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Von U-Booten und Nazis

So war es nicht die Agrarreform, die die Macht der deutschen Kaffeebarone in Chiapas ernsthaft gefährdete, sondern die Kriegspolitik des nationalsozialistischen Deutschlands. Am 2. Juni 1942 erklärte Mexiko als Teil der Alliierten dem Dritten Deutschen Reich, Italien und Japan den Krieg, nachdem deutsche Kriegsschiffe zwei mexikanische Öltanker angegriffen hatten. Mit den diplomatischen Beziehungen war es zwischen Deutschland und Mexiko nach der mexikanischen Unterstützung der Spanischen Republik von 1936 bis 1939 und des offenherzigen Asylangebotes an verfolgte antifaschistische Widerstandskämpfer durch Cárdenas ohnehin nicht weit her. Die Kriegserklärung machte die deutsche Kolonie zum »inneren Feind« Mexikos, und dies sollte weitreichende Auswirkungen für sie haben.

Die große Mehrheit der deutschen Geschäftsleute und Fabrikanten, die die alteingesessene Kolonie in Mexiko bildeten, verhielten sich 1933 begeistert oder zumindest loyal gegenüber den neuen Machthabern in Berlin. Die vom deutschen Konsulat in Mexiko-Stadt publizierte »Deutsche Zeitung von Mexiko« schwelgte in Lobeshymnen über das endlich wiedererwachte Deutsche Reich. Im Deutschen Klub von Tapachula war man sich ebenfalls weitgehend einig und stieß auf die NSDAP und ihren Führer an. Zu besonderen Anlässen wie dem Führer-Geburtstag, dem »Anschluß« Österreichs am 13. März 1938 oder der Besetzung Singapurs durch das befreundete Japan wurde hier im großen Stil gefeiert. Nachrichten vom »Führer« fanden über eine Radiostation Verbreitung auf den Kaffeeplantagen und die Hakenkreuzflagge wurde mindestens so hoch gehängt wie die mexikanische Fahne.

1938 fand das Treiben im Deutschen Klub von Tapachula allerdings ein abruptes Ende, als er von Unbekannten niedergebrannt wurde. Möglicherweise stand der Brand in Tapachula in Verbindung mit der Verwicklung deutscher Kaffeebarone in einen rechtsgerichteten Putschversuch gegen Präsident Cárdenas im Mai 1938. Der einflußreiche General Saturino Cedillo mobilisierte damals Truppen gegen Präsident Cárdenas und erhielt dabei Unterstützung durch reaktionäre Teile der mexikanischen Bourgeoisie und wohl auch von Vertretern der erst kurz zuvor gegen heftige Widerstände von Cárdenas enteigneten Ölgesellschaften. Auch einige deutschen Kaffeepflanzer aus Chiapas scheinen mitkonspiriert und den Putsch unterstützt zu haben. Der antifaschistische Präsident der Agrarreform war ihnen zutiefst verhaßt.

In einem Dokument, das nationalsozialistische Aktivitäten in Lateinamerika aufdeckt, erklärte der Jüdische Weltkongreß 1938: »Das Reich ist sehr aktiv in Guatemala, dessen Diktator Ubico ein großer Bewunderer des Führers ist. Die Grenzregion zu Mexiko ist in Händen deutscher Plantagenbesitzer, die sich natürlich gut mit ihren Nachbarn, den Großgrundbesitzern in Mexiko, verstehen. Ihre gemeinsamen Sympathien gelten dem Diktator Ubico, einem Feind des demokratischen mexikanischen Präsidenten Cárdenas. Seit Herbst 1937 werden beeindruckende Mengen von Kriegsmaterial aus Deutschland und Italien auf diesen Plantagen angesammelt. Es sind genau diese Waffen, die dem Putsch des mexikanischen Generals Cedillo im Mai 1938 gedient haben. Es war außerdem möglich zu ermitteln, daß ein Vertrauter Cedillos, ein gewisser Baron von Merck, ehemaliger Offizier der deutschen Armee, von der Gestapo geführt wird und in Verbindung mit Nazi-Gruppen aus Mexiko und den USA steht.«

Abgesehen von dieser Episode warf die mexikanische Regierung den deutschen Kaffee-Finqueros vor, in Funkkontakt mit japanischen und deutschen U-Booten zu stehen, die vor der mexikanischen Pazifikküste kreuzten. Wie tief die Verwicklungen der deutschen Kolonie in den Putsch gegen Cárdenas und wie eng die Verbindungen mit der nationalsozialistischen Einflußnahme in Mexiko gewesen sein mögen, kann letztlich heute nicht mehr genau nachvollzogen werden. Sicher ist jedoch, daß nach dem Kriegseintritt Mexikos die Deutschen in Chiapas der mexikanischen Regierung gefährlich genug erschienen, um mit einem entscheidenden Schlag gegen sie vorzugehen: Ihr Eigentum an der Pazifikküste wurde beschlagnahmt und die Angehörigen der Kolonie in Mexiko-Stadt und Veracruz vorübergehend interniert.

Am 11. Juni 1942 erließ Präsident Avila Camacho ein Dekret, durch das er 77 Kaffeeplantagen in Chiapas, drei in Oaxaca und ein Aufbereitungsunternehmen in Orizaba konfiszierte. Die Fincas im Wert von über zwölf Millionen Pesos standen nun unter der Verwaltung einer staatlichen Treuhandgesellschaft. Zum ersten Mal seit ihrer Ansiedlung hatten die deutschen Kaffeepflanzer in Chiapas ein existenzielles Problem. Doch so schnell gaben sie sich nicht geschlagen. Von Mexiko-Stadt aus beobachteten sie den Gang der Dinge und versuchten, Einfluß zu nehmen. Dabei kam ihnen zupaß, daß die mexikanische Regierung keinerlei Interesse an der Aufteilung der Plantagen oder einer Übertragung des Landes an die umliegenden Ejidos zeigte. Im Gegenteil: Die cardenistische Agrarreform war längst passé und die Regierung setzte alles daran, die Produktion auf den Plantagen ungestört weiterlaufen zu lassen. Schließlich brachte der Kaffee aus Chiapas gute Devisen ein. So kam es, daß die Plantagen im Kern als Produktionseinheiten erhalten blieben und sogar deutsche Fachkräfte weiter angestellt wurden. Immerhin erreichten einige Ejidos, daß ihnen in den Jahren des Krieges lange eingefordertes Land von den Plantagen der Deutschen übertragen wurde.

Ein Großteil der deutschen Kolonisten gab, wie sich zeigen sollte zu Recht, die Aussicht auf eine Rückgabe der Kaffeeplantagen nicht auf und hielt sich in Mexiko-Stadt in Wartestellung. Doch wie schon während des Ersten Weltkriegs eilte auch so mancher Wehrtaugliche während des Zweiten Weltkriegs nach Deutschland zur Fahne. Allerdings hielten nicht alle deutschen Kolonisten die Reihen fest geschlossen hinter Führer, Volk und Vaterland. Zumindet eine rühmliche Ausnahme ist bekannt: Juan Lüttmann, einer der größten Plantagen-besitzer, machte aus seiner Abneigung gegen die Nazis kein Hehl. Er soll den Alliierten sogar ein Flugzeug geschenkt und mit dem nordamerikanischen Außenministerium zusammengearbeitet haben. Die Nazis in Deutschland rächten sich an ihm, indem sie sein Schloß samt Ländereien, die er in Deutschland besaß, enteigneten. Dafür blieben die Kaffeeplantagen im Soconusco während des Krieges in seinem Besitz, was Juan Carlos Lüttmann vorgezogen haben dürfte. Lüttmann scheint auch sonst der bunte Vogel im braunen Nest der deutschen Kolonie gewesen zu sein. Statt in Deutschland zu studieren, zog er es vor, eine Universität in den USA zu besuchen. Und statt einem dumpfen großdeutschen Hurrapatriotismus zu huldigen, führte er ein weltoffenes Leben. Auf seinen Plantagen herrschten allerdings die gleichen Arbeitsbedingungen wie auf denen seiner Nachbarn.



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