nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Sun Dec 20 23:24:00 1998
 

Gender Killer ende
inhalt
 

Nach allen Regeln der Kunst

Isabelle Graw

 
     

Hauptverfahren

weiter
 

Kunst von Frauen scheint etwas zu sein, dem nur stereotyp und reflexhaft begegnet werden kann. Dieser Eindruck drängt sich jedenfalls auf, wenn man die Reaktionen des Kunstbetriebs(1) auf Künstlerinnen untersucht. Entweder die Kunstkritik schlägt Verallgemeinerungen vor, die auf Vorstellungen von Weiblichkeit basieren. Wobei unter weiblich auch feministisch verstanden werden kann. Oder eine vollständige Abwehr der Frauenfrage flüchtet sich in die Formel, daß gute Kunst kein Geschlecht habe. Vor diese Alternativen sehen sich nicht nur Künstlerinnen gestellt, auch Ausstellungskonzepte und Theorierezeptionen sind von ihnen geprägt. Welche Strategien und Definitionen als jeweils angemessen empfunden werden, das hängt von dem (länderspezifischen) Stand der Theorie, dem Pool der zur Verfügung stehenden Gedanken ab. Es gibt aber auch Motive, wie das der Weiblichkeit, die mit einer für die Kunstwelt spezifischen Hartnäckigkeit beibehalten werden und von neueren Forschungen (gender studies) relativ unbeeindruckt bleiben.

Kaum ein Text, der sich mit Kunst von Frauen befaßt, kommt ohne die Erwähnung von Weiblichkeit aus. Das gilt nicht nur für die 70er Jahre, in den 80ern hört die Suche nach einer spezifisch weiblichen Ästhetik nicht auf. Wenn Lucy Lippard, eine für die feministische Kunstkritik wichtige Figur, 1975 behauptete, daß sich die weibliche Erlebniswelt soziologisch und biologisch von der des Mannes unterscheide, dann hatte das mit den Möglichkeiten des damaligen Denkens zu tun. Es trägt nicht zum Verständnis der Bedingungen dieser Aussage bei, wenn man sie aus heutiger Sicht gleich als essentialistisch abkanzelt. Schließlich gingen ihr wissenschaftliche Dogmen, soziologische Studien, persönliche Erfahrungen und ein tiefsitzendes Gefühl von Andersheit voraus. Die Betonung von weiblicher Besonderheit hat auch immer die Funktion, den männlichen Universalismus anzuzweifeln. Das scheint in der Kunstwelt durchaus angebracht zu sein. Wo Männer dominieren, da wird der Bezug auf Weiblichkeit zu einer Strategie, die sich als praktikabel erweisen kann.

Dennoch verblüfft die Beharrlichkeit, mit der an spezifisch weiblichen Erfahrungen, Sehweisen und Sensibilitäten (Jochimsen 1977) festgehalten wurde. Die Vorstellung von weiblicher Besonderheit war und ist wohl so eingefleischt, daß auch die Frauen ihr anhängen, die sich als feministisch verstehen. Selbst als sich die Angst vor Festschreibungen durchsetzte, hörte die Beschwörung von Weiblichkeit nicht auf. Es war z.B. möglich, eine Ausstellung Typisch Frau (1981) zu nennen, und gleichzeitig zu hoffen, mit ihr eine Festschreibung von weiblichen Eigenschaften verhindert zu haben.(2)

Silvia Bovenschen hat 1977 einen Text geschrieben, der diese Doppelstrategie geradezu exemplarisch vorführte. Eigentlich war sie zu dem Schluß gekommen, keine weibliche Ästhetik formulieren zu können. Das hinderte sie aber nicht daran, das Wort weiblich weiter zu benutzen, ohne es in Anführungszeichen zu setzen.(3) Bovenschens Text machte für Kunstkritiker die Verneinung einer weiblichen Ästhetik obligat, die aber mit Beschreibungsversuchen von Weiblichkeit durchaus einhergehen konnte. Peter Gorsen (Kunsthistoriker) verfuhr nach diesem Prinzip in seinem 1985 geschriebenen Katalogbeitrag. Zuerst lobte er Bovenschen für ihre richtige Prognose, denn eine einheitliche weibliche Ästhetik würde es nicht geben. Dann fuhr er fort, die weibliche Kunstpraxis als eine zu beschreiben, die männliche Formgesetze in Frage stellt.(4) Manchmal ging er vom Weiblichen zum Feministischen über, was Austauschbarkeit implizierte. Für viele Kunstkritiker haben weiblich und feministisch die gleiche Bedeutung, als ob schon das Frausein für eine feministische Einstellung garantiere.

Von dem Begriff, den sich die Kunstkritik vom Feminismus und von feministisch macht, wird später noch die Rede sein. Fürs erste reicht es, festzustellen, daß das Feministische und das Weibliche im Imaginären der Kunstakteure dicht beinander liegen. Deshalb ist Frauenkunst auch ein Begriff, der entweder Abwehr auslöst oder abwertend gemeint ist. Er läßt das Bild von einer Kunst aufkommen, die penetrant und buchstäblich Frauenprobleme übersetzt. Diese auch Tamponkunst genannte Richtung war in den 80ern gar nicht vorstellbar.

Heute finden in New York wieder Frauenausstellungen statt, die Binden-und Penisskulpturen zeigen. Die Angst vor Reduktion ist einem strategischen Essentialismus gewichen. Jedenfalls gibt es einige junge, amerikanische Künstlerinnen (Nicole Eisenman, Sue Williams), die offensiv ihr Frausein betonen und mit den Klischees von Weiblichkeit operieren, die sie ohnehin für wirksam halten. In ihren Arbeiten stellen sie die Frau als Opfer (von Schönheitsindustrie oder Gewaltverhältnissen) dar und ignorieren die Kritik, die es an der Behauptung von einem allgemeinen Opferstatus der Frau gegeben hat. Diese Künstlerinnen bezeichnen ihre Kunst ganz umstandslos als Women's Art und sorgen dafür, daß der Aspekt Frau in ihr eine tragende Rolle spielt. Das wiederum hängt mit dem guten Ruf der identity politics zusammen es gilt als legitime künstlerische Technik, die eigene Identität bzw. das, was diese hauptsächlich auszumachen scheint, zum Dreh-und Angelpunkt der Arbeit zu machen. In Deutschland hingegen legen junge Künstlerinnen Wert darauf, daß ihre Arbeit nicht vorrangig als die einer Frau diskutiert wird. Irgendwann kommt ihr Frausein dann aber doch als wichtiger Faktor zur Sprache, mit dem sich ihre Kunst erklären oder einordnen läßt. Niemand käme aber auf die Idee, von Männern gemachte Kunst als Kunst von Männern zu beschreiben. Der männliche Produzent gilt als Normalfall, seine Männlichkeit ist für die Kunst nicht ausschlaggebend.(5)

Die Kategorie Kunst von Frauen möchte ich aber schon in meinem eigenen Interesse als notwendige Kategorisierung verteidigen. Kein Kunstkritiker kann auf Kategorien verzichten, und traditionell wehren sich die Künstler dagegen. In fast jedem Künstlerinterview lassen sich Stellen finden, wo der Künstler nichts mit dem Label zu tun haben will, mit dem man ihn identifiziert. Es macht aber einen Unterschied, ob jemand auf Frausein festgelegt oder dem Neokonzeptualismus zugeordnet wird. Genauso kommt es darauf an, ob der Bezug intern oder extern lanciert wurde. Nehmen die Künstlerinnen selbst eine Stigmatisierung vor, wie Valie Export, die sich als feministische Künstlerin bezeichnete, oder versieht man sie mit einem Etikett (Körperkunst)?

Verallgemeinerungen, die von außen kommen, wie Scatter Art oder Neo-Konzeptualismus, haben auch die Funktion, die künstlerischen Einzelproduktionen mit Bedeutung auszustatten. Kann eine Arbeit mit einer künstlerischen oder sozialen Bewegung in Verbindung gebracht werden, dann ist ihre Durchsetzung wahrscheinlich und vor allem dann naheliegend, wenn sie über diese Bewegung hinausgeht, aus ihr als Einzelleistung herauszuragen scheint. Ich denke dabei an die Stellung von Jackson Pollock im abstrakten Expressionismus,(6) muß aber sofort einräumen, daß Bewegung nicht gleich Bewegung ist und daß die Gruppenzugehörigkeit zu feministischer- oder Frauenkunst (in den Augen der Kunstkritik austauschbar) eher Schrecken verbreitet und nichts von der Strahlung besitzt, die die Popart oder der abstrakte Expressionismus besaßen. Jedenfalls haben Popart und abstrakter Expressionismus nach anfänglicher (obligatorischer) Unpopularität einen dauerhaft guten Ruf genossen, weitaus stabiler als die schwankende Beliebtheit der Kunst von Frauen.(7)

Vielleicht ist eine Charakterisierung als Frau aber doch vorzuziehen, wenn man sich die klassische Gegenposition anguckt. Deren VertreterInnen bestehen darauf, daß gute Kunst kein Geschlecht habe und nur nach ihrer künstlerischen Qualität zu bemessen sei. Auch Künstlerinnen (Meret Oppenheim z.B.) teilen diese Meinung, von der sie glauben, daß sie eine Reduktion auf Frau verhindern kann. Wenn mir die Behauptung von Geschlechtslosigkeit guter Kunst entgegengeschleudert wurde, dann immer als eine letzte Waffe des Connaisseurs. Kunst soll wertfrei und für sich sprechend sein, sie hat nur mit sich selbst etwas zu tun. Die rhetorische Opposition zwischen Kunst und Geschlecht suggeriert, daß es sich um etwas Gegensätzliches handele. In Wirklichkeit nimmt aber niemand ein Kunstwerk wahr, ohne sich nach Name (und Geschlecht) des Autors zu erkundigen. Das Wissen um das Geschlecht ist ein Faktor, der die Rezeption und Interpretation von Kunst (meist unbewußt) steuert. Wenn an der Auffassung von geschlechtsloser Kunst nicht nur von Kunstliebhabern, sondern auch von Künstlerinnen festgehalten wird, dann drücken sich darin die schlechten Marktchancen von den Künstlerinnnen aus, die ihr Geschlecht betonen.

Frauen sind auf dem Kunstmarkt keine harte Währung, in ihre Namen wird weniger vertrauensvoll investiert. Das mag zum einen an der Vorstellung des Sammmlers liegen, daß eine Frau jederzeit aufhören und Kinder kriegen kann. Natürlich gibt es Ausnahmen, wenige Künstlerinnen in Deutschland (Rosemarie Trockel, Rebecca Horn), deren Werke hohe Preise erzielen. Ihre Namen werden gerne von Sammlern und Galeristen zitiert, wenn es darum geht, zu beweisen, daß es auch Frauen auf dem Kunstmarkt jederzeit schaffen können. Künstlerinnen kann es für Galeristen und Sammler nur als Ausnahme geben, und es ist als Kompliment gemeint, wenn es heißt, daß ihr Bild auch ein Mann gemalt haben könnte. Die Künstlerin kann dieses Kompliment schlecht zurückweisen, wenn sie ihre Kunst als gute Kunst durchsetzen und nicht auf Frauenkunst beschränkt wissen will. Vielleicht gelingt es ihr, andere Lektüren zu forcieren, jenseits von geschlechtsloser Qualität und triefender Weiblichkeit.

Sie muß aber auch mit der Rolle rechnen, die Institutionen und deren Mitarbeiter für Sinnstiftung spielen. Ausstellungen und Katalogtexte stellen Bedeutungen her, sind eventuell an der Reduktion auf Frau beteiligt. Viele Frauenausstellungen sind z.B. so aufgebaut, daß nicht die einzelne Künstlerin, sondern Vertreterinnen eines Geschlechts in Erinnerung bleiben. Dazu tragen hauptsächlich die Kataloggestaltungen bei: Jede Frau erhält eine Seite, für biographische Angaben, Atelierphoto und Künstlerarbeit. Alphabetisch geordnet, wird es den Künstlerinnen unmöglich gemacht, im Katalog ihre spezielle Vorgehensweise zu präsentieren.(8) Nachdem ich mehrere solcher Kataloge durchgeblättert hatte, konnte ich die Haltung mir bekannter Künstlerinnen gut verstehen, die bei derartigen Veranstaltungen nicht mitmachen wollen. Sie möchten verhindern, daß man ihre Kunst als ein weiteres Exemplar einer Gattung zeigt.

Oft genug laufen Initiativen, die feministisch gedacht waren, auf eine Betonung der Kategorie Frau hinaus, wenn sich z.B. eine Ausstellung primär als Frauenausstellung versteht. Für den Separatismus als Strategie, den Nancy Fraser als eine kurzfristige Notwendigkeit beschrieben hat, lassen sich Künstlerinnen schon deshalb schwer begeistern, weil sie an dem langfristigen Wert ihrer Kunst interessiert sind. Ist ihre Arbeit einmal als Frauenkunst gebrandmarkt, dann wird diese Zuordnung schwer aufzuheben sein. Einer anderen Avantgarde zugerechnet zu werden, kann Marginalisierung und Wertminderung bedeuten.

Frauenausstellungen sind aber nicht ausschließlich als fatale Reduktionen zu betrachten, die eine Aberkennung von künstlerischer Besonderheit erleichtern. Jede verallgemeinernde Zusammenfassung kann auch das Vorspiel zur Individualisierung sein. Entweder die Künstlerinnen entziehen sich selbst oder aber es kommt der Punkt, wo die vereinheitlichende Charakterisierung wegen ihr widerstrebender Einzigartigkeiten fallen gelassen werden muß. Vielleicht sind die vielen Versuche, die von Frauen gemachte Kunst über einen Kamm zu scheren, auch als Test gemeint. Wird sich die einzelne Künstlerin zu wehren wissen und damit ihre Singularität demonstrieren?(9)


(1) Ich werde im folgenden wahlweise vom Kunstbereich, Kunstmilieu oder Kunstbetrieb sprechen, um schon dadurch anzudeuten, daß es nicht nur einen gibt. Meine Vorstellung von diesem sozialen System ist durch Veranstaltungen, Publikationen, Ausstellungen und Symposien geprägt, die in Wien, Lüneburg, New York und in anderen Groß- und Kleinstädten der Ersten Welt stattfinden können.

 

(2) Die Kuratorinnen von Typisch Frau (1981) nahmen sich vor, als typisch geltende und negativ bewertete weibliche Eigenschaften ins Positive zu wenden. Eine früher Variante dessen, was Judith Butler heute Umdeutung nennt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich mit einem solchen Ausstellungstitel damals oder heute Sympathisanten gewinnen ließen. Genausowenig können einzelne Künstlerinnen etwas an der abwertenden Bedeutung des Begriffs Frauenkunst ändern, und das Wort feministisch weckt bei einem Großteil der Bevölkerung nach wie vor ausschließlich negative Assoziationen. Außerdem läßt sich ein allgemeiner Prozeß der Umdeutung nicht durch Initiativen herbeiführen, die sich auf den Kunstbereich beschränken. Der Künstler allein kann noch kein gesamtgesellschaftliches Umdenken bewirken.

 

(3) Wie es wohl heute üblich wäre, was an der Verbreitung von gender studies liegt, die jetzt auch im Kunstbereich angekommen sind und die Überzeugung konsensfähig machten, daß Geschlecht nicht als naturgegeben, sondern als eine soziale Konstruktion betrachtet werden muß. Wobei diese Meinung natürlich nicht so allgemein vorherrschend ist, wie man glauben könnte, wenn man die Publikationen zum Thema liest. Auch ändert das in Anführungszeichen gesetzte Geschlecht nichts an der Realität vom Geschlechterkampf, an den gesellschaftlichen Mechanismen, die für Ungleichheit und Benachteiligung der Frauen sorgen.

 

(4) Er lud sie mit den Eigenschaften auf, die für ihn zu guter Avantgardekunst gehörten: kein traditioneller Werkcharakter, dafür unmittelbarer Selbstausdruck, Prozeßhaftigkeit und Körperzentrierung.

 

(5) Was nicht ausschließt, daß das Thema der männlichen Subjektivität Konjunktur haben kann. Im anglo-amerikanischen Raum gibt es seit 1990 unzählige Publikationen dazu, in New York finden Symposien (Dia Art Foundation) und demnächst auch eine Ausstellung im Whitney Museum über männliche Subjektivitäten statt. Identitätspolitik läuft nun gewissermaßen darauf hinaus, daß die Männer, ohnehin in der stärkeren Position, die Techniken der Identitätspolitik von den sog. Minderheiten übernehmen, um sich selbst zu befragen, und ihre Subjektivierungsprozesse zu untersuchen.

 

(6) oder an Asger Jorn im Situationismus.

 

(7) In Amerika scheint es heute ein paar Galerien und Museen zu geben, die feministische Kunst favorisieren und von Künstlerinnen geradezu verlangen, feministische Inhalte zu haben. Der Effekt kann genauso einschränkend sein wie das Bestehen darauf, daß Kunst unpolitisch sei. Nur wäre es übertrieben, eine neue kulturelle Hegemonie zu beschwören und wie konservative Kulturkritiker zu sagen, daß es heute für einen Künstnler von Vorteil sei, sich als Frau oder feministisch oder lesbisch zu präsentieren. Eine ohnehin marginale Entwicklung wird überzeichnet, um ihre Ausweitung frühzeitig im Keim ersticken zu können.

 

(8) Um nur eines von vielen Beispielen zu nennen: die Ausstellung Zur Physiologie der bildenden Kunst, Künstlerinnen, Multiplikatorinnen, Kunsthistorikerinnen, Berlin 1987.

 

(9) Singularität ist ein haariger Begriff. Eigentlich als Anmaßung, Spiegel der Idee vom einmaligen Kunstwerk zurückzuweisen, aber dann wieder unumgänglich als Behauptung, wie man bei Künstlerinnen sieht.

Starke Filter

weiter / zurück
 

Zwischen den Polen Affirmation und Negation von Geschlecht findet im Kunstbetrieb auch Feminismus statt. Die Vorstellungen von feministisch und Feminismus sind vor dem Hintergrund dieser Alternativen zu sehen. Schon wie Künstlerinnen zu dem Attribut feministisch kommen, ist eine Widerspiegelung dieser Wahl. Künstlerinnen wägen ihre Strategien im Hinblick auf die gängigen Einordnungen ab, deren Logik sich einschätzen, aber nicht gänzlich kontrollieren läßt. Die englische Künstlerin Mary Kelly hat z.B. selbst einen großen Anteil daran, daß ihre Arbeit als prototypisch feministisch gilt und von feministischen Kunsthistorikerinnen (wie Griselda Pollock) gerne besprochen wird. Kelly hat nämlich wiederholt zu verstehen gegeben, daß ihre Kunst von Feminismen durchdrungen sei (Catherine Lupton 1994). So maßgeblich ist die künstlerische Intention aber selten Aussagen von KünstlerInnen werden schon deshalb häufig übergangen, weil sie als priviligierte Informationsquelle nicht mehr angesehen werden. Das wiederum hat mit dem auch unter Kunstspezialisten längst etablierten Zweifel am Subjekt- und Autorstatus zu tun, der in künstlerische Arbeiten wie die von Cindy Sherman durchaus hineingelesen werden kann.

Sherman ist im Gegensatz zu Kelly eine Künstlerin, die von sich sagt, an feministischen Ideen gar nicht interessiert zu sein. Noch so oft kann sie ihre theoretische Absichtslosigkeit betonen, ihre Arbeit wird mehrheitlich als eine interpretiert, die mit den Mitteln der Maskerade und des Rollenspiels eine feministische Kritik an dem Bild der Frau bewirke (Gen Doy 1994). Shermans Photos fielen nämlich genau in die Zeit (die frühen 80er), als amerikanische Kunstkritiker das Motiv des gespaltenen Subjekts, der Nicht-Identität und subversive Strategien in ihr Denken aufnahmen. Dieser Input wirkte sich auf ihre Wahrnehmung von zeitgenössischen Kunstwerken aus, die das frisch assimilierte Gedankengut zu bestätigen schienen. Konnte die Arbeit einer Künstlerin als subversive Überschreitung gedacht werden, dann wurde sie als feministisch aufgefaßt.

Ungefähr zur gleichen Zeit fingen KunstkritikerInnen damit an, von künstlerischen Arbeiten zu sagen, daß sie etwas dekonstruiert oder verschoben hätten. Der Gedankengang war immer der gleiche: Künstler wie Sherrie Levine würden eine Appropriation betreiben und das angeeignete Material leicht abändern. In dieser Abänderung lag die kritische/feministische Intervention, die Lob und Respekt verdiente. Niemand schien an dem kritischen Wert dieser Eingriffe zu zweifeln. Eine Sicherheit, die man aus der Dekonstruktion bzw. einer assoziativen Auslegung von ihr bezog. Der Feminismus wurde also in dem Moment zu einer kunsttauglichen Idee, als er mit Dekonstruktion zusammenfiel.(10) Denn wenn unter feministisch eine kritische Methode, eine individuelle Textzerlegung verstanden werden kann, dann kann dieser dekonstruktive Feminismus durchaus aktzepabel sein.

Während mit feministisch in den 80ern also individuelle Künstlerstrategien bezeichnet werden konnten, war es für feministische Künstlerinnen in den 70ern selbstverständlich, darunter ein Bekenntnis zur gesellschaftsverändernden Richtung der Frauenbewegung zu verstehen. Valie Export ist z.B. eine Künstlerin, die sich immer sehr explizit auf die Frauenbewegung bezog. 1975 stellte sie die erste europäische Frauenausstellung mit feministischem Anspruch zusammen und schrieb dazu in einem Manifest, daß sie von Berichten über den Elan der amerikanischen Frauenbewegung zu diesem Vorhaben angeregt worden sei.(11) Was Export als eine Aufgabe von Kunst allgemein formulierte, mußte wohl auch das Ziel ihrer Arbeiten beschreiben: Befreiung der Wirklichkeit von männlichen Ideologien (Export 1975). Heute erzählt sie, daß gerade die Kunstfreunde ihr damals geraten hätten, sich doch für das eine oder das andere zu entscheiden, sie könne nicht gleichzeitig Feministin und Künstlerin sein (Export 1994).

Damit wäre das Problem beschrieben, daß der Kunstbetrieb mit dem Feminismus hat. Wie läßt er sich in ein künstlerisches Anliegen integrieren, ohne den Rahmen der Kunst zu sprengen? Indem man künstlerische Schritte zu feministischen erklärt und die Definition von feministisch ganz allgemein und unverfänglich hält. Feministische Kunst kann dann hilflos redundant als eine beschrieben werden, die feministisches Engagement zum Ausdruck bringt (Jochimsen 1981). Oder aber der Feminismus wird wie schon beschrieben mit Weiblichkeit gleichgesetzt.

Dann gibt es noch die Möglichkeit, eine feministische Kunst auf bestimmte Medien zu verpflichten. Ganz bewußt überging Margarete Jochimsen (1977) z.B. die Malerei, als sie die Medien nannte, welche von feministischen Künstlerinnen bevorzugt würden.(12) Malerei kam im feministischen Kanon der 80er grundsätzlich nicht vor, weil geglaubt wurde, daß es für Künstlerinnen strategisch klüger und erfolgsversprechender sei, mit Photographie oder Video zu arbeiten. Die Malerei ging mit einer Ideologie (Authentizität und Unmittelbarkeit) einher, an der Frauen kein Interesse haben konnten. Malerinnen war oft nichts anderes übrig geblieben, als ihr Frausein zu verleugnen, um sich mimetisch dem männlichen Malerhabitus anzugleichen. (So hatten es jedenfalls Lee Krasner, die Frau Jackson Pollocks, und viele andere getan.) Die Bewertungskriterien der Malerei waren so fest in Männerhand, daß es sinnvoller schien, sich auf andere Gebiete zu begeben. Im nachhinein mutet es natürlich problematisch an, ein Medium für nicht frauengeeignet oder frauenfeindlich zu halten. Wäre es nicht besser gewesen, ganz selbstverständlich weiterhin auf Malerei zu bestehen? Stattdessen gingen viele Künstlerinnen (Barbara Kruger, Louise Lawler) in den 80ern strategisch als Photokünstlerinnen vor. Was angesichts des Erfolgs und der absoluten Definitionsmacht von männlichen Künstlern (Julian Schnabel, Markus Lüpertz) auch im nachhinhein noch verständlich ist. Daraus folgt aber nicht, daß bestimmte Medien per se feministisch sind.(13)


(10) Siehe auch den Band Dekonstruktiver Feminismus, von Barbara Vinken (1992) herausgegeben, dessen implizite Behauptung war, daß unter feministisch auch eine kritische Auseinandernahme von Texten der Meisterdenker (Freud, Lacan, Derrida) zu verstehen sei.

 

(11) Export war nicht die einzige Künstlerin, die in den 70ern die Gleichberechtigung zu ihrem Ziel erhob. Nur wenige formulierten aber wie Export Programme, die ästhetische und politische Punkte miteinander verbanden.

 

(12) Sie zählte Photographie, Video, Film, Sprache und menschliche Körper auf.

 

(13) Literaturwissenschaftlerinnen haben zu klären versucht, welche Literatursorte das feministische Anliegen angemessen transportiert. Wahlweise eigneten sich Autobiographien, theoretische Essays oder experimentelle Schreibweisen am besten dafür. Das sind die literarischen Formen, die ohnehin heute am meisten interessieren. Sie haben nicht nur unter Feministinnen Konjunktur.

Lesefrüchte

weiter / zurück
 

An welchen feministischen Theorien haben nun Kunstakteure ein Interesse, welche Topoi werden wann stark?

Das hängt sowohl von der Informiertheit des Theoriebenutzers als auch von seiner Position bzw. davon ab, was er mit Theorie bezweckt. Handelt es sich um einen Ausstellungsmacher, dann hat er andere als wissenschaftliche Prioritäten. Seine Geldgeber sind nicht nur mit Inhalten zu überzeugen. Entschiedenes Auftreten und gute Beziehungen zu Künstlern sind mindestens genauso wichtig. Dennoch trägt es zur Stärkung seines Vorhabens bei, wenn er sich auf eine wissenschaftliche Erklärung beruft. Von dem Ruf, den eine Analyse unter Akademikern und ihnen nahestehenden Intellektuellen genießt, kann seine Ausstellung profitieren. Umgekehrt kann die Ausstellung für sich in Anspruch nehmen, die soziale Realität einer abstrakten Idee zu sein. Dann beziehen sich Ausstellungsmacher auf angebliche gesellschaftliche Entwicklungen, auf Paradigmenwechsel oder aktuelle Diskussionen. Wie objektive Sachverhalte und Zustandsbeschreibungen gehandhabt, verleihen sie ihren Projekten Gewicht. Ausstellungmacher greifen aber nicht auf einen Wissenschaftsdiskurs zurück, der ihnen fremd ist und woanders stattfindet. Kunstwelt und Universitätsbetrieb sind als eng miteinander verflochten anzusehen. Bestimmte Kunstkreise pflegen zwar keinen Kontakt zu Akademikern, andere sind dann aber wieder von Wissenschaftlern durchsetzt, die als Künstler oder Kuratoren arbeiten und ihre Forschungsgebiete weiterverfolgen.

Interessanterweise gelangen feministische Themen immer dann in den Kunstbetrieb, wenn sie den Status einer rhetorischen Floskel erreicht haben. Spezialisten meiden sie bereits als Platitüde, und genau zu dem Zeitpunkt tauchen sie in Kunstkontexten auf.(14) Nachdem z.B. in feministischen Readern die Einsicht zu finden war, daß der Feminismus nicht nur Frauen vorbehalten sei, gibt die Kuratorin Marcia Tucker für ihre Ausstellung Bad Girls (1994) bekannt, daß sie auch Männer zeige, denn eine feministische Haltung sei nicht auf Frauen beschränkt. Überhaupt könnten nicht alle teilnehmenden KünstlerInnen als feministisch bezeichnet werden, denn es gäbe nicht einen, sondern mehrere Feminismen.(15) Das ist ein Allgemeinplatz der neueren feministischen Diskussion, der seinen Ursprung in der berechtigten Kritik an dem Universalismus des Erste-Welt-Feminismus hat, dem vorgeworfen wurde, daß er für alle Frauen sprechen wolle. Seither ist die Erwähnung von mehreren Feminismen, Sexismen und Frauenbewegungen zu einer reinen Formsache geworden, fast schon reflexhaft weist man Verallgemeinerungen als unzulässig und reduktionistisch zurück. Mit Pluralisierungen ist aber vor allem dann nichts gewonnen, wenn es bei den alten Zuordnungen bleibt.

Unter Feminismus versteht man im Kunstbereich eine Bewegung, die sich mit weiblichen Subjektivitäten befaßt. In diesem Verständnis von Feminismus werden politische Forderungen zugunsten einer Individualethik abgespalten. Wieder läuft es auf eine Gleichsetzung von feministisch und weiblich hinaus, wenn schon die Analyse des weiblichen Lebenslaufs feministisch sein soll. Bereitwillig schließen sich Kunstheoretikerinnen der These von einem second wave feminism (Catherine Lupton 1994) an, der mehr die Lebenswelt von Frauen untersuche, als daß er grundsätzliche Veränderungen fordere. Die Diagnose, daß aus der politischen Orientierung der Frauenbewegung heute eine kulturelle geworden sei, ist weit verbreitet. Nur geht diese Feststellung normalerweise mit einem Bedauern einher, man beklagt die Depolitisierung. Diese Perspektive kann nicht die von Kunstvermittlerinnen sein. Ihnen kommt es nur gelegen, unter feministisch ein mit sich selbst beschäftigtes, weibliches Subjekt zu verstehen. Dadurch wird es leichter, viele Künstlerinnen als feministisch zu bezeichnen. Von den Teilnehmerinnen der Bad Girls-Ausstellung heißt es z.B. im Text der Kuratorin, daß sie Probleme von Mutterschaft bis zum Älterwerden behandeln würden.

Die Idee von Kunst setzt die des handlungsfähigen Individuums voraus. Künstlerische Arbeiten werden immer als individuelle Anliegen, als Leistung von Einzelkünstlern gedacht. Auch eine Kritik am Subjekt ändert an dieser Subjektorientiertheit nichts. Theorien wie die von Judith Butler oder die Psychoanalyse Jacques Lacans, denen eigentlich an einer Aufhebung des Subjekts gelegen ist, tragen im Kunstbetrieb zu seiner Stärkung bei. Das neue Subjekt tritt dann gespalten, zerrissen oder uneinheitlich auf. Bei Kunstvermittlern sind Lacan und auch Butler deshalb so beliebt, weil mit ihnen das Subjekt als dezentriert aufgefaßt werden kann, ohne daß sein Subjektstatus wirklich gefährdet würde. Von Künstlern einer für den Kunstmarkt unumgänglichen Kategorie kann nämlich weiterhin ausgegangen werden. Poststrukturalistische Theorien ermöglichen eine Aktualisierung und gleichzeitige Konservierung der Identität Künstler. Genauso gibt es feministische Auslegungen Lacans, die es erlauben, in jeder Infragestellung von weiblicher Identität einen feministischen Akt zu sehen, auch wenn diesem jegliche gesellschaftsverändernde Perspektive fehlt. Denn schon die metaphorische Auflösung des Subjekts (wie bei Silvia Plath) kann dann (laut Jaqueline Rose) feministisch sein. Ich möchte gar nicht bestreiten, daß es Effekte von individueller Befreiung geben kann, wenn jemand Rollenspiele betreibt und sich so dem herrschenden Begriff von Weiblichkeit zu entziehen versucht. Nur zweifle ich an dem feministischen Potential dieser Methode.

Die Psychoanalyse ist für Kuratoren und Kunstvermittler auch ein praktisches Instrument, das nicht nur Künstler und ihre Subjektivitäten ins Zentrum rückt, sondern auch das Identitätsproblem zum Thema vieler Arbeiten macht. Lacans Hypothesen (wie die von der problematischen Identität) werden von Ausstellungsmachern wie Selbstverständlichkeiten gehandhabt, von denen heute einfach ausgegangen werden müsse. Sein Spiegelstadium, eigentlich als abstraktes Modell und nicht als Beschreibung einer realexistierenden Phase gedacht, läßt sich so verwenden wie ein Tatsachenbericht. In der Ausstellung Suture (1994) steht jeder Spiegel, der in künstlerischen Arbeiten vorkommt, für gespaltene Identität in ihm drücke die phantasmatische Vollkommenheit sich aus. (16) Lacans Schriften eignen sich als Zustandsbeschreibung, die die Gespaltenheit von Künstlern und ihren Produkten beweist.

Was für die Rezeption von Lacan gilt, trifft auch auf die von Judith Butlers Das Unbehagen der Geschlechter (1991) zu: Ihre Vorschläge wurden im Hinblick auf das Künstlersubjekt gelesen. Aus ihren Thesen greifen sich Ausstellungsmacher natürlich die (ohnehin umstrittenste) der Performanz heraus, weil sie sich auf künstlerische Vorhaben gut übertragen läßt. Die Ausstellung Oh boy it's a girl (1994) nahm sich Butler zur Gewährsfrau, mit der sich das Feministische der KünstlerInnen beweisen ließ. Mit Butler könne es als Aufgabe feministischer Politik angesehen werden, subversive Verirrungen und parodistische Vervielfältigungen zu betreiben. Obwohl Butler selbst oft genug die Performanz als Strategie zurückgenommen und auf deren Grenzen, institutionelle Zwänge hingewiesen hat, beruft sich der Kunstbereich weiterhin auf diese Argumentation, weil sie künstlerische Techniken (Maskerade) zu feministischen erklärt. Auch verleiht es der Aktualität von Künstlerinnen Nachdruck, wenn sich Verbindungen zu neueren feministischen Handlungsanweisungen herstellen lassen.

(14) Umgekehrt ist das natürlich genauso. Der Universitätsbetrieb nimmt von ästhetischen Programmen, Organisationsformen, Selbstverständnissen und sozialen Gewohnheiten der KünstlerInnen, wenn überhaupt, dann mit Verspätung Kenntnis und im Hinblick auf die fachinterne Verwertbarkeit dieser Informationen, die als Belege dienen.

(15) Auch die Ausstellung Oh boy it's a girl (1994) hat Feminismen in der Kunst als ihren Untertitel gewählt. Ganz abgesehen von den von mir mitzuverantwortenden Themenheften Feminismen (1993) und Sexismen (1994) von Texte zur Kunst.

(16) Die Kuratorin Silvia Eiblmayr schrieb im Katalogtext der Ausstellung, daß die künstlerischen Arbeiten Bruchstellen aufweisen würden, die die illusionären Vollkommenheitsphantasien unterlaufen könnten. Beim Spiegel ginge es nicht zuletzt auch um den Narzißmus, der dem Spektakel anhafte. Er bilde den Ausgangspunkt für die Inszenierungen der Vollkommenheitsphantasien.

Glaubensdinge

weiter / zurück
 

Das subjektorientierte Verständnis von Feminismus im Kunstbereich läßt sich nicht nur mit kunstspezifischen Zwängen, dem Wesen der Kunst oder mit dem Status des Einzelkünstlers erklären. Die jeweils vorherrschende Meinung, das, was auch gesamtgesellschaftlich für angebracht gehalten wird, färbt auch auf den Kunstbetrieb ab. Unter Kunstkennern dominiert z.B. die generelle Einschätzung, daß die Situation von Frauen sich gebessert habe. Mir ist auch keine junge Künstlerin bekannt, die heute (wie Export 1972) gesellschaftliche Gleichberechtigung fordern würde.(17)

Politische Strategien sind nicht nur bei Künstlerinnen unbeliebt, auch engagierte Frauen haben feststellen müssen, daß mit ihnen oft das Gegenteil des Beabsichtigten erreicht wurde. Die Tatsache, daß Künstlerinnen sich heute nicht öffentlich für politische Forderungen, die Abschaffung des Paragraphen 218 z.B., engagieren, hängt aber hauptsächlich mit einer Regel zusammen, die für den Kunstmarkt wie ein ungeschriebenes Gesetz funktioniert. Als gute Künstler kommen nämlich nur weltanschaulich ungebundene in Frage. Es sei denn, es handelt sich (wie bei Jörg Immendorff) um eine Jugendsünde, die dem Frühwerk Atmosphäre verleiht. Die Phase des Protests muß irgendwann abgeschlossen sein, weil sich künstlerische Fragen nach vorne drängen. Ein Künstler gilt nur dann als ernsthaft, wenn er sich obsessiv seinem Werk verschreibt. Auch seine Kunst gewinnt an Bedeutung, wenn es so aussieht, als habe sie andere Aktivitäten nicht mehr zugelassen. War es deshalb vielen feministischen Kunstkritikerinnen so wichtig, in den 80ern festzustellen, daß die Phase des Aufbegehrens bei Künstlerinnen nun abgeschlossen sei? Margarete Jochimsen ging so weit, zu behaupten, daß es im Jahre 1981 künstlerisch nicht mehr genüge, bloß Unrecht bewußt zu machen und zu beklagen. Silvia Eiblmayr schrieb eine geschichtliche Veränderung einfach fest: der Protest sei abgeschlossen und eine Differenzierung der Strategien angebracht (Eiblmayr 1985). Selbst Export teilte die Überzeugung, daß die subversiven Strategien der 60er und 70er das Profil dieser Gesellschaft transformiert und menschlicher gemacht hätten (Export 1985). Und Peter Gorsen stellte erleichtert fest, daß es mit den didaktischen Anklagen, den Angriffen auf männliche Omnipotenz nun ein Ende habe.

Die Kunst der 70er muß unglaublich militant und angriffslustig gewesen sein, wenn man diesen Rückblicken Glauben schenkt. Ein Phantom früher Frauenkunst wird aufgebaut, von dem sich junge Künstlerinnen gut absetzen lassen. Die Frauenausstellung Kunst mit Eigensinn (1985) erfüllte diesen Zweck, Valie Export hatte sie mitkonzipiert. Vergleicht man diese Ausstellung mit Exports früheren Aktivitäten, dann sind erhebliche Veränderungen zu bemerken. Die Kunst wird von Export nun als Prozeß von Individuation bestimmt; nur ein freies Individuum wäre dazu in der Lage, individuellen Sinn, Eigensinn herzustellen. Kein Wort darüber, wie das Individuum Freiheit erlangt und warum eine Freiheit, die sich individualistisch versteht, erstrebenswert sein kann.(18) Verkennt doch die Forderung nach Freiheit die Bedingungen der Frauen, denen Freiheit abgesprochen wird.

Valie Export geht es aber wesentlich darum, nicht auf Frau zurückgeworfen, sondern als kreatives Individuum betrachtet zu werden. Kunst mit Eigensinn präsentiert individuelle Leistungen und nicht etwa Frauenkunst. Schon der Titel gibt zu verstehen, daß der Reduktion auf Frau die Kunst entgegentritt. Die gezeigten Arbeiten sind nicht primär die von Frauen, der Schwerpunkt wird auf ihre Eigensinnigkeit gelegt.(19) Als eigensinnig präsentiert werden die Arbeiten konkurrenzfähig: orginelle, singuläre Kunstwerke, die den Vergleich zu großer Männerkunst nicht zu scheuen brauchen.

Welches Interesse haben aber nun Frauen daran, die Idee des einzigartigen, irreduziblen Kunstwerks zu stützen? Ein strategisches, wenn die Alternative Frauenkunst heißt. Immer noch besser, auf fragwürdige Kunstkonzepte (Orginalität) zu rekurrieren, als unter Frau subsumiert zu werden. Wenn die Alternativen weibliche Ästhetik oder irreduzibles Kunstwerk heißen und sich erstere leichter diskriminieren läßt, dann ist die Option für das Kunstwerk vorzuziehen. Dennoch bleibt fraglich, ob sich diese Anpassung bezahlt macht, ob den Vorlieben (für Werke) und Abneigungen (gegen Frauen) des Kunstmarkts wirklich entsprochen werden muß, wenn man weiterkommen will. Im nachhinein kann es sich aber auch als richtig erweisen, daß auf Gleichheit beharrt wurde, die zu einer Ernstnahme und Etablierung der Künstlerinnen beitrug.

Was nicht heißt, daß es jenseits der Pole Gleichheit und Differenz keine anderen Möglichkeiten gäbe. Im Kunstbereich dominiert jedoch ein Verständnis von guter Kunst, das an einen männlichen Künstler geknüpft ist und geschlechtsbereinigte Kunstwerke verlangt. Deshalb haben die meisten Künstlerinnen berechtigterweise mehr Interesse daran, an Kunst mit Eigensinn teilzunehmen, als unter Endlich Vierzig(20) zusammengefaßt zu werden.

(17) Wenn ich von mir bekannten Künstlerinnen spreche, dann meine ich die offiziell von der Kunstgeschichte festgehaltenen Künstlerinnen. Man muß sich klar machen, daß die einem bekannten Künstlerinnen zu den wenigen gehören, die von der Kunstgeschichte registriert wurden und heute deshalb bedeutsam sind. Die Geschichte dieser Anerkennungsprozesse habe ich in meiner Serie Wie hat die das geschafft in der Zeitschrift Artis nachzuzeichnen versucht.

 

(18) Auch Oh boy it's a girl weist (im Editorial) auf die sozialen, kulturellen und individuellen Freiräume hin, die das Konzept der Maskerade, der Parodie und das Spielen mit Geschlechtlichkeit verlangen würden.

 

(19) Diese den Werken attestierte Eigensinnigkeit ist dann aber doch wieder als Resultat von Weiblichkeit zu verstehen. Nur suggeriert Eigensinnigkeit, daß diese sich nicht nur auf Weiblichkeit zurückführen läßt und über diese hinausgeht.

 

(20) Endlich Vierzig war eine Frauenausstellung, die im Frauenmuseum Bonn (1994) stattfand. Preisträgerinnen des Gabriele Münter-Preises wurden gezeigt. Dieser Preis wird an Frauen über 40 vergeben. Man geht davon aus, daß er den Bedürfnissen von Künstlerinnen entspricht, von denen angenommen wird, daß sie wegen Kindern und Familie erst spät ihre Karriere beginnen. Als ob Kinder bei Künstlerinnen die Norm wären und Kinderkriegen mit dem Künstlersein nicht zu vereinbaren sei.

   

Literatur

Andere Avantgarde, Linz, 1983

Bad Girls, New Museum of Contemporary Art, New York, 1994

Silvia Bovenschen 1976: Über die Frage: Gibt es eine weibliche Ästhetik. In: Ästhetik und Kommunikation, Heft 25

Gen Doy 1994: Cindy Sherman Theory and Practice. In: Art has no history, London

Peter Gorsen 1985: Feminismus und ästhetische Grenzüberschreitung. Zur Konstruktion der Frauenräume. In: Kunst mit Eigensinn, Wien

Valie Export 1975: Notizen zur Entstehung der Ausstellung. In: Magna, Wien

Valie Export u.a. 1994: Anläufe. Gesprächsrunde in Texte zur Kunst Nr. 15

Margarethe Jochimsen 1977: Frauen machen Kunst, Galerie Magers, Bonn

Lucy Lippard 1975: Warum separierte Frauenkunst? In: Magna, Galerie Nächst St. Stephan, Wien

Catherine Lupton 1994: Circuit breaking Desires. Criticizing the work of Mary Kelly. In: Art has no history, London

Typisch Frau, Galerie Magers, Bonner Kunstverein 1981

Suture Phantasmen der Vollkommenheit, Salzburger Kunstverein 1994

weiter / zurück
     
Edition ID-Archiv Eichhorn/ Grimm (Hg.) Gender Killer Texte zu Feminismus und Politik
    beginn / zurück
links