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== Nachbereitungsreader zum 4. Antirassistischen Grenzcamp im Rhein-Main-Gebiet ==
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27.07.-05.08.2001 FFM

Nachbereitungspapier der Grenzcamp-AG Leipzig

Die Dokumentation beginnt mit diesem Nachbereitungspapier einer einzelnen Gruppe, weil es wohl an den meisten Punkten von vielen aus dem Vorbereitungskreis geteilt wird. Wir haben den Text um einige Punkte gekürzt. Diese werden an anderer Stelle der Doku ausführlicher beleuchtet.

Anspruch und Wirkung nach außen

Die Entscheidung nach FfM zu gehen, war die richtige. Denn entgegen anfänglicher Befürchtungen sind wir im Rhein/Main Gebiet nicht untergegangen, sondern konnten mit mehr als 1000 TeilnehmerInnen und mit Aktionen an sensiblen Punkten wie z.B. dem Flughafen, dem Hauptbahnhof und der Börse Aufmerksamkeit in Medien und der direkten Öffentlichkeit erlangen. Eine Vereinnahmung wie letztes Jahr fand nicht statt, da wir erstens sowohl inhaltlich als auch infrastrukturell besser vorbereitet waren. Herausragend an diesem Punkt war die Pressegruppe. Zweitens gibt es die mediale Inszenierung des zivilgesellschaftlichen Antifaschismus nicht mehr in dem Maße wie im Antifa-Sommer 2000. Und drittens gibt es in der Metropole Frankfurt am Main einfach eine liberalere Presse, die ein größeres Interesse an unseren Themen und an kritischen Stimmen hat.
Die (überregionale) mediale Berichterstattung war gut, es wurde über die meisten größeren Aktionen berichtet und dabei auch Inhalte zitiert. Besonders viel Aufmerksamkeit fanden natürlich Aktionen am Flughafen, hier mit freundlicher Unterstützung der Fraport AG. Besonders weil in der Presse auch teilweise unsere Inhalte transportiert wurden, kann mensch die Berichterstattung als positiver als die Jahre zuvor einschätzen. Ein großes Manko war allerdings, dass wir häufig auf unsere Position gegen Abschiebung und Flughafenverfahren reduziert wurden und nur wenige Aktionen, wie z.B. die Börsenaktion zur Thematisierung der ZwangsarbeiterInnenentschädigung und Genuaaktionen, Eingang in die (überregionalen) Medien fanden. Die Schuld hier liegt allerdings nicht nur an der Nicht-Beachtung seitens der Presse, sondern auch daran, dass wir, entgegen anderslautender Bekundungen im Vorfeld, diese Thematik auch einfach schwerpunktmäßig behandelt haben. Die Diskussion um politische Schwerpunktsetzung vs. thematische Vielfalt wurde u.E. nie zu Ende geführt und somit gab es innerhalb des Vorbereitungskreises keinen Konsens zur Gewichtung der verschiedenen Themen. Und obwohl mehrfach die Wichtigkeit der Themen Multikulti-Rassismus und Einwanderungsdebatte bestätigt wurde, gab es zu beiden Themen zu wenig Aktionen.
(Wir sollten nicht zu einem “alle Themenbereiche abdeckenden” Camp werden. Wir haben uns als antirassistisches Grenzcamp das Herrschaftsverhältnis Rassismus herausgesucht und wollen natürlich darüber eine grundsätzliche Gesellschaftskritik formulieren. Allerdings haben wir uns sozusagen aus taktischen Gründen und weil es anders gar nicht zu bewerkstelligen ist, das Thema Rassismus und dessen Zusammenhang zu anderen Herr-schaftsverhältnissen herausgesucht.)
Der Erfolg eines Camps läßt sich jedoch nicht nur an TeilnehmerInnenzahl, der Anzahl der durchgeführten Aktionen und dem Presseecho messen, sondern es stellt sich auch die Frage, inwieweit politische Forderungen erfüllt wurden oder wir ihnen zumindest ein Stück näher gekommen sind. Ganz nüchtern betrachtet sind unsere Forderungen z.B. nach Schließung des Internierungslagers und Abschaffung des Flughafenverfahrens natürlich nicht erfüllt worden. Was wir allerdings erreicht haben, ist an dem Image des sich weltoffenen gebenden Rhein/Main Flughafens zu kratzen und somit auch am Image der Fraport AG und diese in Bedrängnis zu bringen. Und auch wenn es keine direkten Erfolge wie z.B. bei der deportation class Kampagne zu berichten gibt, sind wir nicht total demotiviert und uns im Klaren darüber, dass wir nur in klein(st)en Schritten vorwärts kommen werden.

Zusammenarbeit mit MigrantInnen

Trotz aller guten Vorsätze: Das 4. Grenzcamp war, wie seine Vorgängerinnen auch, ein überwiegend weißes, deutsches Camp. Die Beteiligung von MigrantInnen war zwar numerisch größer als in früheren Camps, aber prozentual kaum höher und: sie beteiligten sich nur am Rand. Inhaltlich waren Flüchtlingsgruppen dieses Mal aber stärker präsent als in den Vorjahren, so wurde der inhaltliche Schwerpunkt “Residenzplicht” von The Voice gesetzt und im Camp aufgegriffen. The Voice muß sich in diesem Zusammenhang die Kritik gefallen lassen, sich immerfort, also auch im Zusammenhang mit Themen, wo der Schwerpunkt eindeutig anders lag, auf die Residenzpflicht zu beziehen.
Wo sich Flüchtlinge beteiligten, zeigte sich seitens der deutschen Antira jedoch auch Schwierigkeiten, mit ihnen gleichberechtigt umzugehen. Das bezieht sich nicht nur auf inhaltliche Zusammenarbeit, sondern auch auf den politischen Umgang.
Einerseits ist das sicherlich ein Sprachproblem, die Übersetzung von Redebeiträgen klappte mal wieder eher schlecht als recht, Diskussionen kommen so gar nicht erst in Gang. Auch eine Übersetzung grundlegender Papiere und Diskussionsbeiträge in schriftlicher Form gab es nicht, das müsste verbessert werden.
Wir schlagen daher vor: Das Konzept eines Extratreffens zur Koordination für potentielle ÜbersetzerInnen (Farbkennzeichnung, Übersetzung von Diskussionsrunden und –papieren), sollte im Vorfeld und zum Auftakt eines Camps mehr gepusht werden, ruhig mit einer ordentlichen Portion moralischen Drucks, damit diese Aufgabe (der Koordination) nicht von der Vorbereitungsgruppe, sondern von den CampteilnehmerInnen selbst wahrgenommen wird.
Aber das ist nur ein Schritt. Beispielhaft für bestehende Kommuni-kationsbarrieren ist die Sexismus/Rassismusdebatte, wo seitens der Flüchtlinge eine gemeinsame Veranstaltung über die spezifische nordamerikanische-europäische Sexismusdiskussion eingefordert wird, die sie oft nicht kennen. The Voice äußerte dann auch im Abschlussplenum Verwunderung, dass vehement eine Diskussion über Sexismus auf dem Camp eingefordert wurde, während die deutschen TeilnehmerInnen des Camps bei der von The Voice vorbereiteten Dis-kussionsveranstaltung zu Rassismus und Gender mit Abwesenheit glänzten. Und die wenigen von uns, die beim Abschlussplenum bis in die frühen Morgenstunden ausharrten und mit Flüchtlingen gemeinsam über Sexismus diskutierten, berichteten, dass für die Flüchtlinge die von uns deutschen AntirassistInnen jeder Diskussion als Grundlage dienende und für uns ganz selbstverständliche Definition des Begriffes Sexismus/bzw. sexistischer Verhaltensweisen ganz und gar nicht klar war. Für uns ein klares Beispiel für mangelnden Austausch ganz grundlegender Definitionen und der daraus entstehenden Missverständ-nisse, die ein Weiterdiskutieren von vornherein dem Scheitern aussetzen. Der von The Voice geäußerte Vorschlag, vor einem nächsten Camp, ein gemeinsames Diskus-sionswochenende zu Sexismus und Rassismus zu veranstaltet, sollte von uns unterstützt werden, wenn wir ein glaubwürdiges Interesse an zukünftigen gemeinsamen Diskussionen und Zusammenarbeit haben.

Die Diskussionen über das Camp hinaus führen!

Die großen inhaltlichen Diskussionsveranstaltungen auf dem Camp selbst, dienten eher der Information, der Vermittlung des Diskussionsstandes, sowie dazu, bestimmte Themen oder Kampagnen zu pushen. Eine tiefergreifende Debatte erscheint uns während des Camps aufgrund der begrenzten Zeit auch gar nicht durchführbar – warum sollten zum Beispiel Diskussionen, die sonst (auch in bundesweiten Zusammenhängen) nicht befriedigend geführt werden, nun plötzlich, nur weil der Rahmen “Grenzcamp” heißt, anders laufen? Unabhängig von zeitlichen limits spielen dabei auch Unterschiede im Wissens- und/oder Diskussionsstand eine Rolle, die sich ebenfalls nicht innerhalb einer Woche angleichen lassen. Und nicht zuletzt setzt auch die Anzahl der TeilnehmerInnen der Diskussion von vornherein Grenzen. Umso wichtiger sind die zahlreichen im Vorfeld auf Mailinglisten und den Vorbereitungstreffen und in den Workshops auf dem Camp geführten Debatten und die sie begleitenden Diskussionsmaterialien wie die Zeitung zur Podiumsdiskussion “Jeder Mensch ist ein Experte”, die Diskussionen über das Camp hinaus anschieben und Kampagnen anregen.

Einwanderungsdebatte

“Jeder Mensch ist ein Experte” - viel Kritik gab es an diesem Motto, welches auch auf unseren Plakaten Verwendung fand. Allerdings hat wohl niemand bemerkt, dass wir uns damit nicht in der kritisierten Art auf die ExpertInnen-Diskussion bezogen. Vielmehr wollte der erklärende Text klar machen, dass der ExpertInnen-Diskurs eine sehr zynische Komponente hat. Nicht nur erst in neuester Zeit hilft der ExpertInnen-Bonus bei der Einreise nach Deutschland, sondern schon immer verlangte das Grenzregime ein ExpertInnentum, um überhaupt hier einzureisen. Auf dem Plakat stand: “Um dieses feinmaschige Netz” der inneren und äußeren Grenzen “zu überwinden, bedarf es eines ganz besonderen Expertenwissens. Viele bleiben dabei auf der Strecke. Sie sterben bei dem Versuch, die deutsche Grenze zu überwinden, in deutschen Abschiebeknästen und bei ihrer Abschiebung.” Zugegebenermaßen ziemlich oldstyle, aber deswegen nicht falsch. An genau diesem Punkt knüpften wir auch mit unserer Arbeitsamt-Aktion in Frankfurt während des Camps an (siehe unten). Wir vermittelten u.a. hochqualifizierte Jobs als SchlepperIn. Die ursprüngliche Bedeutung “Jeder Mensch ist ein Experte” ist dabei genauso systemimmanent wie “Kein Mensch ist illegal” - deswegen verstehen wir auch die Aufregung der KMII-Gruppen auch nicht so recht.
Nun war das Camp allerdings auch mit den neueren Diskussionen um ExpertInnen (oder genauer gesagt: der Einwanderungsdebatte) konfrontiert. Im Vorfeld wurde dies als wichtiges Thema postuliert, welches auf dem ganzen Camp eine Rolle spielen sollte. Als Höhepunkt war die “Talkshow” am Sonntag Abend geplant. Da wir die Wichtigkeit dieser Debatte teilen, möchten wir gesondert darauf eingehen.
Die Hoffnung, auf der “Talkshow” die Debatte führen zu können, wurde durch die technischen Mängel, die schleppende Übersetzung und den späten Beginn gründlich zerstört. Wir hatten uns zwar mehr von der Veranstaltung erhofft, aber auch nicht viel mehr. Bei einem so großem Thema und einer solchen Vielzahl von Leuten (sowohl im Podium als auch im Publikum) ist an eine Diskussion nicht wirklich zu denken - es hatte allenfalls Proklamationscharakter. Wir denken allerdings, dass durch die Extra-Zeitung für die Veranstaltung (was eine sehr gute Idee war!), die Folgeveranstaltungen und die Diskussionen vor und nach dem Camp eine gute Grundlage für eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema geschaffen wurde. Das Camp hat also nicht viel gebracht, ohne Camp hätten sich aber auch viele Gruppen gar nicht die Mühe gemacht, darüber zu diskutieren.
Da wir uns selber noch in der Diskussion befinden, können wir inhaltlich im Moment nicht viel beisteuern. Nur so viel: Zum einen sprechen wir der aktuellen Entwicklung ab, neu zu sein. Bei unserer Beschäftigung mit der AusländerInnenpolitik der letzten beiden Jahrhunderte (siehe unser Referat auf von einer Veranstaltung in Leipzig: http://www.nadir.org/nadir/initiativ/ci/nf/79/23.html) haben wir mehr überraschende Kontinuitäten als Brüche entdeckt. Natürlich gibt es momentan gerade Diskursverschiebungen, die es aber schon immer mal gab und nichts an den Grundlagen der herrschenden Politik ändern. Zum anderen - und das folgt für uns unmittelbar daraus - teilen wir die momentane Euphorie nicht. Da wird von vielen “eine Chance für die Linke” gewittert, über Legalisierungskampagnen geredet, behauptet, dass wir Diskurse bestimmen könnten, die soziale Frage neu ins Spiel gebracht, eine zu nutzender Interessensgegensatz zwischen Staat und Kapital herbeihalluziniert, der rassistische Konsens gilt als aufgebrochen, die Abschottungs- müsse der gezielten Einwanderungspolitik weichen. Das modernisierte Migrationsregime wird auf Erfolge der MigrantInnen zurückgeführt, die mit ihren Kämpfen oder der einfachen Tatsache ihres (vermeintlich ungewollten) Hierseins diese Änderung erzwungen hätten. (All dies sind von vielen Gruppen geteilte Meinungsäußerungen aus den Diskussionsbeiträgen in der Mailingliste bzw. in der Zeitung zur Talkshow.)
Dass die aktuelle Politik nicht ein Ergebnis der Schwäche, sondern vielmehr der Stärke des “Systems” ist, dämmerte einigen, als Schily seinen Gesetzesentwurf präsentierte. Früher wurde noch zu Recht kritisiert, dass die imperialistischen Verhältnisse Menschen zur Flucht zwingen: aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen, aufgrund von Bürgerkriegen etc. Die relative Armut auch der “indischen ComputerexpertInnen” oder der polnischen SaisonarbeiterInnen macht diese Menschen nun heute nicht plötzlich zu selbstbestimmten Wesen, die durch ihre Migration hier die Verhältnisse zum Tanzen bringen. Sie sind Spielball der staatlichen und ökonomischen Interessen wie auch schon in den letzten Jahrhunderten. Natürlich gibt es Kämpfe der MigrantInnen, welche Erfolge und Mißerfolge sie zu verzeichnen hatte, lehrt ein Blick in die Geschichte. Und natürlich muss darauf gesetzt werden, was anderes bleibt ja nicht übrig, allerdings verwundert uns, warum jetzt plötzlich neue Interventionsmöglichkeiten entstehen sollen. Es sieht doch eher danach aus, dass die bestehenden dicht gemacht werden. Die Modernisierung des Migrationsregimes läuft ja gerade darauf hinaus, die Migration den Bedürfnissen der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft anzupassen.

Vernetzung der Antirabewegung zu anderen Teilbereichsbewegungen

Obwohl es eingefahrene Positionen, Konkurrenzen und Eitelkeiten gibt: die politisch-strategische Debatte wurde mehr als in anderen Jahren geführt, nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit wurde gesucht.
Zum Beispiel mit der Antifa: Schon immer begreift sich das Grenzcamp als “Experimentierfeld” für eine bessere Zusammenarbeit von Antifa und Antira. Bei den meisten TeilnehmerInnen und OrganisatorInnen wird Antifa immer mitgedacht und als mit antirassistischer Politik verwobener Politikbereich verstanden. Natürlich lag das Thema Antifa in diesem Jahr nicht so sehr auf der Hand wie in den Jahren zuvor, als das Camp im Osten stattfand. Dort standen antifaschistische Themen quasi zwangsläufig auf der Tagesordnung: auf der einen Seite, weil der Begriff “national befreiter Zonen” dort eine ganz andere, nämlich faktische Bedeutung hatte, auf der anderen Seite, weil eher Leute aus dem klassischen Antifaspektrum in die Campvorbereitung involviert waren. Und natürlich gab und gibt es “beiderseits” unterschiedliche Herangehensweisen und Vorurteile. Als Beispiel seien hier in praktischer Hinsicht die vielfältigeren, bunteren, spaß- und kommunikationsguerillaorientier-teren Aktionsformen antirassi-stischer Gruppen genannt. Für die inhaltlichen Unterschiede ist beispielhaft die in Antirakreisen immer noch stark präsente und von Antifagruppen kritisierte sozialarbeiterische Ausrichtung bei der Zusammenarbeit mit Flüchtlingen. Andersherum wird die Antifa von vielen Antiragruppen auf eine reine Anti-Nazi-Bewegung reduziert, auch wenn in diesem Jahr gerade die vom Camp ausgehenden Antifaaktionen einer solch verkürzten Sicht widersprachen, da sie eher gesellschaftliche Zusammenhänge und die rechte Mitte thematisierten.
Das Interesse an der Diskussion um Zusammenarbeit und an antifaschistischen Themen war jedenfalls in Frankfurt ganz klar vorhanden. Zum ersten Mal fand auf dem Camp eine von einer Antifagruppe (dem BGR Leipzig) vorbereitete Veranstaltung statt, die sich nicht mit der Vermittlung klassisch antifaschistischer Hintergrundinfos befasste, sondern die Analyse des BGR zu Perspektiven gemeinsamer Antifa- & Antirapolitik zur Diskussion stellte. Antirassistische Events wie das Grenzcamp zu promoten auf denen sich Schnittpunkte und Diskussionen über eine Zusammenarbeit anbieten, war auch die Intention die zur Antira-Antifa-Veranstaltung auf dem Kongress in Göttingen führte, deren Fortsetzung die BGR-Veranstaltung auf dem Camp war. Zwar wurde auch bei dieser Veranstaltung viel aneinander vorbeigeredet und gegenseitige Vorurteile bedient. Die Anzahl der Teilnehmenden sprach aber für ein breites Interesse an der Diskussion.
Ein praktischer Ansatz einer möglichen Zusammenarbeit könnte zum Beispiel eine von Antira- und Antifazusammenhängen organisierte Demonstration gegen das Ausländerzentralregister in Köln sein.
Auch mögliche Schnittstellen mit der “Antiglobalisierungsbewegung” wurden diskutiert. Genua war ständig präsentes Thema auf dem Camp. Viele der TeilnehmerInnen waren dort, Genua wurde als Teil der internationalen Campkette betrachtet und mit der Inhaftierung der Leute der Volxtheaterkarawane war die Repression für das Camp ganz konkret spürbar: Die Beschäftigung mit der Thematik Genua und darüber mit der “Antiglobalisierungsbewegung lag erst mal klar auf der Hand.
Wo sich in der Solidarisierung mit den in Italien inhaftierten noch alle einig waren, gingen die Meinungen sonst jedoch weit auseinander. Viele begreifen sich als Teil der Antiglobalisierungsbewegung und stellten das Camp in eine Reihe mit den Protesten von Genua (die von MigrantInnengruppen getragene Auftaktkundgebung in Genua, war über die Nennung bei unseren Aktionen/Redebeiträgen hinaus leider kaum Thema). Andere distanzierten sich von dieser sehr heterogenen Bewegung, aufgrund der nicht zu leugnenden antisemitischen Konnotationen und positiven Bezüge auf den nationalen Wohlfahrtsstaat. Besonders deutlich wurde das an der Diskussion im Abschlussplenum über den offenen Brief an die Antiglobalisierungsbewegung. Wir halten es für sehr wichtig, die Entwicklung kritisch zu begleiten und zwar über die eingeforderte und bisher zu wenig geführte inhaltliche Auseinandersetzung. Ob die Antiglobalisierungsbewegung über den möglichen Wegfall der Gipfeltreffen hinaus überhaupt fortbesteht und inwieweit sie im nächsten Jahr und damit für ein nächstes Camp eine Rolle spielt, wird sich zeigen.

Anlaufstelle

Das mögliche Vorhandensein der Anlaufstelle wurde schon im Vorfeld für ein lustfeindliches Camp verantwortlich gemacht (Kurt und Lotte Rotholz, camp01-Mailingliste, 25.07.01). Die selbsternannten Sexismus-ExpertInnen holen also dass ganz alte Totschlagsargument aus dem Keller der Backslash-Bewegung: Feminismus und Antisexismus ist lustfeindlich und repressiv. Dabei war es einer der ersten Erkenntnisse der Frauenbewegung, dass Sexismus soviel mit Sexualität zu tun hat, wie ein Grenzcamp mit einem real-sozialistischen Ferienlager. Sexismus ist ein gewalttätiger Ausdruck des patriarchalischen Herrschaftsverhältnis. Antisexismus und Feminismus ist somit die Grundbedingung für eine befreite Sexualität (und nicht ihr Gegenteil!), auch wenn über bestimmte Formen, dies in der Praxis umsetzen, diskutiert werden kann und muss. Eine Form davon sollte die Anlaufstelle sein. Am ersten Konzeptpapier zum ursprünglich so genannten “Konfliktgremium” hatten wir Kritik (Grenzcamp AG Leipzig, camp01-Mailingliste, 13.06.01), wir stimmten mit den grundsätzlichen Überlegungen allerdings überein. Uns ist es wichtig, in diesem Zusammenhang zu betonen, dass solche Sachen wie Definitionsrecht und Sanktionen natürlich nichts emanzipatorisches an sich haben und einer linken Utopie-Vorstellungen zuwider laufen. Allerdings leben wir noch nicht ganz in der Utopie. Und somit müssen wir uns mit den herrschenden Verhältnissen auseinandersetzen. Das quasi militärisch organisierte Schutzkonzept (mit Funkkennungen aus dem NATO-Alphabet!) wird auch von niemanden in Frage gestellt. Ähnlich verhält es sich mit der Anlaufstelle. Wir hielten sie in der abschließenden Konzeption (camp01-Mailingliste, 16.07.01) für ein angemessenes und diskussionswürdiges Instrumentarium, um - so steht es im Konzept - eine “Sensibilisierung alle Teilnehmenden” zu bewirken, “einen Schutzraum für Betroffene zu gewährleisten” , “professionelle ... Hilfe zu organisieren”, mit Anbindung an das Delegierten-Plenum und nur eingreifend, “wenn das ... Umfeld nicht mehr weiter weiß oder wenn eine betroffene Person vertrauenswürdigen Schutz sucht.” Wir lesen dort also nichts von einem “totalitärem ... Fürsorgeregime” mit “politischen Repressionswillen”, “Polizeijargon” und “Gewaltfantasien”, die einer “rechten Ideologie” entspringen würden (alle Zitate: Kurt und Lotte Rotholz). Diese Vermischung von zwei Diskussionen, die nicht viel miteinander zu tun haben (nämlich: Umgang mit sexistischem Verhalten in der Praxis einerseits und anderseits eine theoretische Diskussion über eine befreite Gesellschaft mit einer emanzipatorischen Sexualität), sorgt dafür, dass die DiskutantInnen permanent aneinander vorbeireden. Dies ist unserer Meinung nach aber nur selten ein dummer Zufall, sondern der leicht zu durchschauende Versuch, sich der Auseinandersetzung zu entziehen. Denn jene, die immer, wenn es um Sexismus geht, lauthals einfordern, mensch müsse lieber darüber reden, wie mensch sich “ein gutes Leben für sich selbst vorstellt”, können dies ja gern tun, nur tun sie dies nicht - dieser Wunsch, sich über linke Sexualität, Beziehungen u.ä. auseinanderzusetzen, funktioniert nämlich nur als antifeministischer Reflex.
Wir finden es schade, dass der Versuch “Anlaufstelle” nicht gewagt wurde. Alle zukünftigen Diskussionen über ein solches Gremium entbehren nun einer praktischen Grundlage. Uns ist nicht ganz klar, warum kurz vor dem Camp ein Rückzieher von den Anlaufstellen-Personen gemacht wurde. Wir können allerdings verstehen, wenn sie sich aufgrund der massiven Kritik und der kontroversen Diskussionen im Vorfeld sowie die mangelnden Beteiligung bei einer konstruktiven Auseinandersetzung verunsichert gefühlt haben. Wir halten es allerdings für unehrlich, so zu tun, als ob die Umsetzung der Anlaufstelle offen sei und am Dienstag auf dem Camp diskutiert werden könnte. Zu Beginn des Camps war uns bei dieser Ausgangslage klar, dass es die Anlaufstelle nicht geben wird. Die Diskussion um die Anlaufstelle hat sich damit für uns natürlich nicht erübrigt.
Symptomatisch ist natürlich auch die geringe Beteiligung an der Diskussion nach dem Camp. Im ersten Beitrag (08.08.01) werden aus einer solidarischen Perspektive berechtigte Einwände gegen die Anlaufstelle eingebracht: “Könnte ich das denn machen”. Gefragt wird nach der “Qualifikation” der Anlaufstellen-Menschen. Fazit: “Die Kompetenz des Umgangs mit sexistischen Übergriffen ... stellt sich meiner Meinung nach nur über eine Debatte wie die geführte her, nicht über Anlaufstellen.” Doch die Anlaufstelle sollte nicht mehr sein, als genau solche Debatten auf dem Camp anzuschieben und vorzubereiten. Und da wären wir wieder bei organisatorischen Fragen und der Konsumhaltung. Wir sind nicht so weit, eine solche Debatte ins Blaue hinein zu führen. Es war also gut, dass die Diskussion vorbereitet wurde.

Aktionen

Im großen und ganzen meinen wir ein breitgefächertes Spektrum an gut vorbereiteten und in der Konsequenz gelungenen Aktionen gesehen zu haben. Dies bezieht sich sowohl auf die inhaltliche Ausrichtung, als auch auf die konkrete Ausgestaltung. Teilweise hat sich mensch Themenkomplexen von verschiedenen Richtungen genähert. Beispiel hierfür ist das Thema Zwangsarbeit, das durch eine Kombination inhaltlicher Veranstaltungen (sowohl für GrenzcamperInnen, als auch für Leute von außerhalb) und konkreter Aktionen aufgegriffen wurde.
Hinter den eigenen Ansprüchen zurückgeblieben sind wir, was die Schwerpunktsetzung anbelangt: so ist es leider nicht gelungen sämtliche, im Vorfeld formulierten, Schlüsselthemen in ähnlich wirksamer Weise aufzugreifen. Während etwa der Komplex Flughafen-Innere Grenzen-Abschiebung die ihm gebührende Aufmerksamkeit erhielt, sind die Themen Multikultirassismus, Arbeitsmigration und Entwicklungen auf EU-Ebene eher randständig geblieben.
Ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung von Aktionen ist deren konfrontativer Gehalt bzw. deren Offensivität. Wenn mensch Konfrontation nicht kurzschlußartig mit Militanz gleichsetzt, sondern darunter ein konsequentes, bewußt die inhaltlichen Differenzen (und damit verbundenen unterschiedlichen Legitimitätsauffassungen) betonendes Auftreten versteht, so hatten viele Aktionen einen offensiven Charakter. Als Beispiele könnten die Aktionen auf dem Flughafen oder auch die im Hauptbahnhof genannt werden. Aufgrund des größtenteils eher auf Deeskalation ausgerichteten Verhaltens der “Ordnungshüter” ist es vermehrt möglich gewesen, Inhalte zu vermitteln.

Organisierung/Vorbereitung/Technik

In einem Nachbereitungspapier aus Berlin ist die Rede davon, dass das Camp eher den Charakter eines “real-sozialistischen Ferienlagers mit informeller Hierarchie” hatte, als einem “emanzipatorischen, selbstorganisierten Experiment von temporär anderer Gesellschaft” zu gleichen. Die Diffamierung mit dem Ferienlager können wir postwendend dementieren, denn dafür sind wir ExpertInnen. Was es mit einem “emanzipatorischen, selbstorganisierten Experiment” auf sich hat, ist uns dagegen nicht so ganz klar. Wenn es der Traum ist, dass 1.500 Menschen in einer Woche mit weniger als der vorhandenen Vorbereitung und Struktur alles geregelt bekommen, dann würde das unserer Meinung nach eher in einen Albtraum münden. Will heißen: Wir denken, dass alles recht gut gelaufen ist. Die (nicht organisierten oder in die Vorbereitung eingebundenen) Camp-TeilnehmerInnen haben sich insoweit eingebracht, wie es ihnen möglich war (Vokü, Schutz, Diskussionen, Aktionen etc.) - mehr zu erwarten, ist illusionär. Wir denken, dass sich das Camp sehr deutlich von einem “Festival” unterschied - und die wenigen Sachen, die mehr oder weniger wie auf einem Festival funktionierten (Dixi-Klos u.ä.), waren gut, dass sie so funktionierten. Wir hatten nicht den Eindruck, dass die “Konsumhaltung” stärker war als die Jahre zuvor. Wir finden es gut, wenn Leute auch nur ein paar Tage vorbeikommen und halb Urlaub machen. Noch besser finden wir es, wenn “strategische Überlegungen ... von den jeweiligen Aktionsgruppen überlegt” werden und im Deli-Plenum zur Kenntnis genommen (was in oben genannter Mail kritisiert wird). Denn wir denken, das Camp steht und fällt nicht unbedingt mit den TeilnehmerInnen, deren Motivationen und Erfahrungen zu heterogen und deren Anzahl einfach zu gross ist, sondern mit den organisierten Gruppen, jenen Gruppen, die auch in der Vorbereitung eingebunden sind und auf dem Camp mehr oder weniger die Verantwortung für alles tragen. Eventuell entstandener Frust über Vorbereitung und Ablauf des Camps trifft also eher diese Gruppen als die Gesamtheit der CampteilnehmerInnen. Wir denken allerdings, dass auch da alles recht gut geklappt hat, auch wenn die Überlastung der Frankfurter Gruppen einerseits logisch, anderseits milderbar gewesen wäre. Kritik am “Konsumverhalten” darf unserer Meinung nach maximal dazu dienen, mehr Gruppen dazu zu bewegen, sich in die verbindlich Vorbereitung einzuklinken.
Zum Delegierten-Plenum möchten wir noch anmerken, dass das Vorhaben, dort inhaltliche Diskussionen zu führen, sich leider nicht realisieren ließ. Es war eher ein Organisations-Plenum. Wir halten das diesjährige Konzept (nur 3 große Plenas, ansonsten Deli-Plenum mit Rückkopplung an die Städte-Plenas) jedoch für das Beste. Ein großes Plenum ist noch ungeeigneter für Diskussionen als ein Deli-Plenum. Als kleines Manko des Deli-Plenums sehen wir allerdings an, dass wichtige Punkt (wie die Abschluss-Demo) oft relativ spät thematisiert wurden, so dass eine Rückfrage der Delegierten in ihren Städten nicht mehr möglich war - dies sollte nächstes Jahr verbessert werden. Außerdem sollte möglich sein, auf dem Deli-Plenum wenigstens politische Einschätzungen für gelaufene und kommende Aktionen vorzunehmen - eine Arbeit die diesmal weitestgehend an der Pressegruppe hingen blieb.
Wir wissen nichts über die Qualität der anderen Städte-Plenas, können nur sagen, dass wir gut damit gefahren sind. Natürlich war unser tägliches Leipzig-Plenum (mit Bericht von den Delegierten) auch mehr von Infos und organisatorischen Fragen geprägt, inhaltliche Diskussionen wurden hier aber noch besser und mit mehr Beteiligten geführt als das auf dem großen Plenum möglich gewesen wäre. Aus eigener Erfahrung würden wir anderen Städten für das nächste Mal allerdings einen festen Städte-Plenumstermin und eine kleine Stadt-Infotafel für die nicht Anwesenden empfehlen.

Grenzcamp-AG Leipzig

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27.07.-05.08.2001 FFM