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Mon Jun 11 11:32:13 2001
 

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Der Landkonflikt wird öffentlich

Der Coup ist geglückt. Ohne Blutvergießen übernehmen die Villistas die Kontrolle über Liquidambar. Widerstandslos ergeben sich die 13 Aufpasser und Wachleute der Finca, werden gefesselt und im Verwaltungsgebäude eingesperrt. Ebenso ergeht es dem Verwalter Gerardo Saenger, der seinen unfreiwilligen Aufenthalt später nicht ohne Humor und in Anspielung auf Wochenendangebote mexikanischer Reiseveranstalter folgendermaßen kommentiert: »Es war wie eine Pauschalreise nach Acapulco, drei Tage und zwei Nächte im Paket.«

Während am nächsten Tag ein Sprecher des chiapanekischen Justizministeriums den friedlichen Charakter der Besetzung bestätigt und der Presse die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit der Aktennr. 1725-CAJ 4-94 wegen Diebstahls, Plünderung und Freiheitsberaubung verkündet, treten die Finca-Besitzer an die Öffentlichkeit. Laurenz Heribert Hudler Lindemann, Bevollmächtigter und Ehegatte der Plantagen-Herrin Marianne Schimpf, und Guillermo Escudero, Geschäftspartner der Familie und Präsident der Nationalen Union der Kaffee-produzenten (UNPC), fordern das Eingreifen des Gouverneurs. Zu dieser Zeit sind schon verschiedene Pressevertreter auf dem Weg nach Liquidambar. Journalisten der chiapanekischen Zeitungen TIEMPO und EXPRESO, sowie der überregionalen LA JORNADA waren von der Unión Campesina Popular Francisco Villa gebeten worden, zu vermittteln.

Bereits Kilometer unterhalb der besetzten Plantage passieren die Journalisten eine erste Straßensperre. Hinter dem letzten Haus in Nueva Palestina, wo die holprige Durchgangsstraße über eine kleine Brücke führt und sich schlängelnd in den Hügeln der Sierra Madre von Chiapas verliert, ist ein Seil gespannt. Im Schatten einiger Bäume, die vor der unbarmherzigen Mittagshitze Schutz bieten, hat sich auf einem wohl schon seit Jahren dort liegenden Baumstamm ein Dutzend Menschen niedergelassen. Überwiegend Frauen sind es, die an dieser Stelle den Kontrollposten der Villistas bewachen. Plaudernd, mit Säuglingen in den vor die Brust gespannten Tragetüchern, kontrollieren sie den Weg, der an der Finca Montegrande vorbei zum Ejido Nueva Colombia und nach Liquidambar führt. Viele Fahrzeuge sind es nicht, die von hier aus zu den entlegenen Siedlungen aufbrechen. Die Nachricht von der Besetzung der Finca hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet, und die fliegenden Händler, sonst immer geschäftig, um ihre Ware den BewohnerInnen der Plantagen und Siedlungen feilzubieten, meiden nun die Gegend. Doch ab und zu hält ein LKW, auf dessen Ladefläche sich arbeitsuchende Familien drängen, am Kontrollpunkt. Nur nach eingehender Befragung nach dem Ziel der Reise und gründlicher Durchsuchung darf die Fahrt fortgesetzt werden. Die Villistas sind auf der Hut. Schließlich wäre es nicht das erste Mal, daß eine besetzte Finca mit Hilfe angeheuerter Pistoleros, getarnt als einfache Campesinos, geräumt würde. Zu viele Menschen haben bei derartigen Überfällen ihr Leben verloren. Aber auch Schnaps wird beschlagnahmt und vor den Augen aller ausgegossen. Ebenso wie in den von der EZLN kontrollierten Gebieten gilt nun auch hier ein striktes Alkoholverbot. Streitigkeiten unter Betrunkenen sollen so unterbunden und das Geld für dringende Einkäufe, Lebensmittel und Kleidung verwendet werden. Diese Maßnahme geht besonders auf den Druck der Frauen zurück. Schließlich haben sie am meisten unter den Folgen exzessiven Alkoholgenusses zu leiden, da sich der Zorn ihrer Ehemänner über die bedrückenden Lebensbedingungen dann oftmals gegen sie richtet.

Auch die kleine Gruppe der Journalisten wird erst nach eingehender Inspektion durchgelassen. Mit revolutionären Parolen werden sie dann, nach einigen Kilometer auf staubigen Feldwegen, im Herzen der Plantage Liquidambar empfangen. Ein seltsamer Geruch liegt in der Luft. Schon auf der Fahrt, wenige Kilometer von der Finca entfernt, war dieser seltsam faulig-süßliche, fast an geronnene Milch erinnernde Duft aufgefallen. Doch hier, wo die reifen Kaffeekirschen in einem Labyrinth dutzender Kanäle zu den Schälmaschinen befördert werden, ist er besonders ausgeprägt. Obwohl die Erntezeit noch nicht begonnen hat, erst im November wird sie einsetzen, verströmen die rauschenden, sich aus Quellen der umliegenden Berge speisenden Wasserwege den eigentümlichen Hauch.

Die Villistas führen die kleine Schar der Journalisten über die Plantage. In der Siedlung der Angestellten beginnt der Rundgang. Der Rangordnung im Betrieb entsprechend liegen oberhalb die Steinhäuschen der Vorarbeiter, ausgestattet mit fließendem Wasser, Duschen und Toiletten. Nicht weit von einer im Zentrum erbauten kleinen Kapelle entfernt liegt das kleine Gefängnis der Finca. In die zwei Zellen wurden aufmüpfige Campesinos gesperrt, wenn sie sich, meist in betrunkenem Zustand am arbeitsfreien Sonntag, gegen die Verhältnisse auflehnten. Etwas weiter unterhalb liegen die großen Baracken, im Volksmund Galleras, zu deutsch: Hühnerställe, oder auch unmißverständlich Galeras, übersetzt: Galeeren, genannt. In diesen zugigen und ungesunden Behausungen wurden während der Ernteperioden über mehrere Monate bis zu 2000 Menschen untergebracht. Dicht an dicht drängten sich hier, in den zehn Meter breiten und dreimal so langen Scheunen, nach der Mühsal des Tages die Familien auf Holzpritschen, nur durch aufgespannte Tücher von ihren »Bettnachbarn« getrennt. Bis zu hundertfünfzig Menschen, Männer, Frauen und Kinder, wurden hier zusammengepfercht. Krankheiten, nicht zuletzt durch die schlechte und mangelhafte Ernährung hervorgerufen, breiteten sich in Windeseile aus. Sanitäre Anlagen oder Klos gibt es nicht. Doch nun sind die Baracken verlassen, niemand will hier freiwillig wohnen. Die Familien der Landbesetzer sind in die Häuser der Vorarbeiter gezogen.

Pedro, Sprecher der Unión Campesino Popular Francisco Villa, erklärt die Ziele der UCPFV. Seine Organisation trete für eine Veränderung der Lebensbedingungen der ArbeiterInnen ein: »Wir schaffen eine neue Realität, gegen Ausbeutung, Polizeiwillkür und Terror der Guardias Blancas.« Besonders letztere, die als Weiße Garden bekannt gewordenen Söldnertruppen der Großgrundbesitzer, werden gefürchtet. Gerade in der Sierra Madre sei, fährt Pedro fort, die Vernetzung der Finqueros mit Funktionären der Staatspartei PRI, Polizeikommandanten und eben diesen Killerkommandos besonders stark. Daher sei es auch so schwer gewesen, eine Campesino-Bewegung aufzubauen. Doch nun werde sich alles ändern: »Wir haben uns entschieden. Vielleicht werden wir wirtschaftlich zunächst schlechter dastehen. Aber Diskriminierung wird es nicht mehr geben. ''Schmutzige Indios'' haben sie uns genannt, damit ist nun Schluß!«

Der Rundgang auf Liquidambar ist zu Ende und die Gruppe Journalisten macht sich auf die Rückreise. Doch nach wenigen hundert Metern kommt der kleine Konvoi zum Stehen. Eine Kleinigkeit soll den Reportern nicht vorenthalten werden. Nicht weit entfernt vom Schotterweg, inmitten dichten Gestrüpps unzähliger Büsche und Sträucher versteckt, befindet sich ein kleiner Friedhof. Holzkreuze ohne Namen und Daten bezeugen stumm das Ende der Leidenswege unbekannter TagelöhnerInnen. Menschen, die ohne Familien gekommen waren, zumeist Wanderarbeiter aus Guatemala, El Salvador und Nicaragua, liegen hier verscharrt.



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