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Rheinland-Pfalz: rassistische "Penisschau" für deutsche Beamte

Presseerklärung Pro Asyl 04.02.2002:

Skandal in rheinland-pfälzischer Abschiebungsbehörde:
"Penisschau" zum Zwecke der Bestimmung der Staatsangehörigkeit?


PRO ASYL kritisiert die menschenunwürdige Behandlung eines
Ausreisepflichtigen und fordert disziplinarrechtliche Konsequenzen
Muss ein Mensch mit ungeklärter Staatsangehörigkeit im Rahmen einer
Vorführung vor ausländischem Konsulatspersonal seinen Penis einem deutschen
Behördenmitarbeiter auf dem Behördenklo vorführen? Oder sieht sich der
Behördenmitarbeiter veranlasst, den Penis des Ausreisepflichtigen im Rahmen eines
"freiwilligen Beweisangebotes" anzuschauen? Die Fragestellungen scheinen absurd.
Ungläubig reagierte zunächst auch der Wiesbadener Ausländerrechtsanwalt
Eberhard Kunz, als er von einem Mandanten informiert wurde, wie man ihm in der
"Clearingstelle Rheinland-Pfalz für Passbeschaffung und Flugabschiebung" in
Trier mitgespielt habe. Man habe ihm aufgegeben, untersuchen zu lassen, ob sein
Penis beschnitten sei oder nicht. Die Behördenantwort auf Rechtsanwalt Kunz‘
Anfrage bei der Clearingstelle, wer die Untersuchung veranlasst habe, und
weitere Aussagen des Betroffenen legen die Frage nahe, ob die menschenunwürdige
Behandlung Ausreisepflichtiger zum selbstverständlichen Repertoire der
Behörde gehört.
Darüber kann auch die satirische Qualität der Antwort des zuständigen
Leiters der Clearingstelle Rheinland-Pfalz, Herr Martini-Emden, nicht
hinwegtäuschen. In seinem Schreiben an den Rechtsanwalt vom 2. Januar 2002 rechtfertigt er
den Vorgang wie folgt: "... naturgemäß wurden die Gespräche während der
Vorführung in armenischer Sprache geführt, so dass der anwesende Sachbearbeiter
der Clearing-Stelle nicht verstehen konnte, was besprochen wurde. Der
Sachbearbeiter wurde dann gebeten, mit Herrn G. zur Toilette zu gehen, damit dieser
ihm dort eine Beschneidung nachweisen könne. Inwieweit dies möglicherweise ein
freiwilliges Beweisangebot von Herrn G. war – wofür spricht, dass keinerlei
zusätzliche Aufforderung erfolgen musste – oder ob dies von ihm verlangt
wurde, entzieht sich unserer Kenntnis; das Verhalten des Herrn G. jedenfalls
deutete auf völliges Einverständnis mit dieser Maßnahme hin. Es ist auch nicht
bekannt, in welchem Zusammenhang diese Frage bei der Vorführung eine Rolle
spielte, jedenfalls wurde danach eine Rückübernahmepflicht des armenischen
Staates verneint. Festzustellen ist, dass keine deutsche Behörde in die
Veranlassung oder Genehmigung dieser Maßnahme involviert war."
Im Klartext: Was auf dem Behördenklo zwischen dem Sachbearbeiter der
Clearing-Stelle und dem Vorgeführten vor sich geht, entzieht sich deutscher
Verantwortung. Ist die Toilette einer deutschen Passbeschaffungsbehörde
exterritorial? Jedenfalls hält Herr Martini-Emden das Vorzeigen des Penis am Rande einer
Vorführung zur Klärung der Staatsangehörigkeit als "freiwilliges
Beweisangebot" für denkbar. Dies heißt auch: Herr Martini-Emden hält eine "Penisschau" auf
dem Behördenklo zumindest für ein taugliches Mittel zur Feststellung der
Staatsangehörigkeit – vermutlich als Indiz der Religionszugehörigkeit. Praktiken
dieser Art nicht mit allen Mitteln zu verhindern, deutet auf eine kaum
glaubliche Unsensibilität in einem Land hin, in dem die Feststellung einer
Beschneidung vor einigen Jahrzehnten eine tödliche Bedrohung dargestellt hätte.
Ganz anders als ein "freiwilliges Beweisangebot" stellt sich der Vorfall in
den Augen des betroffenen Herrn G. dar, der in der Landesunterkunft für
Ausreisepflichtige in Rheinland-Pfalz untergebracht ist, dar. Als er am 13.
Dezember 2001 Mitarbeitern des armenischen Konsulats vorgeführt und in
verschiedenen Sprachen befragt worden sei, habe er zur Religion geantwortet, sein Vater
sei Moslem gewesen, seine Mutter Armenierin, also Christin. Daraufhin habe der
Konsulatsmitarbeiter entgegnet, er lüge. Es sei dann zu einem Gespräch
zwischen dem Mitarbeiter der Clearing-Stelle und dem Konsulatsmitarbeiter
gekommen, das er nicht verstanden habe. Daraufhin sei er vom Mitarbeiter der
Clearing-Stelle aufgefordert worden mitzukommen. In Begleitung zweier uniformierter
Polizisten sei man dann zur Toilette gegangen. Dort habe der Sachbearbeiter
Herr F. geprüft, ob er beschnitten sei. Er habe Herrn F. so verstanden, dass er
angewiesen sei, die Hose zu öffnen. Auf die Freiwilligkeit der Untersuchung
sei er nicht hingewiesen worden. Da ihn ein Polizist am Arm zur Toilette
geführt habe, sei dies für ihn nicht freiwillig gewesen.
Rechtsanwalt Kunz hat Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den verantwortlichen
Mitarbeiter der Clearing-Stelle gestellt. Er halte eine "Penisschau" unter
allen Umständen für menschenunwürdig.
PRO ASYL fordert darüber hinaus sofortige disziplinarrechtliche
Konsequenzen, auch gegen den Vorgesetzten, Herrn Martini-Emden. Er habe mit seinen
absurden Reflektionen über die angeblich freiwillige "Penisschau" seine Inkompetenz
und Unsensibilität in Sachen Menschenwürde bewiesen und sei in seiner
Funktion untragbar. Man müsse befürchten, dass er auch weiter die Indiziensammlung
zur Staatsangehörigkeitsfeststellung auf Behörden-Klos für nicht
problematisch halte. Über den konkreten Einzelfall hinaus habe es einen sexistischen und
rassistischen Beigeschmack, wenn Herr Martini-Emden der Vorstellung,
ausländerrechtliche Fragestellungen seien durch Vorzeigen des Penis – ob freiwillig
oder nicht - zu klären, nicht energisch entgegentrete.
Herr Martini-Emden ist kein Unbekannter im Lande Rheinland-Pfalz. Er steht
für den nicht nur von der rheinland-pfälzischen Landesregierung verfolgten
Kurs, verstärkt Druck auf ausreisepflichtige Personen mit ungeklärter
Staatsangehörigkeit auszuüben. Es gehört zu dem von Herrn Martini-Emden öffentlich
verkündeten Programm, die Lebenssituation der Betroffenen krisenhaft zu
gestalten. Durch eine Vielzahl von Maßnahmen werden die Bewohner der
rheinland-pfälzischen Landesunterkunft für Ausreisepflichtige "in eine gewisse Stimmung der
Hoffnungs- und Orientierungslosigkeit versetzt", so Martini-Emden im Jahre 2000
in einem Papier.
Martini-Emdens problematisches Denken wird auch an anderer Stelle dieses
Arbeitspapiers deutlich. Zur Zukunft der Passersatzpapierbeschaffung in
Kooperation mit ausländischen Botschaften schlägt er vor, es müsse durch politische
Gespräche eine Reduzierung der Anforderungen erreicht werden. Voraussetzung
ist, dass mit der Gegenseite ausgehandelt werden könne, "dass die Anforderungen
an den Nachweis oder die Glaubhaftmachung der Staatsangehörigkeit der
betroffenen Person auf einem möglichst niedrig gehaltenen Level vereinbart werden
können, so dass auch Hilfskriterien zur Anerkennung einer
Übernahmeverpflichtung führen können." Der niedrigste Level dürfte jetzt in Trier erreicht worden
sein. Der Penis als Hilfskriterium?
Die menschenunwürdige Behandlung Ausreisepflichtiger, ihre zeitlich
unbefristete Unterbringung in halboffener Internierung, soll nach den Vorstellungen
des aktuellen Zuwanderungsgesetzentwurfs bundesweit umgesetzt werden.
Vorgesehen sind Ausreiseeinrichtungen nach dem Modell Rheinland-Pfalz und
Niedersachsens in allen Bundesländern. PRO ASYL kritisiert, dass die rot-grüne
Bundesregierung damit das kritikwürdige deutsche System der Abschiebungshaft um ein
Element ergänzen wolle, das in die Nähe einer ausländerrechtlichen Beugehaft
gerate. Das so geschaffene Klima bringe Methoden à la Trier notwendigerweise
hervor.
Hinweis:
Zu Ihrer weiteren Information halten wir bereit:
• Das Papier "Problemstellung und Intention des Modellversuchs einer
Landesunterkunft für Ausreisepflichtige in Rheinland-Pfalz" von Dietmar
Martini-Emden
• Den Auszug aus einer Examensarbeit von Katja Hassdenteufel zu den
"Rahmenbedingungen der Landesunterkunft für Ausreisepflichtige" in Rheinland-Pfalz
Sie können die beiden Dokumente bei uns per Fax unter 0 69/ 23 06 50
bestellen.

 

13.02.2002
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