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Kaffee-Boom und Kommunismus

Die Revolution hatte den Großgrundgundbesitz in Chiapas zwar zunächst weitgehend unangetastet gelassen, doch unverkennbar waren neue Zeiten angebrochen. Der Bürgerkrieg hatte Mexiko grundlegend verändert und neue politische Verhältnisse geschaffen. Die Machtbalance der autoritären Herrschaft Porfirio Díaz' war zerstört worden, und neue politische Akteure traten auf den Plan. In Zentralmexiko konnten die neuen Machthaber den zapatistischen Bauernaufstand nur befrieden, indem sie eine begrenzte Agrarreform durchführten und den Großgrundbesitz beschnitten. Aber auch außerhalb der Einflußzone des zentralmexikanischen Zapatismus regte sich nun eine unabhängige Landarbeiterbewegung. Im Soconusco brach der erste Streik auf einer Plantage bereits 1918 aus. Die Streikenden forderten die Abschaffung der Schuldknechtschaft, die Auflösung der Tiendas de Raya, Lohnerhöhung, Schulbildung und Gesundheitsversorgung. Von nun an sollten die Kaffeeplantagen für über zwei Jahrzehnte nicht mehr zur Ruhe kommen. Eine immer selbstbewußtere Landarbeiterbewegung kämpfte um ihre Rechte. Die Großgrundbesitzer reagierten mit Repression und dem Aufbau der Guardias Blancas, der »Weißen Garden«, die Dutzende von Aktivisten der neugegründeten Gewerkschaften ermordeten.

Die politischen Machtverhältnisse in Chiapas waren in dieser Zeit nicht mehr so statisch wie in den Jahrzehnten zuvor. 1923 hebelte Präsident Obregón den Repräsentanten der alten Oligarchie, Tiburcio Fernández Ruíz, als Gouverneur aus und setzte dafür den eher reformbereiten ehemaligen Revolutionsoffizier Carlos Vidal ein. Unter seiner Herrschaft erhielten die neuen Gewerkschaften einen größeren Spielraum.

Die kapitalistisch organisierte Kaffeeplantagenwirtschaft hatte im Soconusco ein Landproletariat wachsen lassen, das für revolutionäre und kommunistische Ideen empfänglich war. Denn neben den Zehntausenden Erntearbeitern, die jedes Jahr aus den indianischen Dörfern des Hochlands und aus Guatemala auf die Plantagen kamen und nur schwer gewerkschaftlich zu organisieren waren, benötigten die Finqueros auch Arbeitskräfte, die das ganze Jahr über die Plantagen bewirtschafteten. Diese Arbeiter entwickelten bald ein Klassenbewußtsein und interessierten sich zunehmend für vom europäischen Marxismus inspirierte Ideologien. Der Soconusco wurde so eine wichtige Keimzelle für die spätere Kommunistische Partei Mexikos (PCM).

Am 13.Januar1920 gründeten in Motozintla eine Handvoll Intellektuelle zusammen mit einer Gruppe von Landarbeitern die Chiapanekische Sozialistische Partei (PSCH). In ihrem Programm forderten sie die Sozialisierung von Land und Industrie sowie den Kommunismus in Mexiko. Bereits ein Jahr später hatte sich die PSCH in eine Massenbewegung mit Unterstützern im ganzen Soconusco verwandelt. Agitatoren ritten in bewaffneten Gruppen über das Land und erklärten den Arbeitern auf konspirativen Versammlungen ihre Ideen, verschiedene Gewerkschaftsorganisationen entstanden. Im September 1922 brach dann im Soconusco ein erster großer zweitägiger Streik aus, an dem sich 7000 Landarbeiter beteiligten. Aus Angst, die Ernte zu verlieren, machten die Grundbesitzer schnelle Zugeständnisse. Doch wurden bei der danach einsetzenden Repressionswelle mehrere Streikführer ermordet.

Die PSCH ließ sich später von Gouverneur Carlos Vidal in das Machtgeflecht seiner Regierung integrieren. Sie ereilte so das Schicksal vieler Oppositionsorganisationen in Mexiko, die durch ein raffiniertes Zusammenspiel von Korruption, Repression und sozialen Zugeständnissen an ihre Basis von der Regierung neutralisiert werden und nur nach außen den Anstrich der Unabhängigkeit tragen. Doch die Selbstorganisation der Landarbeiter ging weiter. Die kleinen und oftmals geheimen Gewerkschaftszirkel auf den Plantagen orientierten sich am Ende der 20er Jahre zunehmend an der verbotenen Kommunistischen Partei. 1928 gründeten die Kommunisten den Bloque Obrero y Campesino und das Sindicato Central de Obreros y Campesinos, beide mit Sitz in Tapachula, als offene Vorfeldorganisationen. Der Bloque nahm Beziehungen zur Kommunistischen Internationalen (KI) auf. Um 1930 kontrollierten die Kommunisten etwa 80 Gewerkschaftsorganisationen und Agrarkomitees an der Pazifikküste. Kader der KI bereisten den Soconusco, um die Parteistrukturen aufzubauen. Darunter befanden sich auch Deutsche wie Karl Mayen, der 1923 am tragischen Hamburger Aufstand teilgenommen hatte, dann ab 1926 im Lateinamerika-Sekretariat der KI im Hamburger Hafen aktiv war und schließlich 1929 in den Soconusco kam. Dort übernahm Mayen die Parteileitung und koordinierte die breiten gewerkschaftlichen Aktivitäten der Kommunisten an der Pazifikküste. Vom Hamburger Hafen knüpfte die KI in dieser Zeit zahlreiche Verbindungen nach Lateinamerika. Propagandamaterial und Parteifunktionäre wurden auf die Schiffe geschmuggelt. Das Ziel der Weltrevolution beflügelte noch Tausende heute längst vergessene Aktivisten, die ihr Leben dafür einsetzten, wie Karl Mayen.



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