne ausbeißen. »Schön war das nicht«, meinen die Ossis, »aber irgendwie trotzdem in Ordnung, denn jetzt ist Lichtenhagen fast ausländerfrei.« Und warum sollten sie auch ihre Meinung ändern, haben sie doch auf der ganze Linie gesiegt?

Die Zähigkeit des kleinen Mannes, an seiner Auffassung festzuhalten, ist ein fester Garant dafür, daß ein Pogrom jederzeit wieder möglich ist, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorhanden sind, und auch wenn sie nicht vorhanden sind, würde es nicht von Weitblick zeugen, sich darauf zu verlassen, daß nichts passiert.

Diese Zähigkeit der Ossis bürgt außerdem dafür, daß sich auch sonst kaum etwas verändert hat im Land der »ostdeutschen Mitläufer« (Mathias Wedel). Die DDR-Nostalgie hat zugenommen, wehmütig erinnert man sich an die vielen schönen Errungenschaften des alten Systems, die Meinungsfreiheit in Form der früher nicht erhältlichen Westpresse interessiert den Ossi nicht mehr, seit sie an jedem Kiosk zu haben ist, immer noch ist die Rede von den West-Kolonisatoren, die wie eine Dampfwalze das Land plattgemacht hätten, und immer noch quengeln und nörgeln die Ossis, weil die D-Mark nicht reichlich und schnell genug in ihre Taschen fließt, um die schon fünf Jahre alte Polstersesselgarnitur erneuern und einen Fernseher mit größerem Bildschirm anzuschaffen zu können.

Wenn einer mit dieser psychischen Disposition Politiker wird, dann heißt er beispielsweise Wolfgang Templin, der ähnlich wie seine Volksgenossen von einem Extrem zum anderen schwankt. Anfang der siebziger Jahre war Templin Stasimitarbeiter, dann Trotzkist und schließlich Friedensexperte, als der er dann zum Bundessprecher von Bündnis 90/Grüne aufstieg. Heute schreibt er für die »Junge Freiheit« und unterzeichnete den »Berliner Appell«, um arme und zerbrechliche Konservative zu schützen, auf die die vereinigte Linke zur Hexenjagd geblasen hat. Stimmungsschwankungen garantieren jedoch noch keinen Erfolg, wenn nicht die richtige Resonanz vorhanden ist, wie sie Regine Hildebrandt hervorzurufen weiß, wenn sie entgegen Bundesrichtlinien darauf besteht, Flüchtlingen die Sozialhilfe nicht in bar, sondern nur in Form von sogenannten »Sachleistungen« auszuzahlen. Als »Volkes Stimmgabel« (Gerhard Henschel) hat sie das Vorurteil vom »kriminellen Wirtschaftsasylanten« zum Schwingen gebracht. Die Ossis wissen es ihr zu danken, ihre Popularität steigt.

Aber gibt es nicht auch im Westen eklige Politiker zuhauf? Es gibt. Aber Regine Hildebrandt verkörpert den verkniffenen, verbissenen, verbiesterten und verbitterten Typus, der im Westen seit den vierziger Jahren ausgestorben ist. Sie repräsentiert auf ideale Weise die Trümmerfrau und das nicht nur metaphorisch, denn für sie liegt die DDR tatsächlich in Trümmern, weshalb Regine Hildebrandt ständig anpacken, aufräumen und putzen muß. Die Sekundärtugenden Ausdauer, Zähigkeit, bedingungs- und besinnungslose Arbeitswut, die Kohl an den Trümmerfrauen so lobte, haben sich in ihr Gesicht gegraben, spiegeln sich in ihrer fanatischen Gestik, in ihrem puritanischen Habitus. Sofort und widerspruchslos glaubt man ihr, daß Kartoffelsuppe-Essen eine Tugend und jegliches Vergnügen des Teufels ist. »In Bonn«, sagt sie, »bin ich plötzlich das Lieschen vom Lande«, in Brandenburg jedoch ist sie die heilige Johanna der Schlachthöfe, die im Westen keine Chance hätte, jedenfalls nicht im öffentlichen Leben. Dort heißen die Kotzbrocken Markwort, und der Name sagt bereits alles.

Was seit den Wiedervereinigungswirren nun stattfindet, läßt sich vielleicht als Verpuppung des Ossis bezeichnen, als eine Art Abkapselung, in der er seine Konsequenzen daraus zieht, nicht verstanden, nicht genügend beachtet und sowieso nur betrogen und belogen worden zu sein. Das heißt, er konserviert und kultiviert sein Ressentiment gegen den Westen, sein Protest ist stumm und anklagend: »Seht her, was ihr aus uns gemacht habt. Durch euer unmenschliches System habt ihr uns unserer Identität und unserer Biographien beraubt.« Von der Parole »Wir sind ein Volk« mag keiner mehr etwas wissen, und gerade diese Tatsache, daß sie nicht an den Beginn ihrer Niederlage erinnert werden wollen, weist darauf hin, daß sie es inzwischen geworden sind. Die Ossis legen Wert darauf, nicht als »Deutsche«, sondern als »Ostdeutsche« verstanden zu werden, die Abneigung gegenüber den Wessis hat in den letzten Jahren zugenommen, und selbst die freie Marktwirtschaft hat sich alle Sympathien bei den Ossis verscherzt, die sich nach fünf Jahren Einheit ausgerechnet aus Gründen der Menschlichkeit wieder eine Planwirtschaft wünschen.

Diese von Allensbach monatlich erforschte psychische Befindlichkeit des Ossis wird als Anzeichen der »Normalisierung« gewertet, einer Normalisierung jedoch, die darin besteht, daß Rassismus und Ressentiment gesellschaftlicher Konsens werden und niemand mehr daran Anstoß nimmt. Einiges spricht also dafür, daß unter diesen Voraussetzungen der folgende »Vorschlag zur Güte« ernsthaft erwogen werden sollte. Aber wahrscheinlich hört wieder mal kein Schwein zu.



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