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Bremer Stellungnahme z.d. Durchsuchungen


  • Subject: Bremer Stellungnahme z.d. Durchsuchungen
  • From: SPINNE_HB@p9.f99.n1.z69.sn.nadir.org (SPINNE HB)
  • Date: 07 Jul 1995 11:22:00 +0000

  • 
    
    
    
    +++++ weitergeleitet am Fr, den 07.07.95 von SpinnenNetz Bremen +++++++
    
    
    *Eine Prise Staatsschutz*
    Bremer Stellungnahme zu den bundesweiten Hausdurchsuchungen am 13.6.'95
    
    Am Dienstag, dem 13 Juni wurden in mehreren Staedten mindestens 80 Wohnungen, 
    Arbeitsstaetten und Laeden durchsucht. Als Vorwand dienten der 
    Bundesanwaltschaft(BAW) Durchsuchungs- und Haftbefehle nach ^U 129 und 
    ^U 129a (Werbung-, Unterstuetzung fuer- und Mitgliedschaft in einer 
    "kriminellen" und/oder "terroristischen" Vereinigung). Konkret ging es 
    bei den Duchsuchungen um mindestens 3 verschiedene Komplexe: Unterstuetzung 
    bzw. Mitgliedschaft in den "Antiimperialistischen Zellen"(AIZ), denen 
    verschiedene Anschlaege in den letzten 2 Jahren zur Last gelegt werden, 
    Unterstuetzung oder Mitgliedschaft in der Gruppe K.O.M.I.T.E.E., der ein 
    missglueckter Anschlag auf den Neubau eines Abschiebegefaengnisses in Berlin 
    und ein weiterer Anschlag auf eine Bundeswehrkaserne zugerechnet wird und 
    als dritter Punkt den Vertrieb und die Herstellung der Zeitschrift "radikal", 
    verbunden mit Werbung und Unterstuetzung von "terrorisischen Vereinigungen". 
    
    Die in den Wohnungen oder Laeden angetroffenen Personen wurden von 
    Sondereinsatzkommandos um 6.00 morgens vorlaeufig festgesetzt. Fast ueberall 
    wurden bei dem Eindringen dieser Sondereinsatzkommandos saemtliche Tueren 
    zerstoert, die Maenner und Frauen wurden unter Waffengewalt von vermummten 
    und mit schusssicheren Westen ausgestatteten Polizisten gefesselt und der 
    Bundesanwaltschaft und dem Bundeskriminalamt uebergeben. Dabei wurden auch 
    Kinder mit vorgehaltener Waffe bedroht und terrorisiert. Beschlagnahmt 
    wurden in den durchsuchten Wohnungen und Laeden Computer, Disketten, 
    Kommunikationsmittel wie Telefax und Mobiltelefone, persoenliche Unterlagen, 
    Briefe, Fotos und politische Texte usw. Mit den Unterlagen vom 
    Grundbuchamt wurden die Wohnungen vom BKA nachgemessen, um so eventuell 
    vorhandene Zwischenwaende aufspueren zu koennen. In einem Fall in Bremen 
    wurde die Stahltuer einer Wohnung vom Sondereinsatzkommando aufgesprengt. 
    Die Folgen der Eingriffe in die politische Arbeit der Maenner und Frauen 
    sind noch nicht genau abzusehen, ebensowenig wie weit mit diesen 
    Durchsuchungen und der damit verbundenen Beschlagnahmungen z.B. 
    erwerbstaetige Arbeit beruehrt wird. Die Aktion der Bundesanwaltschaft war 
    zielgerichtet. Sie diente sowohl zum Auffinden von Personen zwecks 
    Vorfuehrung beim Haftrichter, als auch dem Aufspueren von strukturellen 
    Zusammenhaengen in den Staedten. Die Persoenlichkeit und der einzelne 
    Zusammenhang innerhalb der linksradikalen Bewegung sollte auf das 
    genaueste ausspioniert werden. Dafuer wurde alles, was von Interesse sein 
    koennte beschlagnahmt: Bankauszuege, um zu erforschen, wovon einzelne Leute 
    leben, Tagebuecher, Buecher und Broschueren in denen einzelne Textpassagen 
    unterstrichen sind, um detaillierter zu erfahren, womit sich einzelne 
    beschaeftigen, was sie moeglicherweise auch nur bewegt, Fotos und persoenliche 
    Briefe von Eltern, Verwandten und FreundInnen, Telefonbuecher und 
    Adressenlisten.
    
    4 Leute aus verschiedenen Staedten wurden noch am selben Tag zum 
    Haftrichter nach Karlsruhe geflogen. Zur Zeit sind alle 4 im Knast und 
    den ueblichen Sonderhaftbedingungen fuer politische Gefangene ausgesetzt. 
    Die vier Maenner wurden auf verschiedene Gefaengnisse verteilt: 
    Heinzheim, Karlsruhe, Rastatt und Bruchsal. 
    Ein Vorwand - neben der Mitgliedschaft in einer kriminellen/terroristischen 
    Vereinigung wie AIZ und K.O.M.I.T.E.E. - ist der Vorwurf der 
    redaktionellen Mitarbeit und Verbreitung der linken Zeitschrift "radikal". 
    Die neue Dimension dieser Aktion ist, dass Redaktionsarbeit selber zur 
    Taetigkeit einer "kriminellen Vereinigung", deren Zweck das Begehen von 
    Straftaten sei, stilisiert wird. Dies koennte Auswirkungen auf alle 
    linken und feministischen Veroeffentlichungen haben. Damit wird die 
    bundesdeutsche Gesinnungsjustiz und ihr Charakter deutlich: 
    Immer wieder werden politische Menschen aus ihren Zusammenhaengen 
    herausgerissen und jahrelang hinter Gitter, Stahlbeton und 
    Glasbausteine gesperrt. 
    Mit den ^U^U 129 und 129a wird jede Schueffelei und Aushorchung und die 
    Gewalt des Staates legitimiert. Gleichzeitig werden damit den 
    verschiedenen Polizeien der einzelnen Bundeslaender und dem 
    Verfassungsschutz viele weitere Gruende fuer Drangsalierung und 
    Ermittlungstaetigkeiten gegeben.
    Die jetzige Durchsuchungs- und Festnahmeaktion legitimiert dann auch 
    im Nachhinein die teils jahrelange Observation und Telefonueberwachung 
    einzelner aus den linksradikalen Zusammenhaengen. Und es schafft die 
    Voraussetzung fuer jede weitere Massnahme der Bundesanwaltschaft 
    in der Zukunft. Kaum eineR wird jemals so richtig fassen koennen, 
    was sich die Herren und Damen der obersten bundesdeutschen 
    Strafverfolgungsinstanz in ihren Gesinnungshirnen ausdenken, wie sie 
    die "neuen Erkenntnisse" umsetzen und mit welchen Mitteln sie zu 
    ihren naechsten Schlaegen gegen die verschiedenen Widerstandsstroemungen 
    ausholen werden. 
    Ansonsten: Fuer viele ist es noch voellig offen, ob und wie gegen 
    sie ermittelt wird, ob sie "Beschuldigte" oder ZeugInnen werden 
    sollen, oder ob ihre Ermittlungsverfahren irgendwann klammheimlich 
    eingestellt werden.
    
    *Zu den Durchsuchungen im einzelnen (kein Anspruch auf Vollstaendigkeit):*
    In Bremen wurden 7 Wohungen, 5 Laeden und Arbeitsstellen wegen der 
    Zeitschrift "radikal" und den AIZ durchsucht. 8 Personen sind 
    direkt von den Ermittlungen betroffen. Nur in zwei Faellen wurden 
    Begruendungen fuer die Durchsuchungen vorgelegt. Die Ermittlungen 
    gegen 5 Maenner und Frauen richten sich gegen die Zeitschrift "radikal"; 
    bei den drei  anderen wird wegen des Verdachtes der Mitgliedschaft 
    in den AIZ ermittelt - konkret geht es um den "Anschlag" auf die 
    FDP-Zentrale in Bremen vom 26. o9. 1994. Wie bei den Durchsuchungen 
    nach den ^U^U 129 und 129a ueblich, wurde auch das vermeintliche 
    "naehere Umfeld" der Betroffenen ausspioniert. 
    So wurden dann der Frauenbuchladen Hagazussa, der Infoladen "Umschlagplatz", 
    der BBA-Infoladen und eine Praxistherapiegemeinschaft durchsucht. 
    In dieser Praxis wurden ebenso die Computer und Zubehoer beschlagnahmt. 
    Damit verfuegt die Bundesanwaltschaft ueber intime und persoenliche 
    Patientinnendaten.
    
    In Hamburg sind 15 Wohnungen und Arbeitsstellen betroffen. Alle 
    Betroffenen wurden zuerst in verschiedene Polizeiwachen verschleppt 
    und anschliessend im Polizeihochhaus am Berliner Tor erkennungsdienstlich(ED) 
    behandelt. Die Vorwuerfe in HH waren zum einen die Unterstuetzung und 
    Herstellung der Zeitschrift "radikal" und zum anderen die Unterstuetzung 
    und Mitglieschaft in den AIZ. Im Falle der AIZ ermittelt die 
    Bundesanwaltschaft wegen eines Anschlages auf das Rechtshaus der 
    Uni Hamburg 1992. Die Tatsache, dass einige der Beschuldigten in 
    Hamburg Jura studieren oder Leute kennen, die dies tun, reicht 
    offensichtlich als Begruendung fuer die Durchsuchungen.
    
    In Berlin wurden 5 Wohungen und 2 Haeuser durchsucht, hauptsaechlich 
    wegen der Zeitschrift "radikal" und wegen der Gruppe K.O.M.I.T.E.E. 
    Eine Person wurde in Berlin verhaftet. 
    
    In Oldenburg wurde eine und in Koeln wurden 5 Wohnungen, das Anti-Cafe, 
    ein Infoladen, das Archiv Radikal und der Frauenraum durchsucht. 
    
    In Muenster wurden 5 Wohnungen durchsucht, dabei wurde eine Person 
    festgenommen.
    
    In Luebeck wurden 4 Personen festgenommen, drei nach der ED-Behandlung 
    wieder freigelassen. Durchsucht wurden das Arbeitslosenzentrum, 
    drei Bauwagen, eine Schreinerei und ein Elektrobetrieb.
    
    In Neumuenster wurden die Raeume des Informationsdienstes Schleswig-Holstein 
    leergeraeumt.
    
    In Rendsburg wurde eine Person verhaftet und nach Karlsruhe geflogen. 
    
    *Eine eindeutige Warnung - ein eindeutiges Signal*
    Die Durchsuchungen und Festnahmen waren lange vorbereitete Aktionen 
    der Bundesanwaltschaft. Wie inzwischen bekannt ist, wird seit mindestens 
    1993 gegen den Komplex "radikal" ermittelt; in den beiden anderen 
    seit 1994. Was mittels der 3 Komplexe auf den ersten Blick wie 
    "Quer-Beet" ausschaut, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als eine 
    wohldurchdachte Strategie der Bundesanwaltschaft. 
    Mit dem Gesamten - "radikal", AIZ und K.O.M.I.T.E.E. - soll in der 
    Oeffentlichkeit der Eindruck entstehen, als existiere eine 
    gefaehrliche "Allianz terroristischer und krimineller Gruppen" 
    in der Bundesrepublik. Tatsaechlich sieht es ganz anders aus: 
    Das eine ist eine Zeitung, und das andere sind militante Gruppen. 
    Beide verstehen sich als Teile der linksradikalen Strukturen. 
    Damit wird auch deutlich, um was es den Bundesbehoerden mit den 
    Durchsuchungen und Festnahmen geht. So soll eine Bewegung eingeschuechtert 
    und verunsichert, einzelne kriminalisiert und die Zeitung "radikal" 
    in ihrer politischen Arbeit zerschlagen werden. Durch den 
    mediengerechten Verkauf der Aktion der Bundesanwaltschaft als 
    "Schlag gegen den Linksextremismus" soll wieder einmal von den 
    wirklichen Verhaeltnissen und Gefahren, die von der Politik der 
    Bundesregierung ausgehen, abgelenkt werden. Diese Regierung 
    will freie Hand fuer ihre Kriege, z. B. im ehemaligen Jugoslawien, 
    und den staatlichen Rassismus. Das Konstrukt der "Gefahr von Links" 
    soll die dafuer noetige Friedhofsruhe liefern. Nicht mit uns!
    
    Sofortige Freilassung der Inhaftierten!
    Rueckgabe aller beschlagnahmten Gegenstaende!
    Einstellung aller Ermittlungsverfahren!
    Weg mit den ^U^U 129 und 129a!
    Fuer freie politische Kommunikation!
    Und:
    Keine Aussagen - nirgendwo!
    Keine Spekulationen ueber irgendetwas und irgendwen!
    
    Spendet auf unser Solidaritaetskonto:
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    Bremen, 24. Juni '95 - Bremer Solidaritaetskomitee 
    - St. Paulistr. 10/12 - 28203 Bremen
                                            
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